Die falsche Gotteslästerung

Vielleicht war es ja doch nicht das abgeschlagene Haupt Mohammeds, das den Berliner Innensenator Ehrhart Körting jüngst dazu veranlasste, die Deutsche Oper dazu zu drängen, die Neuenfels-Fassung von Mozarts »Idomeneo« aus dem Programm zu nehmen. Möglicherweise motivierte ihn eher zum Handeln, dass auch der Jesus-Kopf bluttriefend über die Bühne getragen wurde.
Auf einen solchen Gedanken kam jedenfalls sogar die »Welt«, als sie hörte, dass einer von Körtings Untergebenen, ein Polizeioberkommissar der Direktion 3, Abschnitt 31/2, Brunnenstraße 175 in Berlin-Mitte, kraft seiner Wassersuppe durchsetzte, dass ein Künstler in seiner in der Nähe beheimateten Galerie eine Puppe nicht mehr ausstellen darf, die wie ein weiblicher Niklaus aussieht und auf einem Totenkopf die Mitra, die Kopfbedeckung der Bischöfe und Äbte, trägt und ein Holzkreuz in der Hand hält. Der Polizist erstattete Anzeige wegen Gotteslästerung und stützte sich dabei auf den Paragrafen 166 des Strafgesetzbuches: »Wer den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Der wachsame Ordnungshüter erhielt sogleich Unterstützung von seinem Polizeipräsidenten, der verfügte, »die andauernde Störung der öffentlichen Ordnung ist zu beenden… Kardinalshut und Kreuz sind zu entfernen«.
Der Künstler und Galerist wollte es auf einen Prozess nicht ankommen lassen und beseitigte flugs Mitra und Kreuz, während das ebenfalls die Installation zierende Buch eines frühen Papstes mit Bewertungen Mohammeds als »Sohn des Teufels« und »Feind des gekreuzigten Heilands« unbeanstandet verbleiben konnte.
Doch dann muss irgendjemandem in der Innenverwaltung aufgegangen sein, dass mit dem genannten Paragrafen nicht nur gegen Zeitungen vorgegangen werden könnte, die Mohammed-Karikaturen veröffentlichten, sondern auch gegen den Opernregisseur Neuenfels mit seiner blutigen Kritik an gleich drei Religionsschöpfern. Die inzwischen von höchster Stelle, nämlich dem Bundesinnenminister, verfügte Aufführung der Mozart-Oper in Berlin stünde dann in Frage, zumindest wenn der besagte Polizeioberkommissar dafür zufällig eine Karte bekäme. Er könnte mit dem Strafgesetzbuch in der Hand auf die Bühne treten und das Fallen des Vorhangs veranlassen. Daher wurde er wohl zurückgepfiffen und dem Künstler mitgeteilt, er könne seine Figur wieder mit Mitra und Kreuz versehen – allerdings vorerst nur bis zu einer endgültigen Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die noch immer anhängige Anzeige aus dem Abschnitt 31 von Körtings Polizei.

Siehe auch.Kai Ritzmann: Kardinalspuppe in »Galerie« erregt Anstoß (Die Welt v. 0710.06)