Das neue ultimative Sendungsbewusstsein

Nicht zu Unrecht wurde am Sozialismus etwas beklagt, was man vielleicht – noch wohlwollend – als ultimatives Sendungsbewusstsein bezeichnen könnte. Gemeint ist damit die Überzeugung, genau zu wissen, was dem Menschen besonders gut tut und danach dann in wilder Entschlossenheit zu handeln, also auch einmal die anderen zum ihrem Glück zu zwingen, wenn sie es denn selbst nicht richtig erkennen. Das endete im schlimmsten Fall bei Stalin und Pol Pot, zumindest aber beim Widerstand der derart Beglückten gegen ihre vermeintlichen Beglücker und war daher einer der Sargnägel der sozialistischen Idee.

Die Demokratie, so sagte man uns, gehe von einem gänzlich anderen Menschenbild aus; ihr liege nichts ferner, als andere gegen ihren Willen zu beglücken. Jetzt solle jeder nach seiner Fasson selig werden und müsse selbst dafür sorgen, dass ihm dies gelingt. Oder haben wir da etwas falsch verstanden? Blickt man in die Welt, dann findet man sofort unübersehbare Beispiele für das Gegenteil. In den Nahen Osten zum Beispiel sollen zumindest seit Beginn der US-Präsidentschaft durch George W. Bush ganz massiv neue Beglückungen eingeführt werden, die die Menschen dort aber überhaupt nicht schätzen. Da finden wir plötzlich wieder jenes ultimative Selbstbewusstsein, das dem Sozialismus zu Recht vorgeworfen wurde. Und manches an den Begleitumständen ist zwar noch nicht vollkommen bei Stalin und Pol Pot, nähert sich dem aber an. Auch in Afghanistan scheint sich das irakische Beispiel zu wiederholen. Dort – wie auch in Bagdad – war man durchaus froh, von einem grausamen Herrschaft befreit zu werden, doch anschließend wollte man eigentlich sein Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten – und nicht nach dem Muster fremder Kulturen.

Die Anmaßung, über andere Lebensformen bestimmen zu wollen, ist also zurückgekehrt und hat zu schweren globalen Konflikten geführt. Sie reduzieren sich nicht auf einzelne Kriege, sondern haben weltweite terroristische Angriffe zur Folge. Aber die Weltbeglücker sind bislang kaum eines Besseren zu belehren. Sie setzen einen Kurs fort, der sich längst als gescheitert erwiesen hat. Sie sind noch nicht bereit, sich aus den eroberten Regionen zurückzuziehen und die dort lebenden Menschen ihr Geschick in die eigenen Hände nehmen zu lassen. Vielleicht bessert das auf die Schnelle auch nichts, aber in der Perspektive würde man sich vor Ort viel eher und viel nachhaltiger verständigen als unter fremder Anmaßung und Aufsicht. Irgendwann wird sich diese Erkenntnis auch durchsetzen, doch bis dahin wird es noch viele unschuldige und unnötige Opfer geben. Opfer, die man eigentlich in der neuen Weltordnung nach dem Zusammenbruch des Sozialismus nicht mehr erwartet hatte.