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Rolf Hochhuths sehr eigenes Regietheater

Offensichtlich hat Rolf Hochhuth inzwischen eingesehen, dass sein 1973 geschriebenes Stück »Lysistrate und die NATO« nicht gerade zum Stärksten in seinem Oeuvre gehört. Wie sonst hätte er nicht nur zulassen, sondern sogar anregen können, dass es auf ihm gehörenden Theaterbrettern unter dem Titel »Inselkomödie« zum Verhackstücken freigegeben wurde.

Das Drama krankte schon vor mehr als 35 Jahren an einem Übermaß an hölzerner politischer Agitation; was Hochhuth noch beim »Stellvertreter« weitgehend gelungen war, einen politischen Vorgang in poetischer Form zu beschreiben, misslang ihm bei diesem schließlich auch weit weniger brisantem Stoff. Es gelang auch nicht, die alte Geschichte, die Aristophanes mit Zeitlosigkeit versehen hatte, in ähnlicher weise noch einmal ins Allgemeine zu transportieren. Vielleicht hat der Dramatiker deshalb sein missratenes Kind geopfert – und damit doch noch etwas Originelles zustande zu bringen versucht: eine ätzende Persiflage auf das Regietheater [1].

Denn nichts anderes lieferten sein Librettist Florian Fries und der spät engagierte Regisseur Heiko Stang dieser Tage in Hochhuths Theater, in dem sonst das Berliner Ensemble spielt, ab. Sie weideten das Stück so weit aus, dass nur noch ein Knochengerüst übrig blieb, das zudem noch

eher einem dilettantisch zusammengebauten Homunkulus glich als einer natürlich gewachsenen Figur. Die Fehlstellen füllten sie mit allerlei sonstigen Schnipseln aus Hochhuths Feder aus, Gedichten zumeist, die in mehr oder minder losen Zusammenhang mit dem Stück standen. Und diese Gedichte versahen sie mit einer Schrammelmusik, die von überall her Anleihen nahm, vor allem aber aus der Operette – und damit dem ursprünglichen Sinn des Hochhuthschen Stückes diametral entgegenstand.

Auf Blut und Eiter, unvermeidliche Requisiten des sich ambitioniert gebenden Regietheaters [2], wurde verzichtet; dafür boten die Macher Strip und Fick im Stile nächtlicher Dauerwerbung des Privatfernsehens. Es war die typische Methode einer Theaterarbeit, die heute als Gipfel aufklärerischer Kunst bezeichnet wird – hier aber glücklicherweise so radikal schlecht dargeboten, dass sie eigentlich niemand ernst nehmen konnte. Dazu passte die Sitzrolle des 106-jährigen Johannes Heesters, gerade weil sie fast schon wieder aus dem Rahmen fiel. Aber dass Hochhuth und seine Mannschaft jene in den Schnürboden verbannte Taube, die jahrzehntelang Markenzeichen wie Botschaft des Berliner Ensembles gewesen war, für die Bratpfanne abschießen ließen, war fast schon zuviel Hintersinn für diese Inszenierung.

Es war gewissermaßen Regietheater für die »Unterschicht«, während sich sonst an den verschwitzt-bedeutungsschweren Sinngebungen der großen Theater das gehobene Publikum delektiert, das diese Kunstwelten so gelassen betrachten kann wie ein grell farbiges abstraktes Gemälde, das zwar die Wahrnehmung kitzelt, aber den Verstand nicht erreicht.