Schweizer Bankdaten und die Moral der Kriminellen

Wieder einmal sind die Egomoralisten unterwegs, jene also, die sich ihre moralischen Maßstabe nach dem eigenen Vorteil zurechtbiegen. Für sie ist der Diebstahl von Daten, die Aufschluss über heimliche Steuerhinterziehung geben, natürlich ein schweres Vergehen – viel schwerer wiegend als das ursprüngliche Delikt, der Diebstahl von Geldern, die nach Recht und Gesetz dem Staat, also der Allgemeinheit zustehen. Nichts anderes ist schließlich im Kern Steuerhinterziehung.

Bei der Beurteilung solcher Fälle, die von den Delinquenten oft verkompliziert werden, damit man ihr Wesen nicht erkennt, empfiehlt es sich mitunter, den von Angela Merkel einst ins Gespräch gebrachten Standpunkt einer »schwäbischen Hausfrau« einzunehmen, sprich: den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Danach ist der Diebstahl der Schweizer Kontendaten in dieser Sache nicht der erste Gesetzesbruch, sondern ihm ging ein anderer bereits voraus, der Diebstahl von Steuergeld. Vereinfacht: Jemand hat einem anderen etwas gestohlen. Nun kommt der nächste Dieb ins Spiel und klaut seinerseits dem ersten Dieb den Schlüssel zu dem Tresor, in dem der die Beute aufbewahrt. Diesen Schlüssel, der ihm selbst wenig nützt, behält er nicht, sondern bietet ihn dem ursprünglich Bestohlenen gegen eine schöne Belohnung an. Was erwarten wir nun vom Geschädigten? Dass er den Schlüsseldieb anzeigt oder auf das Geschäft eingeht, um seinen Besitz wiederzuerlangen? Nur der erste Dieb und seine Komplizen können auf erstere Idee kommen.

Natürlich passt das Ganze sehr gut in ein Gesellschaftssystem, das den Gesetzesbruch in vieler Hinsicht zum normalen Verhalten gemacht hat – vor allem dann, wenn es um Besitzstände der Begüterten geht. Nur deshalb wird Steuerhinterziehung sehr gern als Kavaliersdelikt behandelt, während gegen den in seinem Ausmaß dagegen lächerlichen »Sozialmissbrauch« eines Hartz-IV-Betroffenen mit großem detektivischen Aufwand vorgegangen wird. Der Staat, der jetzt vor »Mittäterschaft mit Dieben« gewarnt wird, macht sich in anderen Fällen sehr schnell zum Mittäter zum Beispiel von Steuerhinterziehern, die darauf – ganz anders als jetzt – noch nie mit empörter Kritik reagierten.

2 Replies to “Schweizer Bankdaten und die Moral der Kriminellen”

  1. „Was erwarten wir nun vom Geschädigten? Dass er den Schlüsseldieb anzeigt oder auf das Geschäft eingeht, um seinen Besitz wiederzuerlangen?“
    Schöner Vergleich. Nur ergänze: „Dass er den Schlüsseldieb anzeigt und auf seinen Besitz verzichtet“.

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