Berliner Grünland



Ideologen müssen Zeichen setzen, denn aus sich heraus kann eine Ideologie kaum wirken. So baute die DDR den Palast der Republik, ein »Haus des Volkes« im »Arbeiter- und Bauernstaat« – offen und zugänglich, auch finanziell, für jedermann. So modern und zukunftsgewandt, wie sie sich selbst sah und gesehen werden wollte. Der Palast – ein Aushängeschild der neuen Zeit – erfüllte diese Funktion durchaus; er verbarg zwar nicht, dass hinter der Fassade vielerorts der Putz blätterte und auch ganze Steine herausbrachen, aber für das Volk war er eben nicht nur ein schöner Schein, sondern materielles Sein, in dem man sich wohlfühlen konnte.
Gerade das passte den folgenden Ideologen nicht. Auch sie wollten ein Zeichen setzen – ebenfalls mit einem Bauwerk an diesem Ort, das zeigen soll, wie sie sich selbst sehen und gesehen werden wollen. Das alte Schloss der preußischen Monarchen soll wieder her – so beschloss es mehrheitlich vor vier Jahren der Reichstag; pardon, der Bundestag im Reichtagsgebäude. Vorwärts in die Vergangenheit. Zwar war überhaupt kein Geld da, um das Projekt zu verwirklichen, aber wenigstens für die Zerstörung des Palastes hat man es mühsam zusammengekratzt. Denn inzwischen entwickelte sogar die Ruine des Palastes der Republik eine solche Faszination weltweit, dass in den zum alternativen Kunstort umgestalteten Torso im Vorjahr 650 000 Menschen strömten.
Für die Zerstörung könnte die Kraft der neuen Ideologen gerade noch reichen – so wie schon 1950, als die DDR die Reste des Preußenschlosses abriss. Sie brauchte 26 Jahre, ehe sie mit dem Palast der Republik begann und machte in der Zwischenzeit die kahle Fläche zum Aufmarschgebiet. Manchmal wiederholt sich Geschichte, denn auch jetzt wird auf dem einstigen Marx-Engels-Platz und jetzigen Schlossplatz wieder eine kahle Fläche entstehen, ein Berliner Grünland vom Feinsten. Jedenfalls hat eine entsprechendes Projekt beim Schlossplatzwettbewerb den ersten Platz errungen, nicht zuletzt wegen der moderaten Kosten.. Das Gras der Geschichte kann wachsen, und mancher rechnet schon damit, dass durchaus wieder 30 Jahre vergehen können, ehe an dieser Stelle ein neues Bauwerk entsteht. Man darf gespannt sein, welche Ideologen dann dort ihr Zeichen setzen.

Siehe auch:
Nikolaus Bernau: Auf dem Holzweg (Berliner Zeitung v. 26.09.2006)
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/tagesthema/589521.html?keywords=Schlossplatz