Nicht frei, sondern richtig wählen

Nachdem die Vereinigten Staaten und ihre willigen Verbündeten bereits solche Begriffe wie Menschenrechte, Folter oder Aggression mit einem neuen, ihnen nützlichen Inhalt gefüllt haben, sind sie nun dabei, uns auch freie Wahlen als etwas ganz anderes erscheinen zu lassen, als wir bisher dachten. Die landläufige Vorstellung, dass ein Volk seine Regierung wählt und diese souveräne Entscheidung zu respektieren ist, kommt aus der Mode – und wir sollen lernen, dass über die Richtigkeit und damit Anerkennung eines Wahlresultats künftig anderswo entschieden wird, nämlich dort, wo die Macht sitzt.

Aktuelles Übungsfeld, der Welt diese neue »Demokratie« klar zu machen, ist Palästina. Dort wählten die Bürger vor einem Jahr in übergroßer Mehrheit die Hamas ins Parlament; seither verfügt sie dort über 76 der 132 Mandate. Man müsste annehmen, eine klare demokratische Entscheidung, aber weit gefehlt. Weil weder den USA noch der Europäischen Union der Wahlsieger gefiel, erkennen sie das Votum nicht an und betrachten faktisch weiterhin die unterlegene Fatah mit ihren 43 Mandaten als die einzig rechtmäßige Ordnungsmacht in den Palästinensergebieten. Sie allein erhält auch Geld von den USA und der EU, die zugleich im Verein mit Israel, einem weiteren neuen Demokraten, verhindern, dass die Hamas aus dem Ausland überhaupt etwas erhält, um seine Aufgabe als gewählter Regierungsmacht gerecht zu werden.

Die Fatah aber steckt diese Zuwendungen nicht zum wenigsten in Waffen, teilweise ist das Geld sogar ausdrücklich dafür vorgesehen, wie erst kürzlich von den USA bereit gestellte 86,4 Millionen Dollar für die Fatah-Sicherheitskräfte. Und diese nutzen das Geschenk aus dieser unerwarteten Quelle zum Kampf gegen die frei gewählte Regierung, die ihrerseits in gleicher Münze zurückzahlt. Das ist etwa so, als wenn Russlands Präsident Putin nach der Bildung der großen Koalition in Deutschland alle Öllieferungen hierher eingestellt und sogar noch zum Beispiel die Linkspartei mit Millionenzuwendungen gesponsert hätte, um ihr einen aktiven Widerstand gegen die neue Regierung er ermöglichen.

Der Vergleich scheint absurd, aber etwas ganz Ähnliches geht im Nahen Osten vor – und zwar mit vermutlich wohl kalkulierten Folgen: Ein gegenseitiges Abschlachten der Palästinenser findet unter den Augen der Welt und bei zumindest klammheimlicher Freude der USA, der EU und Israels statt. Denn solange sich die Palästinenser gegenseitig schwächen, können sie nicht für eine gerechte Lösung ihres Problems kämpfen. Die Welt aber soll begreifen, dass es sich empfiehlt, künftig richtig zu wählen, wenn man nicht Ähnliches riskieren will. Denn was heute im Nahen Osten geht, passiert morgen vielleicht schon wer weißt wo.