Warum Nazi-Diplomaten die Bundesrepublik besser repräsentieren als SED-Funktionäre

Überraschend ist nicht, dass sich das deutsche Auswärtige Amt vom Machtantritt Hitlers an uneingeschränkt in die nationalsozialistische Politik einordnete – einschließlich der Politik des Krieges und der Massenvernichtung ihrer Gegner, besonders der Juden. Eben sowenig erstaunt, dass all diese formellen oder informellen PGs nach dem Krieg ihr verbrecherisches Tun zu verschleiern suchten, um ihre Karriere im »demokratischen« Deutschland bruchlos fortsetzen zu können. Was an der jetzt keineswegs erstmals bekannt gewordenen, doch endlich ins öffentliche Bewusstsein gerückten aktiven Mittäterschaft deutscher Diplomaten an den nationalsozialistischen Verbrechen allerdings verwundert, ist die Schützenhilfe, die die Täter jahrzehntelang in der Bundesrepublik genießen konnten, ist der Schutzschirm, den über sie Politiker – gleich welcher Couleur – zuverlässig aufspannten.

Es begann mit Adenauer, der das Wort prägte, wer kein sauberes Wasser habe, werde das schmutzige nicht weg schütten. Damit rechtfertigte er die Weiterverwendung von Tausenden NSDAP-Mitgliedern in öffentlichen Ämtern der jungen Bundesrepublik, das neu gegründete Auswärtige Amt eingeschlossen. Die anfängliche Verunsicherung der ihrer Verbrechen durchaus bewussten Nazi-Diplomenten legte sich schnell, als sie merkten, dass weder die neue deutsche Regierung noch die westlichen Alliierten ihnen am Zeuge flicken wollten; bald wurden sie sogar so dreist, dass sie eine »Zentrale Rechtsschutzstelle« gründeten, die vor allem eine Aufgabe hatte: belastete Nazis vor Verfolgung im Ausland zu schützen, darunter auch solche Massenmörder siw Klaus Barbie und Kurt Lischka. Alle folgenden Außenminister, der Sozialdemokrat Brandt wie etliche Freidemokraten, tolerierten solchen Täterschutz; sie beließen die Belasteten nicht nur in ihren Ämtern, sondern ermöglichten ihnen neue Karrieren und ehrten sie mit reinwaschenden Nachrufen.

Ganz anders verfuhren sie freilich mit Gegnern das Nazi-Regimes. Widerständler hatten weder in der 50er Jahren noch danach eine Chance, im diplomatischen Dienst dieses Landes Karriere zu machen. Sie wurden lange gar als Verräter angesehen und aus allen wichtigen Ämtern ferngehalten. Hans-Dietrich Genscher, Außenminister von 1974 bis 1992, war zwar nach den Balkan-Kriegen einer der glühendsten Verfechter der Jagd auf dortige Kriegsverbrecher und ihre Aburteilung durch internationale Gerichte, doch die riesigen Balken im eigenen Auge hatte er nie wahrhaben wollen. Genscher war es auch, der nach 1989 keinem einzigen DDR-Diplomaten die Übernahme ins Auswärtige Amt ermöglichte, obwohl keiner von ihnen Blut an den Händen hatte – wie sehr wohl einige der von ihm zuvor ge- und beförderten Nazi-Diplomaten. Man sprach damals davon, alte Fehler nicht wiederholen zu wollen, setzte sie aber in Wirklichkeit fort. Denn während die DDR-Diplomaten wie SED-Funktionäre generell ausgegrenzt wurden, blieben die Nazis, sofern sie nicht gestorben waren, auch jetzt noch auf ihren Posten, und die Verblichenen erhielten den ultimativen Persilschein in Form eines Nachrufs, der ihre »Verdienste um die Bundesrepublik« würdigte. Das Wort eines hohen Repräsentanten des NS-Regimes, er sei auf seinem Posten geblieben, um das Schlimmste zu verhindern, wurde stets unhinterfragt akzeptiert, die analoge Rechtfertigung eines SED-Funktionärs in der DDR, ganz gleich auf welcher Ebene, hingegen hohnlachend zurückgewiesen.

