Merkel managt den Bedeutungsschwund der Politik

In der Politik ist es wie im wirklichen Leben. Da kann es – im Unternehmen, der Behörde, dem wissenschaftlichen Institut – noch so kluge Geister geben, kreative Denker, innovative Macher; das Sagen aber haben am Ende sie alle nicht, sondern nur der, der über das nötige Geld verfügt. Er – oder sie – bestimmt, was gemacht wird, und er – oder sie – stützt sich dabei auf jene Leute, die diesen Willen am effizientesten umsetzen können – im Zweifel ohne jede Rücksichtnahme auf Leute, die der Geldgeber in seiner Wirkung für marginal und deshalb für irrelevant hält.

Im Denken des Kapitalisten, wie wir zu Recht den kollektiven Geldgeber unserer Zeit nennen können, hat Politik stets nur eine dienende Funktion. Sie war vor allem in Zeiten willkommen, als es weltweit eine politische Alternative gab; da hatte sie die Aufgabe, diese Alternative zu bändigen und ihre Wirkung auf das kapitalistische Wirtschaften möglichst klein zu halten. Dieser Auftrag an die Politik ist derzeit weggefallen, und auch ihre innere Funktion, die Bevölkerung im Sinne kapitalistischen Denkens zu formieren, hat dadurch an Bedeutung verloren.

Inzwischen hat die Wirtschaft mit ihren riesigen und weit verzweigten Lobbyverbänden sowohl diese propagandistische Ausrichtung als auch – und vor allem – einen Kernbereich der Regierungstätigkeit, die Gesetzgebung, schon weitgehend übernommen. Sogar exekutive Aufgaben zieht sie immer weiter auf sich – wenn man an die zahllosen Wach- und Sicherheitsdienste im Innern und Privatarmeen im Ausland denkt. Politik reduziert sich so immer mehr aufs Verwalten, auf bürokratische Vollzugsvorgänge dessen, worauf die Politik inhaltlich kaum noch Einfluss hat. Und auch da nur auf eher Nebensächliches, während die Wirtschaft die entscheidenden Abläufe unter ihrer Kontrolle hält.

Vor solchem Hintergrund ist logisch, dass vor allem Politiker, die sich – wie immer man sich zu ihnen inhaltlich stellen mag – nicht auf solches Verwalten reduzieren lassen, sondern tatsächlich noch gestalten wollen, zunehmend desillusioniert sind und sich andere Betätigungsfelder suchen. Einige von ihnen mussten zwar erst durch die Wähler unsanft auf ihre Wirkungslosigkeit hingewiesen werden und gingen nur zögernd. Dazu gehörten nicht allein die jetzt genannten Jürgen Rüttgers oder Dieter Althaus, sondern zuvor schon ein Gerhard Schröder, ein Joschka Fischer und ein Franz Müntefering. Andere, die klügeren zumeist, zogen selbst die Konsequenz, wie jetzt Roland Koch und Ole von Beust, auf andere Art auch Christian Wulff demonstrierten. Und vor allem Horst Köhler, der auch jene Ebene kennt, wo die wirklichen Entscheidungen fallen – und sich plötzlich auf der falschen Seite sah. Sie alle folgten damit übrigens einem Oskar Lafontaine, der bereits vor mehr als zehn Jahren die Außensteuerung der Politik erkannte, aber auch einem Gregor Gysi, der es ihm kurzzeitig – frustriert von seinem Senatsamt – gleichtat.

Dass es derzeit eine Häufung solcher erzwungenen wie freiwilliger Rücktritte gibt, ist teils vielleicht Zufall; noch mehr aber verweist es vor dem Hintergrund der Vorgänge auf den Finanzmärkten und ihren nötigenden Auswirkungen auf die Politik auf deren eklatanten Bedeutungsschwund fast hinunter auf Null. ,

Es macht vielleicht die Stärke von Angela Merkel aus, dass sie – ganz anders beispielsweise als die sich in allerlei Spekulationen ergehenden Medien – diesen Sachverhalt offensichtlich begriffen hat. Sie weiß wohl mit ihrer Prägung durch die Naturwissenschaft längst, welches die Triebkräfte der gegenwärtigen Gesellschaft sind und wie wenig sie als Politikerin darauf wirklich Einfluss nehmen kann. Ihrem Naturell, das ohnehin langfristigen Konzepten oder gar Visionen wenig abgewinnen kann, kommt das entgegen. Sie sieht ihre Daseinsberechtigung allein darin, den objektiven Bedeutungsschwund der Politik einigermaßen zu managen, den Laden, wie sie gern sagt, zusammen zu halten.

Darin unterscheidet sie sich auch von Guido Westerwelle, der noch glaubt, Politik gestalten zu können und damit gerade grandios scheitert. In diesem maßlosen Anspruch des FDP-Vorsitzenden zeigt sich auch seine Beschränktheit – ist es doch seine Partei, die mit ihrem politischen Credo, den Staat zu entmachten und ihm dazu als erstes die Finanzmittel zu entziehen, besonders intensiv auf den Bedeutungsschwund der Politik hinarbeitet.

Was die Kanzlerin betrifft, kann man ihr unter den obwaltenden Verhältnissen durchaus noch eine Zukunft voraussagen. Das Managen politischen Bedeutungsschwundes bedarf keiner weltanschaulich ausgerichteten Parteien mehr – weshalb diese auch in einer tiefen Krise stecken. Es bedarf lediglich eines geschickten Managers – oder einer Managerin, der/die richtigen, weil geistesverwandten Personen um sich sammelt. Deren politische Meinung ist sekundär, und so sollten sie selbst sie auch behandeln. Angela Merkel hat so mit der SPD vier Jahre regiert. Sie bringt dergestalt gerade FDP und CSU auf Linie und kümmert sich kaum um die Befindlichkeiten der eigenen Partei. Sie wird vielleicht geeignete Partner bei den Grünen oder anderswo finden. Für das, was Politik derzeit noch bewegen kann, reichen derlei kleine Brötchen allemal.

2 Replies to “Merkel managt den Bedeutungsschwund der Politik”

  1. Bundeskanzlerin Merkel managt geschickt den weiteren Bedeutungsschwund der den kapitalistischen Verwertungs- und Machtinteressen stets untertänigen Parteipolitik, und Bundespräsident Wulff verteilt derweil fleißig Orden an „verdienstvolle Mitbürger“ wie Trainer Jogi Löw und seine Fußball-Mannen.

  2. Zu erwähnen wäre vielleicht noch, wie der ganze Spaß sich eigentlich nennt:

    Postdemokratie und Brot und Spiele fürs Volk.

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