Lektionen über Demokratie in Nahost

Ernst genommen haben es ohnehin nur die wenigsten, aber dass die westlichen Staaten der Welt so schnell und brutal klar machten, was sie unter »Demokratisierung« des Nahen Ostens verstehen, überrascht doch. Am 25. Januar fanden in den weitgehend von Israel besetzten Palästinensergebieten die ersten freien Wahlen seit zehn Jahren statt, und sie verliefen ohne jede Beanstandung durch die zahlreichen Wahlbeobachter. Die meisten stimmen erhielt die Hamas; sie besetzt seither im palästinensischen Parlament 76 der 132 Sitze und bildet allein die Regierung. Diese demokratische Entscheidung, die nach den salbungsvollen Worten aus den USA und der Europäischen Union über die Notwendigkeit demokratischer Prozesse im Nahen Osten eigentlich zu Jubelstürmen hätten führen müssen, lösten genau das Gegenteil aus – die kompromisslose Ablehnung dieser Entscheidung des palästinensischen Volkes, weil sie den westlichen »Demokraten« nicht in den Kram passte. Sie boykottierten nicht nur die frei gewählte Regierung, sondern legten ihr noch allerlei Hindernisse in den Weg, die zum Beispiel hinsichtlich des Nachbarn Israel, der sich gern als das demokratischste Land des Nahen Ostens bezeichnen lässt, so weit gehen, dass von Tel Aviv eingenommene Steuern und Zölle, die rechtlich den Palästinensern zustehen, seither nicht mehr überwiesen werden – monatlich immerhin 40 Millionen Euro.

Ziel war, wie Amerikaner, Israelis und Europäer auch kaum verschleierten, die demokratisch gewählte palästinensischen Regierung zu stürzen und durch eine ihnen genehmere unter Führung der Fatah zu ersetzen, obwohl sie diese wie auch ihren Vertreter, den Palästinenser-Präsidenten Abbas, zuvor kaum besser behandelt hatten als die Hamas und es auch in Zukunft nur dann tun werden, wenn er sich ihren Wünschen und Vorstellungen zur Lösung der Nahostkrise beugt – was mit dem Willen der palästinensischen Bevölkerung nicht das Geringste zu tun hat.

Höhepunkt diese Lehrstücks über westliches Demokratieverständnis ist die Ausrufung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durch Abbas, ein illegaler Akt gegen die frei gewählte Regierung schon deswegen, weil das Parlament einer solchen Entscheidung zustimmen müsste. Aber aus Washington, Brüssel und Tel Aviv hört man keinerlei Kritik an solchem Vorgehen; im Gegenteil. Die »Demokraten« unterstützen den undemokratischen Akt vorbehaltlos. Indem sie eine abgewählte Partei gegen den Wahlsieger unterstützen, tragen sie auch kräftig zur Schürung der innerpalästinensischen Spannungen bis hin zu den gegenwärtigen blutigen Feindseligkeiten bei.

Wie anders sich hingegen ein Volk entscheidet, das solch extremem westlichen politischen und ökonomischen Druck nicht ausgesetzt ist, zeigte am gleichen Wochenende der von oben genannten »Demokraten« gern zum undemokratischsten Regime des Nahen Ostens erklärte Iran. Hier votierten die Bürger in beträchtlicher Zahl gegen den radikalen und aggressiven Kurs ihres Präsidenten Ahmadinejad und stärkten gemäßigte Reformkräfte. Es bedarf also offensichtlich keiner westlichen »Patenschaft« über Demokratieentwicklung im Nahen Osten. Diese Anmaßung hat in all den Jahren die Dinge nur verschlimmert, während die Menschen vor Ort am besten wissen, was ihnen nützt und was ihnen schadet.

Siehe auch:

Karim el-Gawhary: Zweierlei Maß im Nahen Osten (Tageszeitung vom 18.12.2006)

http://www.taz.de/pt/2006/12/18/a0034.1/text

Martina Doering: Die Fatah-Kaste will wieder an die Macht (Berliner Zeitung v. 21.12.2006)

http://www.berlinonline.de/.bin/mark.cgi/http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/meinung/614010.html?keywords=Doering