Es bedurfte erst eines grünen Außenministers, der eher zufällig auf die sorgfältig geknüpfte Seilschaft stieß und dann noch reichlich zu tun hatte, ihr engmaschiges Netz zu zerreißen. Er veranlasste eine historische Untersuchung der Vergangenheit des Auswärtigen Amtes, deren Resultat nun als das Buch »Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik« vorliegt. Gleichwohl ist auch jetzt der Kampf noch nicht beendet. Zwar dürfte es den »Mumien«, wie die Alt-Nazis im AA genannt werden, schwer fallen, die unbestechlichen Fakten zu bestreiten, doch werden insofern Nebelkerzen geworfen, als man den Skandal auf ein »falsches Eliteverständnis« schiebt, auf das Versagen einiger weniger, während ansonsten die Bundesrepublik die Lehren aus der Geschichte gelernt habe.

Tatsächlich jedoch entbehrt der Vorgang nicht seiner Logik. Die Nationalsozialisten waren schließlich keine Sozialisten. Sie wollten den Kapitalismus nie abschaffen, sondern bekämpften besonders brutal seine Gegner. Weil das so war, fanden die bürgerlichen Funktionseliten der Weimarer Zeit auch nichts dabei, das NS-Regime, das die drohende Gefahr eines kommunistischen Umsturzes und damit des Verlustes ihres Eigentums, ihrer Machtposition, wohl auch ihrer hervorgehobenen beruflichen Stellung abzuwenden versprach, umstandslos zu dienen, alle seine Befehle, einschließlich jener des Völkermords, treu zu befolgen. Sie fanden sogar nichts dabei, wie Frank Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt, »sich aus eigenem Antrieb und nicht nur auf höheren Befehl in fast allen Abteilungen der Vernichtungspolitik Hitlers« anzuschließen. Hintergrund war nicht nur, wie Eckart Conze, einer der Autoren des Buches, an gleicher Stelle vermerkt, die »Teilidentität der Ziele zwischen Diplomatenkreisen und dem NS-Apparat« hinsichtlich der »Sprengung der Ketten von Versailles«, der »Wiederherstellung der Deutschen Reiches als Großmacht, ja als europäische Hegemonialmacht«, also blanker Imperialismus. Hintergrund waren auch soziale Widersprüche, die Conze hier am »traditionellen Oberschichten-Antisemitismus« festmacht, »der sich nicht zuletzt auf Ostjuden bezog, der aber auch den hohen Anteil von Juden in bestimmten gesellschaftlichen Führungspositionen, in den Medien, in Kunst und Kultur, im Finanzsektor, kritisierte«.

Sehr überzeugend arbeitet Schirrmacher die geistige Kontinuität heraus, die den Beamtenapparat des faschistischen Deutschlands nahtlos in den Beamtenapparat der Bundesrepublik übergehen ließ: »… das ist kein nationalsozialistisches Gedankengut, das da über 1945 weitertransportiert wird, und auch keine Verschwörung, um Hitler oder Ribbentrop zu rehabilitieren. Darum ging es nie … Es ging im Kern nicht um Revision oder Restauration. Dieser Apparat hat bis zum Ableben einer ganzen Generation bis in die neunziger Jahre vergangenheitspolitisch nur den einen Antrieb: dass er nicht repariert werden muss, weil niemals etwas falsch gemacht wurde«.

