Noël Martin

Noël Martins Leben – in Mahlow zerstört
Brandenburgs Ministerpräsident hat ein Buch vorgestellt, das seinem Land wenig Ehre macht
 

Fast wie ein Staatsakt – mit musikalischer Umrahmung und einer Rede von Regierungschef Matthias Platzeck – wurde Montagnachmittag in Potsdam das Buch eines britischen Bauarbeiters jamaikanischer Herkunft präsentiert. Es war eine honorige Geste, aus der viel schlechtes Gewissen sprach.

Noël Martins Garten in Birmingham ist ein grünes Idyll. Umgeben von Bäumen, Sträuchern, mit sattem englischen Rasen, Efeu an den Ziegelwänden, verglasten Erkern und einem weißen Vorbau wirkt er wie der perfekte Ruhesitz. Tatsächlich aber sind Haus und Garten für seinen Bewohner ein Ort des Grauens. Das weiß der Zuschauer schon, ehe er auf der Leinwand die Idylle sieht, denn der kurze Film, erst vor einer Woche in England aufgenommen, zeigt zuvor eine schlaffe schwarze Hand, einen leblosen Oberkörper, einen tief ins Kissen versunkenen Kopf und später die so kalte wie hilfreiche Maschinerie, mit der das gelähmte Fleisch aus dem Bett gehoben, durch den Raum geschwenkt, schließlich in den Rollstuhl verfrachtet wird, der Noël Martin in den Garten bringt. »Alles, was ich selber machen kann, ist gucken und sprechen«, sagt er. Vom Hals abwärts spürt er nichts mehr.
Rassismus als Konstante
Solche aufwühlende Kontraste prägen auch das Buch, das Noël Martin zusammen mit seiner deutschen Vertrauten Robin Vandenberg Herrnfeld geschrieben hat. Es handelt vom Leben eines Schwarzen in einer von Weißen geprägten Welt und reduziert Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht auf eine kleine Provinzstadt in Brandenburg. Es findet sie in der Armut ausgebeuteter Jamaikaner, in der militanten Arroganz britischer Unternehmer wie Polizisten und schließlich eben auch in Brandenburg, wo Rechtsextremisten gegen alles Fremde zu Felde ziehen.
»Noël Martin hat Rassismus von frühester Jugend als Konstante seines Lebens erfahren«, sagt Dankwart von Loeper, der das Buch verlegte. Aber er habe sich damit nicht abgefunden, vor allem nicht nach dem Anschlag auf sein Leben. Das und die Qualität der eindringlichen, auf jedes Selbstmitleid verzichtenden Schilderung habe ihn zur Veröffentlichung der Autobiografie Noël Martins bewogen, auch wenn er einräumt, gezögert zu haben. Wie viele wollen denn wirklich die Geschichte des britischen Bauarbeiters lesen?
Das Land Brandenburg hat das Buchprojekt mit 5000 Euro aus Lottomitteln unterstützt. 500 Bücher will die Arbeitsstelle für Ausländerfragen erwerben, um sie in Schulen und Jugendklubs einzusetzen. Und Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht las einige Passagen, auch jene über die Nacht des 16. Juni 1996 in Mahlow, als Martin erst an einer Telefonzelle von Neonazis angepöbelt, dann von deren Auto überholt wird, aus dem ein Stein auf seine Windschutzscheibe fliegt. Er verliert die Gewalt über sein Fahrzeug und prallt gegen einen Baum; die Wirbelsäule brach am Genick.
Die Täter, damals 17 und 24 Jahre alt, wurden zu fünf bzw. acht Jahren Gefängnis verurteilt. Sie haben ihre Tat bis heute nicht bereut und sich schon gar nicht bei Noël Martin entschuldigt. Er aber, das Opfer, habe lebenslänglich bekommen, sagt Martin aus seinem Rollstuhl bitter – ein Gedanke, den Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck in seiner Rede aufgreift.
»Okay. Thank you. Bye.«
Platzeck zeigt sich betroffen von diesem Schicksal, lässt Emotionen erkennen, findet warme Worte. Für Noël Martin, dem Platzeck in London Unterstützung für das Buchprojekt zusagte, der aber nach all seinen Erfahrungen gehöriges Misstrauen gegenüber weißen Autoritäten nicht verbergen kann, »scheint er sehr aufrichtig und ehrenwert zu sein. Er versucht sein Bestes.«
Der Regierungschef stellt in seiner Rede die Erfolge heraus, die das Land mit dem Bündnis gegen Gewalt und für Toleranz erreicht habe. Dass es seit dem Anschlag viele weitere Übergriffe auf Ausländer gab – eins der Opfer, Ermyas M., saß im Saal – bleibt ungesagt. Und auch, dass Brandenburg dank seines Innenministers Schönbohm zu jenen Bundesländern gehört, die Abschiebungen besonders hart praktizieren, ist kein Thema. Platzeck ruft dazu auf, alle müssten noch stärker »von der guten Gesinnung zur handlungsbereiten Verantwortung« kommen. Beispielhaft hat das schon Noël Martin vorgemacht, indem er zusammen mit seiner verstorbenen Frau den »Noël-und Jacqueline-Martin-Fonds« gründete, der einen Jugendaustausch zwischen Brandenburger und Birminghamer Jugendlichen ermöglichte. Ihm soll auch der Erlös aus dem Buch zugute kommen.
Für Noël Martin ist das Buch zugleich Abschied. Er will an seinem 48 Geburtstag im Juli aus dem Leben zu scheiden. »Ist es nicht besser, in Würde zu sterben, als ohne Würde zu leben?« fragt er in seinem Buch. Und gibt am, Ende des Videofilms die Antwort: »Okay. Thank you. Bye.«

Noël Martin: Nenn es: mein Leben, von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe 2007. 247 S., br., 19,90 Euro

Gedruckt in: Neues Deutschland vom 25.04.2007