Ralf Stegner inszeniert sich in Kiel als letzter wirklicher Sozialdemokrat

Im Berliner Willy-Brandt-Haus dürfte man nicht sehr amüsiert gewesen sein. Bislang hatte SPD-Parteichef Franz Müntefering seine große Aktion »Opposition ist Mist« einigermaßen in Ministersessel umsetzen können. Neben der Krönung mit dem Berliner Gespann Merkel/Steinmeier
gab es »Große Koalitionen« immerhin schon in fünf Bundesländern, vier davon im Osten (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt), dazu eben Schleswig-Holstein. Gute Aussichten bei bevorstehenden Wahlen deuteten sich in Thüringen und im Saarland an. Die Sozialdemokraten waren auf dem Weg zum ewigen Mitregierer, wenn auch in der Regel nur als Junior. Aber was tat‘s? Wichtig war Dabeisein, denn von ihrer Rolle als zweiter großer Volkspartei, für die Opposition eben nicht nur Mist, sondern die Möglichkeit zu eigener alternativer Gestaltungskraft ist, hat sich die SPD längst verabschiedet. Das führte zum Aufschwung der angeblich so ungeliebten großen Koalitionen als Regierungsform uneingeschränkter Beliebigkeit und damit maximaler Konfliktscheu. Das Ergebnis: Für alle Probleme werden inzwischen nur noch Lösungen auf kleinstem gemeinsamen Nenner gefunden.

Da ist nun Ralf Stegner dazwischengefahren. Der schleswig-holsteinische SPD-Landeschef ist von seinem Temperament wie seinem brennenden Ehrgeiz, selbst den Kieler Ministerpräsidentenstuhl zu besteigen, dafür prädestiniert, doch zugleich war und ist sein Vorgehen ganz objektiv auch so etwas wie ein letzter Abglanz alter sozialdemokratischer Oppositionspraxis. Stegner lehnte es stets ab, um der Koalition mit der CDU willen noch die größten sozialen Grausamkeiten durchzuziehen; kein anderer in seiner Partei hat das jüngst noch gewagt. Die letzte war Andrea Ypsilanti – und die wurde denn ja auch von ihrer Parteiführung und deren Hilfstruppen vor Ort in Hessen grausam abgestraft.

Natürlich hat Ministerpräsident Peter Harry Carstensen Stegner solch ungewohnte sozialdemokratische Konsequenz leicht gemacht. Sein Ziel war stets, die beargwöhnten Sozis so klein wie möglich zu halten, wozu er am Ende – wie weiland Uwe Barschel, einer seiner Vorgänger – vor der offenen Lüge nicht zurückschreckte, er versagte sich allerdings das bombastische »Ehrenwort«, mit dem Barschel sein Haut zu retten versuchte. Dafür trat Carstensen nach Stegners letzter Unbotmäßigkeit kräftig nach, indem er die SPD-Minister in Windeseile aus ihren Büros hinausbeförderte. Er hofft, im Windschatten der Kanzlerin auf ein Landtagswahlergebnis, das ihn endgültig von Stegner befreit; dass in der Zwischenzeit diverse Skandale – wie um die HSH Nordbank und das Atomkraftwerk Krümmel – auf Eis liegen, ficht ihn nicht an. Im Gegenteuil, es dürfte zu seinem Kalkül gehören, dass beide Themen erst nach dem Wahltag mit ihrer ganzen Schrecklichkeit auf die Agenda zurückkehren.

Carstensens Rechnung dürfte aufgehen – nicht zuletzt, weil ein Stegner nicht in die gegenwärtige SPD-Strategie passt. Natürlich überbieten sich jetzt alle Sozialdemokraten mit Solidaritätsadressen – wie sie das schon bei Ypsilanti taten, doch die Messer gegen den Abtrünnigen von den »Opposition-ist-Mist«-Linie werden gewiss schon gewetzt. Bis zur Wahl, die nun wohl mit der Bundestagswahl zusammenfällt, wird man ihn gewähren lassen, denn da kann ein wenig alt-sozialdemokratische Inszenierung nicht schaden. Danach aber wird die SPD-Spitze alles daran setzen, in den regierenden Wärmestuben zu verbleiben, in denen sich ihre Leute inzwischen so gut eingerichtet haben. Dann wird sie Ralf Stegner auch in der Partei als das betrachten, was er für die CDU Schleswig-Holsteins von Anfang an war:  ein Störenfried.

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