Fukushima ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel

(pri) Heute ist ein Monat vergangen, seit in Japan die Erde bebte und dabei auch ein Atomkraftwerk so sehr aus den Angeln hob, dass die Gefahr noch lange nicht gebannt ist, vielmehr angesichts einer völlig desorientierten AKW-Betreiberfirma weitere böse Überraschungen zu erwarten sind – und doch haben sich die Atomkraft-Befürworter längst wieder formiert und versuchen, mit den alten Argumenten zu retten, was für sie vor allem zu retten ist – ihren Profit. Sie sind erneut angetreten – wie eh und je – zu suggerieren, dass ein solches Geschehen wie in Japan hierzulande undenkbar sei; Beweise können sie dafür freilich nicht vorlegen. Vielmehr ist das bestehende Wirtschaftssystem selbst der schlagendste Gegenbeweis dafür, dass Fukushima, wenn es erst einmal zu einer Katastrophe kommt, keineswegs eine Ausnahme ist, sondern die Regel.

Natürlich wird es mit fast 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit in Mitteleuropa nicht zu einem Erdbeben der Stärke 9 oder in der Nordsee zu einem Tsunami mit zehn Meter hohen Wellen kommen, aber das ist auch nicht das Entscheidende. Hier sind andere Katastrophen denkbar oder auch nicht denkbar; noch immer hat die Natur Überraschungen bereit gehalten, die menschliches Vorstellungsvermögen übertrafen. Die Vorgänge von Fukushima lehrten, dass – falls die Katastrophe kommt – selbst eine technisch so hochgerüstete Nation wie Japan nicht in der Lage ist, darauf angemessen zu reagieren. In einem Land, das Roboter für alle Lebenslagen entwarf und produzierte, mussten am Ende schlecht ausgebildete und unzureichend ausgerüstete Feuerwehrleute mit Wasserwerfern versuchen, glühende Atomkernstäbe zu löschen – das ist etwa so, als liefe jemand, dem das Haus abbrennt, mit einem Eimer zum nächsten Wasserlauf, um die Flammen zu ersticken. Die Einsatzkräfte verbrannten sich die Füße, weil kontaminiertes Wasser in ihre unzulänglichen Schutzstiefel lief. Und es gibt nicht genügend Tanks, um radioaktives Wasser aufzufangen; daher wird es noch immer ins Meer geleitet.

Natürlich hätte all das bereitgestellt werden können – Roboter, die im havarierten Kraftwerk die nötigen Verrichtungen tun, Schutzkleidung, die alle Gefahren vom Menschen abhält, ausreichende Auffangbecken, die jeder denkbaren Katastrophe genügen – und vieles andere mehr. Technisch wäre das gerade für Japan kein Problem gewesen, aber es hätte viel Geld gekostet – und das wollte man sich ersparen. Der Glaube, die gefährliche Nukleartechnik zu beherrschen, ging einher mit einer Kosten-Nutzen-Rechnung, die den Ernstfall nicht wirklich einkalkulierte. Je länger es gut ging, umso mehr wurden die Vorkehrungen reduziert, damit die Gewinne stiegen. Böswillig war das nicht, sondern gesetzmäßig für diese Wirtschaftsform, die auf ständig wachsende Effizienz setzt und unaufhörlich danach sucht, wie Kostenfaktoren minimiert werden können.

Diese – objektive – Unfähigkeit, mit dem immer Möglichen , das man perfekt verdrängte, fertig zu werden, ist kein allein japanisches Problem. Es ist das unausbleibliche Manko einer Wirtschaftsweise, bei der der Gewinn stets an erster Stelle steht und alles andere zur abgeleiteten Funktion dieses Profitdenkens wird. Insofern – und nicht wegen vergleichbarer geologischer oder anderer Bedingungen – ist Fukushima überall, denn Kapitalismus macht Sicherheit auch anderswo zwangsläufig eben zu einem Kostenfaktor, der zu minimieren ist. Das Restrisiko, das sich mit der Atomenergie verbindet, ist also nicht zuerst ein technisches oder technologisches, sondern ein ökonomisches und dann gesellschaftliches, wenn die Politik zum Erfüllungsgehilfen der Ökonomie wird. Genau diesen Weg hatte Angela Merkel mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten beschritten – und noch sind jene Kräfte stark, die ihn auch weiterhin gehen wollen.

Sie arbeiten gern mit dem Argument der Kosten, die bei der Atomkraft so gering seien und bei allen anderen Energiearten viel höher. Dabei kalkulieren sie freilich meist nur mit den unmittelbaren Betriebskosten, klammern solche Folgekosten wie für die bislang völlig ungeklärte Endlagerung des Atommülls oder den späteren Abbau auslaufender Kraftwerke weitgehend aus. Zwar sind sie mittlerweile veranlasst worden, dafür Rücklagen zu bilden, aber auch diese werden so knapp wie möglich angesetzt. Andere Kosten, zum Beispiel für Versicherungen, entfallen zum großen Teil. Sie werden von vornherein überwiegend auf die Gesellschaft abgewälzt – mit Folgen, die jetzt am Beispiel Japan das ganze Ausmaß ahnen lassen.

Dabei liefert das Versicherungswesen gerade für die Kalkulation des Risikos, das mit nuklearer Energiegewinnung verbunden ist, ein sehr überzeugendes, weil absolut marktwirtschaftliches Kriterium. Nicht eins der weltweit arbeitenden Atomkraftwerke ist nämlich für das Gesamtrisiko seines Betriebs haftpflichtversichert, weil sich in der ganzen Welt kein Versicherer findet, der dieses Risiko zu tragen bereit ist – es sei denn, er berechnete die Prämien einer solchen Versicherung realistisch. Dann aber, so stellte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung dieser Tage fest, wäre die Haftpflichtversicherung für die Betreiber »so hoch, dass niemand Atomkraftwerke bauen würde, die bestehenden müssten stillgelegt werden«.

Jeder Autofahrer muss sich dagegen versichern, anderen Menschen Schaden zuzufügen. Wer eigentlich gibt den Atomkonzernen das Recht, solchen Versicherungsschutz einzusparen, obwohl die Schäden, die sie anrichten können, unermesslich sind?

2 Replies to “Fukushima ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel”

  1. Gegen den von der kapitalistischen Profit-Wirtschaft betriebenen Atomkurs vorgebrachten Argumenten sollte man als „mündiger Bürger“ zustimmen; allerdings wäre unter Hinweis auf Tschernobyl einzuwenden, daß sich ein atomarer Super-GAU auch in anderen politischen Systemen ereignen kann.

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