Angela Merkel – Politik im Schaukelstuhl

Zehn Jahre Parteivorsitzende – damit ist Angela Merkel noch ein Stück weit von Konrad Adenauers 16 Jahren oder gar von Helmut Kohls Vierteljahrhundert entfernt, doch alle anderen CDU-Chefs – von Erhard bis Kiesinger, von Barzel bis Schäuble – ließ sie bereits hinter sich.

Politik im Schaukelstuhl

CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat machtfixierten Pragmatismus zum Prinzip erhoben – seit zehn Jahren mit Erfolg

10 Jahre Merkel  Fotos: dpa
10 Jahre Merkel Fotos: dpa

Die jüngste Entscheidung Angela Merkels sagt viel darüber, wie sie Politik versteht. Eigentlich wollte sie auch den gestrigen Tag im Urlaub auf den Kanaren verbringen, aber eine Kampagne der »Bild«- Zeitung und dringende Forderungen aus Politik und Militär veranlassten sie dann doch zur Teilnahme an der Trauerfeier für drei in Afghanistan gefallene Bundeswehrsoldaten. Es ist natürlich immer gut, wenn Regierende mit den bitteren Folgen ihrer Politik konfrontiert werden, doch allzu deutlich wurde auch hier das taktische Kalkül, das den Kanzlerinnensessel leicht zum Schaukelstuhl macht. Kaum echte Anteilnahme, sondern sorgsame Rücksichtnahme auf Stimmungen in ihrer Partei und bei der Wählerklientel der Union haben ihre Entscheidung bestimmt – eine Praxis freilich, die auch Geheimnis ihres Erfolgs im CDU-Spitzenamt ist.

Innerhalb von zehn Jahren aus dem politischen Nichts einer angepassten mittleren DDR-Forscherlaufbahn zur Vorsitzenden der im anderen Deutschland dominierenden Partei geworden zu sein, war gewiss ungewöhnlichen Umständen und etlichen für sie glücklichen Fügungen zu danken. Dass es ihr gelang, in diesem Amt nun schon zehn Jahre zu verharren – mit allen Aussichten, es noch einige Zeit auszuüben, kann sie ihrer Lernfähigkeit zugute halten.

Die gefährlichste Situation durchlebte Angela Merkel am Abend des 18. September 2005, als sie als Kanzlerkandidatin mit 35,2 Prozent eines der schlechtesten Wahlergebnisse für die Union einfuhr; nur um den Preis einer im Wahlkampf vehement abgelehnten Großen Koalition mit der SPD kam sie an die Macht. Der von Schröder, Müntefering und Steinmeier damals verfolgte Kurs nach rechts und der darauf gründende Verzicht auf eine rechnerisch mögliche linke Regierungskonstellation retteten ihr das politische Überleben.

Sie selbst reagierte darauf, indem sie sich weitgehend vom ideologisch geprägten Kurs der alten Union verabschiedete und eine zwar stets bürgerlich-konservative, zugleich aber auch pragmatische, die Mehrheitsverhältnisse im Land sensibel in Rechnung stellende Politik betrieb. Das ist keine Politik des großen Wurfs, der kreativen Zukunftsvisionen, sondern eher eine der kleinen Brötchen, aber dem Naturell Angela Merkels entspricht es, das Überschaubare zu organisieren und damit zugleich Risiken für den Machterhalt auszuschließen.

Anfangs unternahm sie noch einmal den Versuch, der CDU eine Programmatik zu verordnen, als sie mit der Erfindung der »neuen sozialen Marktwirtschaft« neoliberale Politik für ihre Partei zum Markenzeichen machen wollte. Ausfluss dessen waren die Beschlüsse des Leipziger Parteitages von 2003 – mit Steuererleichterungen für die Wirtschaft, Sozialabbau für die Bevölkerung und Kopfpauschale im Gesundheitswesen. Dies führte jedoch zum beschriebenen Wahlresultat, und seither achtete Angela Merkel peinlich darauf, dass soziale Belastungen nicht zu politischen Mehrheiten gegen die Union führten.

In der Koalition mit den Sozialdemokraten bestand diese Gefahr nicht, suchte doch die SPD-Führung bei Hartz IV, der Rente mit 67 und der zunehmenden Entsolidarisierung in der Krankenversorgung immer wieder den Schulterschluss mit CDU und CSU. Zugleich reagierte die Parteivorsitzende auf gesellschaftliche Veränderungen im Land, zum Beispiel in der Familienpolitik, beim Umgang mit Einwanderern und distanzierte sich vorsichtig von einigen überholten rechtskonservativen Positionen.

Dann jedoch der Rückfall in neoliberale Wunschträume, als der Koalitionsvertrag mit der FDP ausgehandelt wurde. Da gab die Parteichefin dem Drängen der Wirtschaftsliberalen beim Partner wie in den eigenen Reihen bereitwillig nach – und sucht nun nach einem Ausweg. Freilich nicht inhaltlich, sondern wieder zuerst machtfixiert, indem sie einige ihrer Vertrauten die bereits in der Probephase befindliche schwarz-grüne Mehrheitsoption fortentwickeln lässt.

Dass nicht ohne oder gar gegen die CDU regiert werden könne, ist zum Hauptmotiv Merkelscher Politik geworden. Solange ihr das gelingt, dürfte sie in ihrer Partei unangefochten sein.

(Veröffentlicht in: Neues Deutschland vom 10.04.2010)