Hoffen wir auf den Metzger-Effekt

Nun, da sich die Aufregung um die hessische Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger, die sich als Einzige aus ihrer Fraktion an den stets als unumstößlich bezeichneten Ausschluss der Linkspartei aus allen Gesprächen über eine Regierungsbildung halten wollte und damit zunächst einmal die Entfernung Roland Kochs aus dem Amt des Ministerpräsidenten – übrigens ähnlich unumstößlich versprochen, wenn sich dafür eine Mehrheit ergebe – verhindert hat, da sich also die Aufregung um sie zu legen beginnt, sollte man vielleicht doch akkurat festhalten, welche Maßstäbe politischen Handelns eines Parlamentariers damit formuliert und von so ziemlich allen Beteiligten zum Standard erklärt worden sind. Demnach ist er weder einer Regierung noch seiner Partei, nicht einmal seinen Wählern verpflichtet, sondern allein seinem Gewissen, seinen eigenen Überzeugungen – wie es der Philosoph Edmund Burke vor mehr als 200 Jahren schon formulierte: »Euer Abgeordneter schuldet euch nicht nur seinen ganzen Fleiß, sondern auch einen eigenen Standpunkt; er verrät euch, anstatt euch zu dienen, wenn er ihn zugunsten eurer Meinung aufopfert«. Wer sich so verhält, wird zu »Deutschland ehrlichster Politikerin« erklärt, für Mut und Standfestigkeit gelobt und bewegt sich ganz nebenbei auch noch entsprechend dem Grundgesetz, das Abgeordneten zusichert, sie seien »an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen«.

Dagmar Metzger hat sich so verhalten, und dafür gebührt ihr uneingeschränktes Lob – auch dann, wenn einem ihre konkrete politische Entscheidung nicht gefällt. Man sollte sich ihren Namen merken – im Hinblick auf künftige vergleichbare Fälle, die gewiss kommen werden, so wie es sie auch schon in der Vergangenheit gab. Man erinnere sich zum Beispiel an die SPD-Bundestagsabgeordnete Waltraud Wolff aus Wolmirstedt, die im August 2001 als Christin und überzeugte Kriegsgegnerin Nein zum Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien sagte und darauf zu hören bekam: »Du bist für die SPD in den Bundestag gegangen, da musst du deren Entscheidungen mittragen.« Und vor ziemlich genau fünf Jahren wollte sie mit einigen Mitstreitern in der Fraktion Änderungen an der »Agenda 2010« durchsetzen, darunter übrigens einige jener, die inzwischen vollzogen wurden, aber auch für dieses Ansinnen, das haargenau den Maßstäben Dagmar Metzgers entsprach, wurden ihr in Partei wie Fraktion keine Hohelieder gesungen. Im Gegenteil, man zählte sie zum »dreckigen Dutzend« der Fraktion und diskutierte darüber, ob sie noch im Plenum reden dürfe.

Man kann ohne Schwierigkeiten weitere Beispiele finden, denn der Fraktionszwang – und nicht die Gewissensfreiheit á la Dagmar Metzger oder Waltraud Wolff – war bislang eine der wichtigsten Regeln des politischen Betriebs. Aber vielleicht haben die Politiker ja jetzt umgedacht, wird der absolute Vorrang der eigenen Meinung zur Norm des parlamentarischen Betriebs. Hoffen wir also auf den Metzger-Effekt. Vor allem aber: Erinnern wir die Politiker an ihre jetzigen Worte, wenn ihnen vielleicht irgendwann nicht in den Kram passt, dass ein Abgeordneter, eine Abgeordnete statt nach den Vorgaben der Fraktionsführung nach seinem Gewissen oder dem eigenen Standpunkt entscheidet.

4 Replies to “Hoffen wir auf den Metzger-Effekt”

  1. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass Metzgers Daddy in den 1970er Jahren für die SPD im hessischen Landtag saß und damals eine Vorläuferorganisation des Seeheimer Kreises, vulgo einen rechten Parteiflügel der SPD, mitbegründet hat. Dessen alte Seilschaften dürften bestimmt ordentlich Druck auf Metzger junior gemacht haben, so dass die Gewissensentscheidung vielleicht auch eine Entscheidung pro Haussegen und zukünftige Boni war.

  2. Dem stimme ich durchaus zu. Jedoch bezweifle ich das Frau Metzger ernsthaft eigenständig entschieden hat.
    Nenne mich ruhig naiv, aber ein eigenständig entscheidender Politiker hätte sicherlich im Vorfeld an den entsprechenden Gesprächen teilgenommen und nicht Skiurlaub gemacht.

  3. Es ist doch ganz offensichtlich: Frau Metzger hat Ypsilanti gestoppt. Kein Mensch auf der ganzen Welt konnte Metzger dazu zwingen, für Ypsilanti zu stimmen. Es gibt also keinen Fraktionszwang, sondern nur Fraktionsdisziplin – von den Abgeordneten selbst eingehalten oder eben, wie von Dagmar Metzger, nicht eingehalten.

    Dass Metzgers Fraktionskollegen und sonstige Genossen Druck auf sie ausüben, ist vielleicht nicht immer schön, lässt sich aber nur mit den Mitteln eines Polizeistaats vermeiden.

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