Weder Frontwechsel noch Grenzüberschreitung

Das  MfS und seine Geschichte: Mit der Betrachtung zu neuen und ältere Büchern über eine umstrittene Behörde soll vermittelt wer­den, dass Deutschland  sich zwei Jahrzehnte nach dem Anschluss der DDR im­mer noch schwer tut, seine Vergangenheit ausgleichend und gerecht zu beurteilen.

2.Teil: Zum Buch „Fragen an das MfS“

(rhe) Im Auftaktbeitrag der Serie  – zu Stillers im Ch. Links Verlag erschie-nenen Buch „Der Agent“ – war auf  diesen anonymen Spruch – Abreißkalen-der, Datum 21. März – nicht ohne Hintersinn hingewiesen worden

„Wer glaubt, dass man seine Vergangenheit nicht ändern kann,hat noch keine Memoiren geschrieben“.

Nun handelt es sich bei dem knapp 400 Seiten starken Kompendium, in dem auf etwa 200, vor allem von Gymnasiasten, Studenten und anderen unbefriedigt informierten Zeitgenossen immer wieder gestellte Fragen geantwortet wird, keineswegs um Memoiren im herkömmli­chen Sinne. Um die schriftliche Übermittlung eigener Erlebnisse also, durch die persönlich wie zeithistorisch miterlebte Ereignisse festgehalten werden, der Blickwinkel intim, die Per­spektive einge­schränkt. Ganz zu schweigen davon, dass sich sowohl Herausgeber Werner Großmann und Wolfgang Schwanitz, jeweils und zeitweise Stellvertreter von MfS-Minister Erich Mielke, oder die knapp 30 Autoren mit den im Bertelsmann Universallexikon erwähnten berühmten Memoirenschreiber Casanova, Otto von Bismarck, Simone de Beauvoir und  Leni Riefenstahl vergleichen könnten oder gar wollten.

Und doch ist der Inhalt der Erklärungen von ihren Verfassern kaum zu trennen. Von deren oft über Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen also und den dabei erworbenen individuellen Prä­gungen. Denn immerhin: Die einem Erfordernis dieser Zeit folgenden auskunftsbereiten Ant­wortgeber von heute waren die einem ganz anderen Erfordernis folgenden schweigsamen Fragensteller  von gestern.

Leser mit Gedächtnis werden sich an eine mit dem Jahre 1990 beginnende hoch subventio­nierte Flut von Artikeln, Essays, TV-Dokumentationen, Spielfilmen, Büchern und Veranstal­tungen erinnern. Justizminister Klaus Kinkels hat 1991 vor westdeutscher Richterschaft die Richtung für ein zukünftiges Geschichtsbild vorgegeben: „Es muss uns gelingen, das SED-Regime zu delegitimieren.“

Erstaunlich und erhellend zugleich die Ergänzung des Ex-BND-Chefs in der Frankfurter Rundschau vom 26. Oktober 1992: „Was die so genannte DDR und deren Regierung betrifft, so handelt es sich dort nicht einmal um einen eigenständigen Staat, diese so genannte DDR ist niemals von uns staatsrechtlich anerkannt worden. Es gab ein einheitliches Deutschland, von dem ein gewisser Teil von einer Verbrecherbande besetzt war.“

Welche Resonanz derart zukunftsweisenden Überlegungen finden, lässt sich auch an der Per­son des in Talkshows unvermeidlichen Historikers Arnulf Baring festmachen. Er erklärte un­widersprochen, die Leute „da drüben“ seien „verzwergt“ und „verhunzt“. „Ob sich einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist alles egal. Sein Wissen ist auf weite Strecken unbrauchbar“.

