Die SPD und ihre Abtrünnigen – die Fälle Lafontaine und Clement

Am erstaunlichsten am Entscheid des SPD-Landesschiedsgerichts Nordrhein-Westfalen über den Parteiausschluss Wolfgang Clements ist die Überraschung, die darob allenthalben herrscht. Denn in jeder Partei ist es Usus, dass Mitglieder, die ja in diesen Status nicht gezwungen werden, das Vertrauen der Gemeinschaft dann verspielen, wenn sie ihr die Solidarität aufkündigen und offen für Positionen des politischen Gegners werben – bis hin zum indirekten Aufruf, die eigenen Genossen nicht zu wählen. In solch einem Falle muss jedes Parteimitglied damit rechnen, aus der Partei verwiesen zu werden, denn eigentlich erwartete man, dass jemand, der sich nur noch so wenig mit seiner Partei verbunden fühlt, dass er sie nicht einmal mehr wählen würde, dann selbst austritt. So hatte es zum Beispiel Oskar Lafontaine gehalten, der die SPD ihrer Politik wegen verließ und erst dann für eine andere politische Formation warb. Das war eine klare Entscheidung – weit entfernt von Clements Lavieren, der in der Partei bleiben möchte, deren Politik er auf vielen Feldern ablehnt, was nur heißen kann, von innen heraus den Spaltpilz zu befördern. Der Ex-Wirtschaftsminister im Kabinett Schröder bekräftige das gar noch während des Verfahrens intern wie öffentlich, indem er Wiederholung nicht ausschloss. Solches Verhalten ließ dem Landesschiedsgericht gar keine andere Wahl, um der SPD ihre Integrität zu bewahren und nicht zu einem beliebigen Diskussionsklub verkommen zu lassen.

Wer nun am lautesten aufschreit, sind die Heuchler, die zwar Kritiker der Agenda 2010 intern wütend beschimpften und ihnen – wie es zum Beispiel Franz Müntefering als Bundestagsfraktionschef tat – auch damit drohten, sie bei kommenden Kandidatenaufstellungen nicht mehr zu berücksichtigen, Clements Verhalten, das sie jetzt beschönigend einen »Fehler« nennen, aber in keiner Weise rügten. Plötzlich erkennen sie den »Wert von Flügeln« in der SPD, nachdem sie in der Vergangenheit alles versuchten, die Parteilinken an den Rand zu drängen; auch jetzt reduzieren sich Linke bei ihnen auf Erhard Eppler, Andrea Nahles und allenfalls Hermann Scheer, Andrea Ypsilanti gehört nicht zu den Geduldeten. Vor allem aber rufen sie teils ganz offen zur Missachtung der Meinung der Parteibasis auf, denn diese war es schließlich, die allein die Auseinandersetzung mit Clement betrieb. Während sich Oskar Lafontaine lautstarke Kritik nicht nur der Basis, sondern auch der Führung gefallen lassen musste, schwieg sich letztere über Wolfgang Clement aus – vielleicht weil er die SPD nach links verließ und nicht aus sozialdemokratischer Perspektive nach rechts schwenkte, nämlich direkt ins Unternehmerlager.

Vor diesem Hintergrund ist das Verfahren um Clement erneut eine Nagelprobe über die künftige Linie der SPD, denn natürlich geht es nicht nur um dessen Auftreten im hessischen Wahlkampf. Er ist mit anderen angetreten, die SPD dauerhaft zu einer Wirtschaftspartei zu machen, die sich zusammen mit der Union für lange Zeit auf den Regierungsbänken einzurichten gedenkt. Dem dient nicht nur die Favorisierung Steinmeiers als Kanzlerkandidat, sondern auch die erkennbare Offensive der Agenda-Politiker auf allen Feldern – bis hin zur angekündigten Revitalisierung Gerhard Schröders in kommenden Wahlkämpfen. Auf der Linken sehen die »Schröderianer« schon lange keine Zukunft mehr für die SPD, wie sie sie verstehen, sondern nur noch als Mehrheitsbeschaffer für eine Politik der Umverteilung nach oben. Für einen solchen Kurs allerdings könnte ein Parteiausschluss Clements »suizidal« sein, wie es Otto Schily nannte. Gerade darin aber liegt wohl auch die letzte Chance der SPD als einer Partei, die sich als Interessenvertreter der Schwächeren in der Gesellschaft versteht.

2 Replies to “Die SPD und ihre Abtrünnigen – die Fälle Lafontaine und Clement”

  1. Wenn man sich als halbwegs politisch interessierter Mensch das derzeitige Treiben in der SPD um die causa Clement ansieht, kann einem eigentlich nur noch das Grausen packen und die Frage, weshalb die sog. Politikverdrossenheit in der Gesellschaft zunimmt, beantwortwt sich wie von selbst.

    Freilich ist niemandem damit geholfen, nur in das allgemeine Klagelied über „die Politiker“ einzustimmen und sich dann frustriert und selbstzufrieden womöglich wieder in die Wunderwelt der Medien zu stürzen, wo alles anders und alles besser ist. Wenn die Politik und die von uns gewählten Politiker nicht so sind, wie wir uns das vorstellen und gerne hätten, gibt es in einem demokratischen Land immerhin die (theoretische) Möglichkeit, sich selber zu engagieren – wie jemand das im einzelnen macht und wie groß die Chancen auf Veränderung auch sein mögen.

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