Die ungarische Frage


Die ungarische Revolution hat 1956 – für fast 50 Jahre – eine Auszeit genommen. Jetzt erst geht sie offensichtlich weiter – vielleicht bis hin zur endgültigen Klärung der Frage, die damals offen blieb: War der Aufstand des Oktober 1956 eine antikommunistische Konterrevolution oder eine lange herangereifte, dann aber spontane Aktion des Volkes, um den Sozialismus auf demokratische Wege zu führen? Vor 50 Jahren war das nicht zu entscheiden, weil der Sowjetunion das eine der Teufel und das andere der Belzebub war; jeder Satan sollte ausgetrieben werden, weshalb sie die Panzer rollen ließ.

Die Spaltung der ungarischen Gesellschaft, die entlang der Antwort auf diese Frage verläuft, bricht jetzt wieder auf, obwohl die Klärung des Problems seit 1990 in der Praxis ohne Bedeutung ist. Sie berührt aber das Selbstverständnis der Menschen, der damaligen Akteure wie der Nachgeborenen, die wissen wollen, woher sie kommen und wohin sie gehen. In einem offenen, ernsthaften gesellschaftlichen Diskurs ließe sich das gewiss besprechen, doch noch fehlt es an solcher demokratischen Reife.

Die aktuelle ungarische Politik macht sich vielmehr die Suche der Menschen nach Klarheit zunutze und versucht eine Neuauflage des Budapester Herbstes. Aber die Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce. Aus dem einstigen revolutionären Impuls wird si nur destruktives Chaos, die offene Frage von 1956 bleibt weiter offen, das Land gespalten.