Das Elend des Fernsehens als Problem der öffentlich-rechtlichen Sender

Haarscharf argumentieren alle, die sich von Marcel Reich-Ranickis harscher Kritik am Fernsehen getroffen fühlen, am eigentlichen Kern seines Unbehagens vorbei und bauen einen Pappkameraden auf, an dem sie sich abreagieren können, ohne die eigene Verantwortung für die Misere des elektronischen Massenmediums auch nur zu streifen. Das gilt für Intendanten, Macher und wohlfeile Kritiker gleichermaßen; sie können zwar die Fernseh-Realität nicht wirklich verteidigen, weichen aber zur Schonung der eigenen Person schnell auf einen Nebenkriegsschauplatz aus.

Marcel Reich-Ranicki ging es kaum um »das« Fernsehen. Natürlich weiß auch er, dass spätestens mit der Hochpäppelung der Privatsender auch hier das Gewinnprinzip Einzug gehalten hat: Mit möglichst geringen Kosten muss etwas produziert werden, das möglichst viele konsumieren, damit es für die Produzenten den erwünschten Profit abwirft. Und sei es durch den Appell an die niedrigsten Instinkte, an das Primitive, das es im Menschen von seiner Evolution her natürlich gibt, das aber um des Menschseins willen zurückgedrängt werden muss – zum Beispiel durch Bildung und Erziehung. Diese Begriffe sind für viele Produzenten des Privatfernsehens Fremdworte; für sie gilt nur der – am Ende finanzielle – Erfolg. Sie sind da nicht anders, als die derzeit so heftig gescholtenen Banker; auch ihnen sind für den Maximalprofit alle Mittel recht.

Diese Entwicklung des Fernsehens ist im Kapitalismus objektiv; sie war nicht aufzuhalten und ist nicht rückgängig zu machen. Das aber muss nicht heißen, dass sich alle diesem Trend unterwerfen, zum Beispiel nicht die öffentlich-rechtlichen Sender. Sie sind von ihrer Verfasstheit her keine Bestandteile des Profitsystems, denn sie beziehen ihre Gelder vorwiegend von den Zuschauern und haben deshalb denen gegenüber eine Verantwortung – vor allem hinsichtlich ihrer kulturellen und ästhetischen Bildung und Erziehung. Über diesen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sollen Politiker wachen, die daher in beträchtlicher Zahl in den Fernsehräten sitzen. Und tatsächlich schwätzen Politiker seit Jahren über den Wert von Bildung und was man alles tun müsse und wolle, um daran so viele wie möglich teilhaftig werden zu lassen. Doch im Fernsehen, wo sie die Möglichkeit hätten, ihren Worte wenigstens auf einem kleinen Feld auch Taten folgen zu lassen, akzeptieren die gleichen Politiker ein weitgehend bildungsfernes Programm. Daher bekommt der Fernsehzuschauer für einen Betrag, der monatlich etwa einem Zeitungsabonnement entspricht, etwas geboten, das er oft überhaupt nicht haben will, woraus die wachsende Kritik an den Fernsehmachern resultiert. Eine Zeitung, die ihn derart unzureichend bedient, kann man wechseln, das Fernsehprogramm nicht wirklich. Da muss man neben dem wenigen Sehenswerten massenhaft Müll mitbezahlen.

Oft wird eingewandt, dass viele Zuschauer gerade das Primitiv-Fernsehen wollten und bei anspruchsvolleren Sendungen abschalteten. Einige der sich so verteidigenden Macher werfen – wie Thomas Gottschalk jüngst in der Diskussion mit Reich-Ranicki – ihren Kritikern gar Überheblichkeit vor und verlangen allen Ernstes, sie sollten sich doch auch auf das niedrige Niveau herab begaben, um diese Zuschauer zu erreichen. Wer so argumentiert, blendet natürlich aus, dass er selbst die Zuschauer erst zu ihrem geringen Anspruch erzogen hat. Wer fast nur noch billigen Klamauk oder ölige Schunkelmusik geboten bekommt, weiß es bald nicht mehr besser und hat den Zugang zu geistig fordernderen Angeboten verloren. Insofern haben sich die Müll-Produzenten im Fernsehen ihr Publikum erst geschaffen, um es nun umso pausenloser zu bedienen. Dass die öffentlich-rechtlichen Sender dem jedoch ihrerseits oftmals kein Programm entgegensetzen, das die Zuschauer zum Denken anregt, geistigen Genuss empfinden lässt und sie so für Anspruchsvolles auf Dauer empfänglich macht, ist das eigentliche Elend des derzeitigen Fernsehens. Bei der Suche nach dem Super-Primitiven können sie gegen die Privaten nur verlieren. Ihre einzige Chance liegt bei den oft zitierten »Höhen der Kultur«. Bisher jedoch haben sie das nicht begriffen, und wie es aussieht, sind nach der Polterkritik Reich-Ranickis die Kompanien der Intendanten, Macher und Kritiker schon wieder unterwegs, damit sich daran nichts ändere.

One Reply to “Das Elend des Fernsehens als Problem der öffentlich-rechtlichen Sender”

  1. Auf die Kritik der anspruchsvollen „Kundschaft“ an dem „sinnfreien“ Show-Fernsehen des bloßen Zeitvertreibs ohne irgendeine ernsthafte Botschaft für den „Konsumenten“ könnte man lapidar entgegnen:
    „Es zwingt dich doch keiner, die Flimmerkiste anzumachen!“

    Aber da fängt das Problem schon an, was man in den politisch quirligen sechziger Jahren der Studentenunruhen im Westen und der offenen Kritik am kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem als „repressive Toleranz“ bezeichnet hat. Diese Art von Toleranz ist ihrem Wesen nach aber alles andere als freigeistig und aufgeschlossen für die Meinungen anderer und Andersdenkender überhaupt. Nur vorgespielt, in schier übermächtiger Beeinflussungsfähigkeit des Massenpublikums kommen Toleranz und Pluralismus hier daher, um wirkliche Kritik zu nichts mehr als einem vernachlässigbaren Rauschen im uniform gemachten Meinungsstrom der buntgescheckten Einfältigkeit werden zu lassen.

    Was in der DDR und Mielkes Stasi-Behörde noch mühselig und kleinteilig mit Hilfe einer Heerschar von hauptamtlichen und inoffiziellen IMs versucht wurde zu leisten, das schafft ein erbärmliches Gesäusel in den gewinnwirtschaftlichen Konsummedien ganz ohne Gewalt und Unterdrückung, nur mit „repressiver Toleranz“, weil ein möglicher Adressat für Gesellschafts- und Kulturkritik scheinbar gar nicht auszumachen und vorhanden ist. Der „große Bruder“ aus George Orwells „1984“ heißt in 2008 Thomas Gottschalk. Der aber und die anderen Größen der Unterhaltungsbranche sind nette Menschen (mit Ausnahme vielleicht des Rowdys Dieter Bohlen, soviel Kritik muß sein) und nicht gefährlich. Auch bemüht man sich bei den Machern des TVs, mit den Kritikern im Gespräch zu bleiben und diese möglichst einzubinden. Und damit dürfte schließlich erwiesen sein, daß nahezu alles, was Marcel Reich-Ranicki an Kritik am heutigen Fernsehen geäußert hat, nichts weiter als „verbale Inkontinenz“ eines greisen alten Mannes ist – und politische Einmischung „out“ ist.

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