Lokführerstreik trennt Spreu vom Weizen

Wenn Hartmut Mehdorn dereinst ein historisches Verdienst zugesprochen werden sollte, dann jenes, dass er mit seiner frühkapitalistischen Brecheisenmentalität endlich wieder einmal den unüberbrückbaren Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit transparent gemacht hat. Gewiss, dieser Widerspruch ist in den letzten Jahren ohnehin schon immer deutlicher geworden, aber bisher bemühten die Unternehmer doch noch gern die alte Parole angeblicher Sozialpartnerschaft und setzten Heerscharen von Lobbyisten und Propagandisten in Marsch, um ihr unverändertes Ziel des Maximalprofits möglichst störungsfrei durchzusetzen.

Das ist ihnen bis zu einem bestimmten Grad auch gelungen, doch nun hat eine kleine und von ihrem Verständnis her eigentlich gar nicht so radikale Gewerkschaft diesen Schleier zerrissen, und dahinter werden nicht nur die brutalen Machtverhältnisse in diesem Land erkennbar, sondern auch der tatsächliche Frontverlauf zwischen den Akteuren, von denen mancher, der vorgab, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten, nun plötzlich auf der anderen Seite der Barrikade auftaucht. Insofern ist der Lokführerstreik auch so etwas wie ein frischer Herbstwind, in dem sich die Spreu vom Weizen trennt.

So wird zum Beispiel sichtbar, wo die SPD, die gerade noch in der Regierung einen sozialen Schattentanz aufführte, in diesem Konflikt tatsächlich steht. Sowohl ihr Verkehrsminister Tiefensee, eigentlich zur Neutralität verpflichtet, stellt sich unverhohlen auf die Seite der Bahn AG und deren Weigerung, ein Angebot entsprechend dem unabhängigen Schlichterspruch vorzulegen, und auch die SPD-Fraktion im Bundestag betreibt in Gestalt ihres stellvertretenden Vorsitzenden Stiegler offen das Geschäft der Unternehmerseite.

Für die anderen Gewerkschaften ist der Streik der GdL ebenfalls zur Nagelprobe geworden. Hatten jüngst schon Vorgänge bei VW und Siemens gezeigt, wie leicht sich Gewerkschaftsführer von Konzernbossen kaufen ließen, so schürt das Mehdorn-treue Verhalten der Eisenbahnergewerkschaft Transnet eine ganz ähnlichen Verdacht. Sogar Teile des DGB springen nicht etwa ihren bedrängten Kollegen von der GdL bei, sondern schlagen sich demonstrativ auf die Unternehmerseite. Ihr Argument, sie wollten auf diese Weise einheitliche Tarifverträge sichern, haben sie selbst längst dadurch entwertet, dass sie den Austritt von Arbeitgebern aus der Tarifgemeinschaft ebenso zuließen wie betriebliche Tarifabschlüsse oder »Öffnungsklauseln« zum Unterlaufen von Tarifverträgen und dadurch selbst das einheitliche Tarifgefüge unterminierten. Solange dies zugunsten der Unternehmenschefs geschah, schien sie das wenig zu stören; erst jetzt, wo sich einfache Gewerkschaftsmitglieder auf ihre Kraft besinnen und ihre von den Großgewerkschaften sträflich vernachlässigten Interessen rigoros durchsetzen, erheben sie lautstark ihre Stimme.

Diese einfache Gewerkschafter begreifen jedenfalls weitaus besser als manche ihrer angeblichen Vertreter in Gewerkschaftszentralen, dass der Lokführerstreik nicht nur darüber entscheidet, ob die Streikenden einen eigenen Tarifvertrag und eine angemessene Lohnerhöhung erhalten, sondern vor allem darüber, ob künftig überhaupt noch gewerkschaftliche Ziele durchzusetzen sind. Schon ist die Unternehmerschaft unterwegs, den Widerstand gegen ihrer wirtschaftsradikalen Aktivitäten durch eine gewerkschafts- und vor allem streikfeindliche Gesetzgebung zu brechen – und die schwarz-rote Regierung scheint durchaus gesonnen, ihr auch noch diesen Dienst zu erweisen. Immer mehr Menschen erkennen diese Gefahr. Sie sehen, dass der Kampf der Lokführer auch ihr Kampf ist und verhalten sich daher trotz aller Erschwernisse ungebrochen solidarisch. Sie wissen, dass eine Niederlage der Lokführer auch ihre Niederlage wäre, weil sie dem Durchmarsch des Kapitals Tür und Tor öffnete.