Es kann als unvermeidbar gelten, dass nach einem gesellschaftlichen Umbruch wie dem vor zwanzig Jahren, von Leuten wie Kinkel, Barning und Co. die Mitteilungen gemacht werden, die – zu Recht oder nicht, diese Frage ist noch ohne Antwort – als Sieger in der Auseinandersetzung zweier Weltsysteme vom Platz gegangen sind

Bemühen um historische Wahrheit

Es liegt aber auch in der Natur eines Umbruchs, dass mit seiner Interpretation Zweifel ver­bunden sein dürfen. Der Verlagskommentar formuliert es so: „Die Skepsis wächst in dem Maße, wie die Antworten stereotyp und standardisiert erteilt werden. Millionen Euro Steuer­gelder werden für Geschichtspropaganda ausgegeben, damit eine einzig zulässige Sicht ver­breitet wird. So hielt man es im Dritten Reich, und auch die Bundesrepublik liebt es uniform. Warum diese Gleichschaltung des Denken?“

Die Frage scheint berechtigt. Von den Herausgebern wird im Bemühen um historische Wahrheit darauf verwiesen, „dass das Schicksal des MfS und seiner Mitarbeiter keineswegs mit denen anderer DDR-Einrich­tungen vergleichbar ist“. Bereits vor dem Anschluss des Landes hätten Ausgrenzung und Ächtung begonnen, die öffentliche Denunziation verschärfte sich. Mit großem propagandisti­schem Aufwand würde, partiell auch an Fakten und der Wahrheit vorbei,  Indoktrination betrie­ben. Geheimdienste würden in „gute“ (West) und „böse“ (Ost) auseinander dividiert, der Kalte Krieg nach Bedarf ausgeblendet. Unberücksichtigt bliebe auch, „welchen Anteil die Bundesrepublik selbst am Sicherheitsdenken in der DDR hatte“. Das werde in seinem ganzen Ausmaß erst nach vollständiger Öffnung der Aktenbestände der BRD-Geheimdienste hinrei­chend beurteilt werden können. Ob das überhaupt jemals erfolgt und wenn ja wann unter wel­chen Prämissen, wird die Zukunft zeigen.

Soli-Basar der Journalisten Berlin-Alexanderplatz: Mit dabei Herausgeber Werner Grossmann, die Autoren Klaus Eichner und Gotthold Schramm (v.r.); Foto: R. Hempel

Diverse Versuche, DDR-Verhält- nisse fair und ohne Krimi-nalisierung, ohne Hass und Häme öffentlich zu beurteilen, seien – alles in allem – bis dato und de facto gescheitert. Viele DDR- Biographien hätten unter dem herrschen- den Zeitgeist ihr unver-wechselbares Profil verloren. Dieser par-tiell auch wider-sprüchliche Vorgang habe mit Vernunft und poli­tischer Weitsicht nur wenig zu tun. Von dieser Grundüberlegung und einem steigenden In­formationsbedürfnis ausgehend wurden die „Auskünfte über eine Behörde“, so das Buch im Untertitel, konzipiert und formuliert.

Herausgekommen ist ein sachorientiertes, kenntnisreiches Kompendium, dessen partiell auch selbstkritischer Gestus beim Leser zu einem eigenen Urteilen führen soll. Herausgeber und Verfasser sind sich der Schwierigkeiten ihres Vorhabens durchaus bewusst. Sie setzen auf  Zeit, Einsicht, Vernunft und Toleranz „beim gerechten Umgang mit der schwierigen deut­schen Nachkriegsgeschichte zweier deutscher Staaten mit eingeschränkter Souveränität“.

Der in sechzehn Kapital gegliederte Sachbuch-Bestseller (ND vom 24.02. 2010) enthält  Komplexe, mit denen zugleich die Geschichte dieser Behörde und ihre damit verbundenen Problemen aufgehellt werden. Einen gewissen Raum beanspruchen brisante Fragen wie: Hat die Stasi gefoltert? Wie war das mit der Strahlenkanone? Wurde die DDR flächendeckend überwacht? Welche Privilegien hatten die Stasi-Spitzel? War das MfS nicht doch eine verbre­cherische Organisation? Wie war das mit der Telefonüberwachung? Hat das MfS Terror organisiert und unterstützt? Gab es Auftragsmorde und Killerkommandos? Wie war das mit dem Provokateur Gartenschläger? Wurden Todesfälle geheim gehalten? Gab es Geldklau aus Postsendungen? Warum hat das MfS „Andersdenkende“ verfolgt?

