Die Botschaft der Nichtwähler

Sonntagabend wird die politische Klasse in Deutschland wieder einmal auf dem Sofa sitzen und übel nehmen. Dann sind in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern die Wahllokale geschlossen, und nur jeder zweite Wahlberechtigte – wahrscheinlich gar noch weniger – wird ihnen trotz dringendster Appelle einen Besuch abgestattet haben, solange sie offen standen. Schon letzten Sonntag in Niedersachsen verspürten lediglich 51,8 Prozent den Drang zum Wählen, und dabei handelte es sich immerhin um eine Kommunalwahl, bei der man die Kandidaten und ihre Arbeit meist weit besser kennt als bei der Landtagswahl.Der Grund für die zunehmende Wahlverweigerung liegt auf der Hand: Wie man
auch wählt, die Politiker tun doch, was sie wollen und scheren sich einen
Kehrricht um ihre Versprechungen vor dem Wahltag. Der SPD-Vizekanzler Franz
Müntefering gab sich kürzlich gar beleidigt, weil ihn seine Wähler an
Zusagen vor der letzten Bundestagswahl erinnerten. Doch gerade diese Wahl und was ihr folgte war es, was ganz wesentlich zur
Parteien- und damit Wahlverdrossenheit beitrug. Damals verloren die großen
Parteien (SPD 4,3 Prozent, CDU/CSU 3,3, Prozent). Sie waren danach weder in
der Lage, ihre Niederlagen schonungslos zu analysieren, noch daraus Schlüsse
für ihre Politik und damit auch die geeigneten Bündnispartner zu ziehen. Sie
ignorierten einfach das Wahlergebnis und taten sich als Wahlverlierer
zusammen, um regieren zu können – und zwar mit den alten, gerade
mehrheitlich abgelehnten Rezepten. Das Ergebnis ist bekannt und nicht dazu
angetan, neues Vertrauen aufzubauen. Im Gegenteil, im Osten müssen sich die
Menschen in ihre Vergangenheit zurückversetzt gefühlt haben. Nach dem
Zettelfalten nun Kreuzelmalen – das eine so folgenlos wie das andere. Folglich machten die Parteien jetzt auch kaum Anstrengungen, den Wähler
positiv zum Wahlgang zu motivieren. Weder die Regierungsparteien in den
beiden Ostländern, neben der SPD jeweils die Linkspartei, noch die
Opposition warben mit ihren Ergebnissen (weil die kaum sichtbar sind) oder
mit ihren Plänen (weil die im Vagen bleiben oder doch nicht geglaubt
werden).

Die etablierten Parteien versuchten am Ende, den Wahlgang zu erpressen, indem sie die Wähler für den möglichen Einzug von Neonazis in die Landesparlamente verantwortlich machen wollten. Dass es ihre eigene Politik ist, die den extrem Rechten den Boden bereitet, ist ihnen keinen Gedanken wert. Und selbst ihre ausgestellte Besorgnis über Neonazis in Landtag oder Abgeordnetenhaus ist nur geheuchelt. Längst bestimmen die politischen Rechtsaußen in vielen Kreisen, Städten und Gemeinden mit, ohne in Vertretungen zu sitzen. Mit ihren Drohgebärden auf den Straßen, denen Polizei und Justiz allzu oft tatenlos zusehen, veranlassen sie Landräte und Bürgermeister immer häufiger dazu, sich vor bestimmten Entscheidungen zu fragen: Wie werden die Rechten hierauf reagieren? So gerade erst in Halberstadt geschehen, wo die Kreisverwaltung das Begehren des Oberbürgermeisters ablehnte, eine anlässlich des Besuchs des israelischen Botschafters organisierte NPD-Kundgebung zu verbieten. Schon im Frühjahr hatte der hiesige Landrat ein Konzert mit dem Liedermacher Konstantin Wecker abgesagt, weil die NPD es so wollte.

Die Nichtwähler, die am Sonntagabend wohl in Berlin wie
Mecklenburg-Vorpommern die größte Gruppe stellen werden, sehen nur noch diese eine Möglichkeit, an Politik teilzunehmen – durch Verweigerung. Hoffnungslos ist das nicht, denn damit hatte auch das Ende der DDR begonnen.