6 Replies to “Lokführerstreik trennt Spreu vom Weizen”

  1. Werter Herr Richter,

    wo kämen wir denn da hin, wenn nun alle kleine Gruppen in Unternehmen ihre Schlüsselpositionen mißbrauchten, um unverhältnismäßige Streikforderungen durchzusetzen? Selbst der Betriebsratsvorsitzende der Railion, Cargo-Tochter der Bahn, ist gegen diesen Streik und die damit verbundenen Forderungen (http://www.fokus-erfolg.de/index.php/wahnsinn-bahnstreik-noch-immer-unterstuetzen-60-der-bevoelkerung-die-gdl-position/). Er argumentiert, dass es unsolidarisch sei und Arbeitsplätze verloren gingen, weil die Kosten, die jetzt entstehen, wieder eingespart werden müssten. Alles, was die Lokführer bekämen, ginge auf Kosten der anderen Bahn-Mitarbeiter…

    Was kommt als nächstes? Die Pförtner lassen niemanden mehr aufs Werksgelände? Die Kantinenköche lassen Belegschaften darben? Die TÜV-Ingenieure vergeben keine Plaketten mehr und verursachen ungezählte Starfzettel wegen abgelaufener TÜV-Plaketten? Die Telekom-Strippenzieher ziehen die Stecker? Die Wasserwerker drehen den Hahn ab?

    Und alle, weil sie plötzlich auf die Idee kommen, zu wenig zu verdienen und weit über 10% Zuschlag fordern? Ist das nicht Wahnsinn? Die GDL-Forerungen sind maßlos und ungerechtfertigt, schädigen die Volkswirtschaft und zerstören Arbeitsplätze.

    Übrigens: Um zu dieser Meinung zu gelangen, muss man weder Porsche fahren noch Herrn Mehdorn mögen.

    Herzlichst

    Guido Augustin
    … bisschen Bissiges auf Fokus-Erfolg.de

  2. Nun mal nicht gleich in Panik ausbrechen, werter Herr Augustin. Eher missbrauchen wohl einige Leute im Bahnvorstand ihre Positionen: und das, was die Lokführer kosten würden, könnte mühelos von deren Gehältern abgezogen werden, ohne dass auch nur einer das wirklich merken würde. Warum das Geld immer dort nehmen, wo ohnehin wenig ist?

  3. Das sehe ich nicht so ganz krass. In den guten Abschluss von Transnet lassen sich mehrere Sachen deuten. Vielleicht hoffte die Bahn, dass Lokfüherer zur Transnet wechseln, vielleicht ging es darum, in der Öffentlichkeit die GDL als unangemessen gierigen Verein darzustellen.

    Das in der Politik gelegentlich gebrauchte Argument, dass eine Gewerkschaft mit einer kleinen, aber wichtigen Berufsgruppe sich nicht allzu sehr exponieren darf, finde ich durchaus richtig.

    Doch je weiter der Streit reicht, desto eher richtet sich meiner Beobachtung nach die Wut „des Volkes“ auf Manfred Schell. Hartmuth Mehdorn steht noch immer erstaunlich gut dar. Da vermute ich eine Denkart á la „Ich werde auf Arbeit aus ausgebeutet, also gönne ich den Lokführern ebenfalls nix.“

    Die Lokführer sollen meiner Ansicht nach mehr Geld und mehr Freizeit bekommen. Ob sie einen eigentständigen Tarifvertrag haben müssen, weiß ich nicht. Jedenfalls muss ein Streik wirtschaftlichen Schaden anrichten, sonst wäre er sinnlos. Bei der heutigen Vernetzung hat fast jeder Streik Auswirkungen auf andere Betriebe. Das kann nicht als Argument gegen Streiks herhalten. Ein volkwirtschaftlicher Schaden, der ja durch den Lokführerstreik tatsächlich erzeugt wird, kann nicht als Argument gegen Streiks dienen; da fasse ich mir immer an den Kopf wenn Leute des Bahnvorstandes den Tränen nah sind und erläutern, wie schädlich der Streik für alle sei. (Als ob denen das wirklich das Wohl unseres Landes am Herzen liegen würde.)

    Im Vergleich mit Frankreich, wo fast ständig irgendein wichtiger Betrieb wegen irgendwelcher Sachen streikt, haben wir mit der GDL noch eine vergleichsweise moderate Gewerkschaft.

    Ich hoffe auf einen Kompromiss, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren.

  4. @aths … soweit ich weiß, muß die gdl in erster linie für einen eigenen tarifvertrag streiken .. sonst wäre ihr streik rechtswidrig! (http://www.rechtslexikon-online.de/Streik.html) d.h. jede mit ihr getroffene vereinbarung wäre halt eine tarifvertragliche.

    allerdings (ich hatte mir deren vorschlag irgendwann mal angeschaut) ging es in ihrem ursprünglichen auch um solche sachen wie begrenzung der schichtzeiten, lohnsteigerungen in abhängigkeit von betriebszugehörigkeit und/ oder einsatzjahren als fahrpersonal sowie qualifikation usw.
    daneben geht es auch nicht nur um lokführer, sondern fahrpersonal generell.

    findet sich eigentlich alles auf deren, wenn auch leicht unübersichtlichen internetseite.

    von daher verwundern mich immer die stark vereinfachten darstellungen in allen medien.

    Gruß, Daniel

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