Damit ist er tatsächlich beim Kern: dass niemals etwas falsch gemacht wurde. Der Nationalsozialismus war eben Fleisch vom Fleische des kapitalistischen Systems, wenn auch besonders stinkendes, was aber seine Ausbreitung nicht verhinderte. Im Gegenteil. Klaglos machten sich Millionen Deutsche, und die bürgerlichen Eliten an erster Stelle, nicht nur zu Komplizen der Nationalsozialisten, sondern integrierten sich bewusst in das durch diese besonders effizient gemachte und damit zugleich pervertierte System. Und ebenso klaglos schwenkten sie 1945 um, um in ein neues System zu schlüpfen, das wenigstens eins nicht wollte – das kapitalistische System beseitigen. Das war der Gründungskonsens der Bundesrepublik; dafür hatte sie das Plazet der westlichen Alliierten. Den Kollateralnutzen für alte Nazis glaubte man dabei verschmerzen zu können. Conze verschweigt das nicht: »Auch der Kalte Krieg spielt eine wichtige Rolle, der die Kontinuität antikommunistischer Überzeugungen erlaubte, ja verlangte, und zugleich den Hintergrund bildete für eine zunächst politische, später auch ideelle Westorientierung«.

So weitgehende Zusammenhänge sieht Schirrmacher freilich nicht, noch weniger jenen von der Bundesrepublik als systemkonformem Nachfolger des Nazi-Regimes. Dennoch gibt es da Vergleichbarkeit, die keine Gleichsetzung ist – ganz im Unterschied zum Umgang mit der DDR, bei der aus der Vergleichbarkeit diktatorischer Merkmale sogleich die Gleichsetzung abgeleitet wird. Natürlich ist die Bundesrepublik in keinem seiner Wesensmerkmale und Erscheinungen ein faschistischer Staat – und doch gehört zu ihr geradezu gesetzmäßig, dass Nazi-Diplomaten sie allemal besser repräsentieren als SED-Funktionäre. Was hier wie eine polemische Bemerkung klingen mag, ist in Wirklichkeit ihr eigenes Selbstverständnis, das nicht nur im Umgang mit den DDR-Eliten zum Ausdruck kam, sondern eben auch in den offenen Armen für Verbrecher, wenn sie nur auf der richtigen Seite standen. Und eben auch in der Ausgrenzung nicht nur der systemkritischen Widerständler zum Nationalsozialismus, die sich – noch einmal Schirrmacher – darin zeigte, dass keiner von ihnen »an verantwortliche Stelle zurückkehrte, ja viele um ihre Rentenansprüche kämpfen mussten«.

Dieser fatale Zusammenhang wird weiterhin verschleiert.Vorsorglich ruft Schirrmacher Joschka Fischer zum Kronzeugen dafür auf, dass es zwar eine Kontinuität vom NS-Regime zur Bundesrepublik gegeben habe, die aber nicht ideologisch gewesen sei – und der tappt wohl nicht ungern in die Falle; schließlich gehört auch er mit den Grünen inzwischen zweifellos zum bürgerlichen Establishment, das mit Systemveränderung nichts im Sinn hat. So erfolgt auf die Frage nach den wirklichen Ursachen für die genannte Kontinuität zwischen Nationalsozialismus und demokratischem Rechtsstaat eben nicht die klare Antwort, die erforderlich ist, wenn man – wie in Sonntagsreden immer wieder wortreich beschworen – den Anfängen wehren will.

2 Replies to “Warum Nazi-Diplomaten die Bundesrepublik besser repräsentieren als SED-Funktionäre”

  1. War nicht der Adenauer selkbst der jenige Diplomat der mit Tito, der zu den Siegern gehörte, Agreemet schloß: Tito verzichtet an Reparationszahlungen und Deutschland bringt niemals 750.000 erschossene Deutsche NACH der Kapitulation in Jugoslawien zu rede !?? Kann jemand diese Zahl geschichtlich korrigieren? Der Vertrag scheint mit „geheim“ auf den Misthaufen der Geschichte abgeschoben zu sein, so wie der ZUSATZ zum Einigungsvertrag nach der Wende den Sr.Schäuble und Dr. Werthebach mit der STASI-Generalität ausgehandelt haben (diktiert bekamen?).
    Ob in beiden Fällen im Interesse Deutschland gehandelt wurde bleibt im Unklaren. Wenige werden übed die Existenz von beiden Verträgen jemals erfahren. wobei im Zusatz die Erklärung für die Stimmung und Mißlage erklärbar ist die im Osten mit Steuergeldern finanziert wird zur größten Zufriedenheit der STAZIS und der SED Nomanklatura.

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