Steinmeiers letztes Gefecht

Das Ergebnis des gestrigen SPD-Parteitages war zu erwarten; es war für die Partei faktisch alternativlos, trotz seiner bisherigen Erfolglosigkeit Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten den Rücken zu stärken. Er wurde damit in sein letztes Gefecht geschickt, das – ebenso wie seine Parteikarriere – akkurat am 27. September, 18 Uhr, enden dürfte. Noch einmal haben sich alle Flügel der SPD um ihn versammelt – mit Erwartungen, die allerdings weit auseinander gehen. Sehen die einen im Schröder-Vertrauten das letzte Aufgebot zur Rettung ihrer neoliberal beeinflussten Politik, die in der Agenda 2010 gipfelte, so kalkulieren die anderen – ohne es natürlich zuzugeben – bereits dessen Niederlage ein, auf deren Trümmern sie eine andere Linie durchzusetzen gedenken, die sich den alten sozialdemokratischen Traditionen in stärkerem Maße verbunden fühlt.

Dabei haben die Agenda-Vertreter derzeit ohne Zweifel die besseren Karten. Zwar glauben auch sie kaum noch daran, bis zur Bundestagswahl einen solchen Aufschwung zu erreichen, dass sie die nächste Bundesregierung führen können – mit der neoliberalen FDP und den zumindest wirtschaftspolitisch auch immer stärker in diese Richtung marschierenden Grünen im Schlepptau. Ein solches Bündnis, das nicht zufällig vor allem Franz Müntefering immer wieder beschwört, garantierte ihnen allein durch seine Zusammensetzung die Fortsetzung – und Verschärfung – des Agenda-Kurses. Vor allem der SPD-Chef, der schon nach der letzten Bundestagswahl alle »unfair« nannte, die seine Partei an die Wahlversprechen erinnerten, würde unter Hinweis auf die beiden Koalitionspartner recht schnell alles abräumen, was jetzt aus taktischen Gründen noch ins Wahlprogramm geschrieben wurde. Und im wahrscheinlicheren Fall des Scheiterns eines solchen Bündnisprojektes stünde die Fortsetzung der großen Koalition ins Haus – eine Konstellation, in der sich die derzeitigen SPD-Minister bereits vier Jahre lang recht wohl gefühlt haben und deren Verlängerung sie, wie immer wieder hinter ihren vorgehaltenen Händen verlautet, nicht als Katastrophe betrachten würden.

Ganz andere Hoffnungen verbindet der – allerdings ziemlich heterogene – linke Flügel mit dem Wahlergebnis im September. Auch er rechnet nicht mit einem Sieg der SPD und will eigentlich schon am Wahlabend mit grundsätzlicher Manöverkritik beginnen, um danach nicht nur einige inhaltliche Schwerpunkte neu zu bestimmen, sondern vor allem auch die eigene Karriere zu fördern. Die Nahles, Wowereit, Sellering und andere dürften nach einem SPD-Desaster die Zeit für gekommen sehen, sich für 2013 aufzubauen – eine Wahl, für die sich die meisten der jetzigen Spitzenpolitiker schon aus Altersgründen kaum noch Chancen ausrechnen können. Leicht wird das dennoch nicht werden, und zumindest ein schneller Erfolg der »jungen Garde« ist nicht zu erwarten. Denn die Agenda-Politiker dürften alles tun, um ihre Macht zu erhalten. Sie werden erneut in die Regierung mit der Union streben und sorgsam darauf achten, dass auch bei einem möglicherweise altersbedingten Wechsel der Rechtskurs der SPD nicht gefährdet wird – so ähnlich, wie nach dem Ausscheiden Münteferings aus dem Kabinett, dem mit Olaf Scholz jemand nachfolgte, der als SPD-Generalsekretär einst darauf hin arbeitete, den Begriff »Sozialismus« aus der SPD-Programmatik zu streichen.

Die Hauptauseinandersetzung wird auch dann um das Verhältnis zur Linkspartei geführt werden. Während der linke Flügel der SPD nicht nur wenig Berührungsängste nach links hat und auch nicht unter einem Lafontaine-Komplex leidet, dürften die Agenda-Anhänger weiter auf ihrem Kurs bleiben, lieber als Juniorpartner unter Angela Merkel zu agieren, als eine Regierung unter Einschluss der Linken anzuführen. Zum einen wirken hier ideologische Vorbehalte, die offensichtlich – bei allem sozialdemokratischen Opportunismus – nicht aus der Welt zu schaffen sind, zum anderen wird in einer solchen Konstellation wohl nicht zu Unrecht eine Verschiebung der innerparteilichen Machtverhältnisse befürchtet, die über kurz oder lang zum Beispiel dem rechten Seeheimer Kreis seinen derzeitigen Einfluss beschnitte. Hinzu kommt natürlich der Einfluss des konservativen Lagers aus CDU/CSU und FDP, das auch weiterhin alles tun wird, jede Zusammenarbeit mit der Linkspartei zu verteufeln. Schließlich ist die Verhinderung eines solchen Bündnisses für die Konservativen die beste Garantie, dass es in der Bundesrepublik weder zu einer machtstrategischen noch gar zu einer echten politischen Alternative zu den herrschenden Verhältnissen kommt. Gerade daraus speist sich der Widerstand gegen jegliche Tendenz nach links – auch innerhalb der SPD. Die dort nur noch rudimentär beheimatete Linke macht zumindest derzeit keineswegs den Eindruck, dass sie ihn überwinden könnte.

One Reply to “Steinmeiers letztes Gefecht”

  1. In der Tat ist es so, daß der linke Flügel bei den Sozialdemokraten kaum noch zu vernehmen ist. Immerhin hat deren wohl bekanntester Protagonist, der glücklose Ottmar Schreiner, ein die realen Verhältnisse in diesem krisengeschüttelten Land korrekt erfassendes Buch geschrieben.

    http://www.amazon.de/Die-Gerechtigkeitsl%C3%BCcke-Politik-Gesellschaft-spaltet/dp/3549073496
    Die Gerechtigkeitslücke: Wie die Politik die Gesellschaft spaltet: Ottmar Schreiner: Amazon.de: Bücher

    Helfen wird`s der im Dauerumfragetief befindlichen SPD und den auf Abwegen befindlichen „Agenda-Sozen“ freilich auch nicht mehr bis zur Bundestagswahl. Und was wird nach Steinmeiers und auch Münteferings letztem Gefecht am 27. September folgen? Oder: Wie tief muß die SPD noch fallen, bis sie begreift, daß sie ihre „sozialdemokratische Seele“ verkauft hat? Warum muß das sozialdemokratische Reformprojekt ausgerechnet von den eigenen Leuten zu Grunde gerichtet werden?

    Man möchte nach dem inszenierten Jubelparteitag vom Wochenende erst recht sarkastisch fragen, ob man nicht gleich FDP wählen sollte, um der neoliberalen SPD eins auszuwischen. Aber mit einem derart skrupellosen Akt würden man der Lafontaine-und-Gysi-Truppe nur Unrecht tun.

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