Wie das Bundesverfassungsgericht mit dem Hartz-IV-Urteil das System zu stabilisieren versucht

Das vernichtende Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Hartz IV stellt dem Erfinder des wohl in jüngerer Zeit drakonischsten sozialen Umverteilungsprogramms von unten nach oben, der einstigen rot-grünen Bundesregierung, wie auch der freudig zustimmenden damaligen bürgerlichen Opposition ein denkbar schlechtes Zeugnis aus; redet man Klartext, haben sich die Beteiligten am sozialen Hartz-IV-Kahlschlag samt und sonders als Verfassungsfeinde erwiesen.

So hart formuliert es natürlich Karslruhe nicht, wie überhaupt das Urteil abseits der teilweise drastischen verbalen Schelte in der Sache selbst den mit Hartz IV verbundenen Denkmustern erstaunlich deutlich verhaftet bleibt. Denn das Urteil stellt keinesfalls die Wirtschaftsverfassung in Frage, die sich in Deutschland in den letzten Jahren herausgebildet hat und die durch eine ständig zunehmende Verlagerung von Produktionskosten weg von den Unternehmen und hin zur Allgemeinheit gekennzeichnet ist. Auch hier der Klartext: Die Wirtschaft erwartet immer mehr, dass die Gesellschaft ihren steigenden Profite dadurch nicht nur absichert, sondern ständig noch erhöht, dass sie sukzessive anfallende Verbindlichkeiten übernimmt. Das betrifft vor allem Lohnkosten, aber immer öfter auch Investitionsmittel, die vom Staat über Subventionen oder die Minimierung von Kreditrisiken erwartet werden. Und das bei gleichzeitiger Verweigerung jener Steuermittel, aus denen heraus allein der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Insofern waren die Hartz-IV-Gesetze nur der willige Vollzug von Wirtschaftforderungen. An der Macht der Wirtschaft aber will natürlich das Bundesverfassungsgericht nicht rütteln, gehört sie doch zu eben jenem Grundgesetz, das es zu schützen hat.

Aus eben diesen Selbstverständnis heraus sieht sich jedoch Karslruhe auch nicht in der Lage, dem Gesetzgeber eine zwingende Erhöhung der Hartz-IV-Sätze vorzugeben. Denn das Gericht fühlt sich dem Funktionieren das bestehenden Staates verpflichtet, was seine finanzielle Überforderung ausschließt. Es erkennt jedoch das Dilemma, das aus aus den – auch von ihm durchaus akzeptierten – Forderungen der Wirtschaft einerseits und der objektiven Finanzsituation des Staates erwächst und versucht darauf eine das Gesamtsystem stabilisierende Antwort zu geben.

Diese besteht zum einen in der scharfen Rüge an die Politik, dass ihr nichts Besseres zur Bewältigung des Problems einfiel als bürokratenherrliche Pauschalierungen, die zudem noch von einem total überholten, im Grunde erzkonservativen Menschenbild ausgehen. Damit aber öffnet das Bundesverfassungsgericht nur ein kleines Ventil zum Ablassen von Unmut, weshalb es darüber hinaus die ernste Mahnung an den Gesetzgeber richtet, beim nächsten Umverteilungsprojekt phantasievoller vorzugehen. Denn natürlich sehen die Verfassungsrichter auch die Gefahr, dass die Wirtschaftsweise der Globalisierung den inneren Frieden im Lande beeinträchtigen könnte. Die weltweite Geldvernichtung des Finanzkapitals ist als objektiver Prozess des heutigen Kapitalismus nicht aus der Welt zu schaffen, und die tiefe Krise der Realwirtschaft mit all ihren sozialen Verwerfungen hält an. Beides birgt Risiken, die Verfassungswächter schon qua Amt deutlicher erkennen als kaum über den Tellerrand blickende Politiker. Und sie wähnen diese Gefahren offensichtlich schon so nahe, dass sie der Politik nur noch eine kurze Frist zum Gegensteuern einräumen mögen.

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