Einäugige Außenpolitik der Kanzlerin

Man kann sich fragen, ob für China der Dalai Lama und für Russland Garri Kasparow die drängendsten Menschenrechtsprobleme sind; auf jeden Fall sind sie die spektakulärsten – und das vor allem deshalb, weil sowohl die chinesische als auch die russische Führung in schlechter alter Diktatorentradition keine andere öffentliche Stimme neben sich dulden wollen, sei sie auch noch so leise und unbedeutend. Anstatt auf das Urteil des Volkes zu vertrauen, das nach allem was man weiß, weder dem tibetanischen Hohepriester in China noch dem Ex-Schachweltmeisster in Russland eine besondere Rolle zuweisen will, behandelt man beide nicht souverän als Andersdenkende, die auszuhalten sind, sondern als gefährliche Feinde, die es mit allen Mitteln auszuschalten gilt.

Dass Angela Merkel mit ihren spezifischen Erfahrungen aus der DDR das sofort erkennt und für sich nutzt, verwundert nicht; es ist dies aber keineswegs die von ihr gern beschworene »werteorientierte Außenpolitik«, sondern schieres Kalkül, das bei Menschenrechtsverletzungen anderswo flugs in die entgegengesetzte Richtung ausschlägt. So hörte man weder ihren Regierungssprecher noch ihren Außenminister ähnlich lautstark kommentieren, dass der pakistanische Präsident einem negativen Votum des eigentlich unabhängigen Verfassungsgerichts seines Landes nur dadurch entging, dass er kurzerhand die ihm missliebigen Verfassungsrichter entließ und durch botmäßige Juristen ersetzte. Auch dass die führende Wahlkämpferin Benazir Bhutto mitten im Wahlkampf unter Hausarrest gestellt wurde und bis heute in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt ist, stieß ebenso wenig auf den Protest der »werteorientierten« Bundeskanzlerin wie die lange währende Einreisesperre für den anderen führenden Wahlkämpfer Sharif, der erst dieser Tage in sein Land zurückkehren durfte. Ähnlich schweigsam verhält sich Angela Merkel gegenüber den nicht sehr viel anderen Wahlvorbereitungen des georgischen Präsidenten, der gern als Demokrat dargestellt wird. Und auch der saudische König, der in seinem Land die Sharia praktiziert, weshalb weibliche Vergewaltigungsopfer noch zusätzlich ausgepeitscht und – wenn sie die Medien informieren – ins Gefängnis gesteckt werden, der außerdem Juden die Einreise verweigert und die Bibel verboten hat, kann mit Angela Merkels Nachsicht rechnen; jedenfalls ist er erst kürzlich mit allem Pomp in Berlin empfangen worden und nicht das leiseste Sterbenswörtchen der Kritik an seinem mittelalterlichen Regime kam über ihre Lippen. In Afghanistan hingegen gelten auch solche Praktiken als einer der Kriegsgründe.

Der Hintergrund ist klar: Während Russland und China für die Kanzlerin noch immer als Feindstaaten aus der Zeit des kalten Krieges gelten, sind die anderen Menschenrechtsverletzer Freunde der USA und damit auch Angela Merkels. Sie war es schließlich, die Bush 2003 versicherte, wäre sie an der Regierung, hätten auch deutsche Soldaten im Irak mitgekämpft. Sie ist sich also treu geblieben, was sie ehren mag. Doch sollte sie solche Vasallentreue gegenüber der westlichen Vormacht nicht als »werteorientierte Außenpolitik« verkaufen.

2 Replies to “Einäugige Außenpolitik der Kanzlerin”

  1. Die Kritik an Putin und Rußland von deutscher, europäischer und amerikanischer Seite kann man als Reaktion der westlichen Staaten auf die Politik des Kremls sehen. Gas abdrehen und Erpressung der Ukraine und Weißrußland, Firmen wie Gasprom und ähnliche versuchen sich strategische Firmen ein zuverleiben. Lufthansa wird von der russischen Flugbehörde dazu gezwungen seinen Cargo-Hub von Kasachstan nach Rußland zu verlegen.
    China klaut Ideen von europäischen Firmen, nimmt gerne Entwicklungshilfe, hat riesige Geldrücklagen, mit denen von staats wegen gekauft wird, wobei hunderte von Millionen Menschen von der Hand in den Mund leben.
    Ebenfalls ist es Sache der Bundesrepublik Deutschland, wenn die Bundeskanzlerin empfängt. Vorallem wenn man bedenkt das viele Menschen in Deutschland den Dalai Lama sehr schätzen ist dies verständlich.
    Dies sind also direkte Antworten auf handeln der betreffenden Länder.

    Desweiteren sehe ich das entscheidene Nein von Gerhard Schröder gegen den Irak-Krieg auch vor dem Hintergrung des Wahlkampfes 2002.
    Wenn man die Prinzipenfestigkeit vorallem nach seinem Ausscheiden 2005 sieht, ist dieser Verdacht immer noch gegeben.

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