Stopzeichen der SED

Allein diese begrenzte Auswahl von Fragen macht deutlich: Grossmann, Schwanitz und ihre Mitstreiter bemühten sich redlich, „ihre Behörde“ im Range eines Ministerium mit ihren Strukturen, Methoden, Mitteln und Aufgaben auch für den unbedarften Laien durchsichtig zu machen. Dabei spielen überwiegend Zahlen, Fakten, Beweise und Belege, hin und wider auch Indizien, nur selten unbewiesene Behauptungen eine Rolle. Fehlurteilen und Legendenbildung soll so begegnet, Vorurteile abgebaut, Verständnis gefördert werden. Ob und in welchem Um­fang das gelingt, ist nicht zu trennen von der Schlagkraft der Sachargumente, der Einsicht des Leser, auch von dessen Bereitschaft, neu oder umzudenken.

Einzurechnen ist natürlich auch, dass es Komplexe und Fragen gibt, die auch heute (noch) nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Um Personen oder Quellen zu schützen, weil Vorgänge – wie beispielsweise die um  die „Rosenholz-Dateien“ – noch unklar sind. Oder wenn andere, früher befreundete Dienste, mit ins  Spiele kommen. Auch dieses Buch kann über Grenzen nicht hinweg, die in der Natur von Geheimdiensten unabhängig  ihrer politischen Zuordnung liegen.

Ein anderer Fragenkomplex  ist der nach jenen Stopzeichen, die seinerzeit weniger durch die Behörde „Schild und Schwert“ selbst, als von ihrer Partei mit dem Selbstverständnis des Alleinvertre­tungsanspruchs gesetzt worden waren, in deren Auftrag  sie zu funktionieren hatte. Stich­worte: mangelnde Öffentlichkeit, fehlende parlamentarische Kontrolle, überzogene Personenüberwachung. Noch gut in Erinnerung ist die – vor allem durch die damaligen „Westmedien“ dokumentierte – Dauerbeschattung von Robert Havemann. Deren exorbitanter Aufwand in keinem Verhältnis zu dem von dieser Person und ihrem Freundeskreis ausgehenden Gefahr stand. Von der selbst verschuldeten internationalen Rufschädigung und den damit verbundenen Kosten ganz zu schweigen.

Hier haben Einsicht und/oder Absicht der Verfasser offensichtlich immer noch ihre ihnen zugewachsenen Grenzen. Sie zu überwinden, würde Fragen zum Demokratieverständnis grundsätzlicher Natur des Staates voraussetzen, in dem zwar das Wort Demokratie, weniger aber der Inhalt dominierte. Ein gravierendes Defizit, an dem auch die „Behörde“ ihren Anteil hat.  Unabhän-gig davon, ob deren Mitar­beiter das Defizit zu ihrer Amtszeit thematisierten, wenn mit welchen Folgen und wie sie sich heute dazu stellen.

Wer vorurteilsfrei ein Fazit zieht, kann nicht umhin, das Buch als überfällig, notwendig, sach­orientiert und insofern auch zielführend zu bezeichnen. In den Medien war zu lesen, dass ein solches Werk zu DDR-Zeiten wohl undenk-bar gewesen wäre. Dazu fehlte es der Führung des Landes an Format.

Alles in allem: Das Buch macht, Kompli­ziertes einfach gedacht, an Fakten orientiert deutlich, warum sich die deutsche Gesellschaft auch zwei Jahrzehnte nach der Wende immer noch schwer tut, ihre Vergangenheit ausgleichend gerecht zu beurteilen. Abzuwarten bleibt, ob in neue Auflagen noch erforderliche Vertiefungen, Präzisierungen und Erweiterungen Eingang finden. Bis vor zwei Jahrzehnten wurde in der damaligen DDR nicht selten auf  Kritik, vor allem dann, wenn sie Grundsätzliches betraf, in unterschiedlicher Tonart mit dem Hinweis reagiert:  Es gibt nichts Gutes gibt, was nicht noch besser gemachen werden könnte…

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Werner Großmann/Wolfgang Schwanitz (Hrsg): Fragen an das MfS; Auskünfte über eine Behörde, Verlag edition ost, 398 Seiten, 18,50 Euro