Die Rückkehr des Mittelalters

(pri) Fast konnte man sich in der abgelaufenen Woche wie in einer Zeitmaschine fühlen. Sie katapultierte uns förmlich zurück in längst vergessen geglaubte Zeiten, und wir rieben uns verwundert die Augen: Rückkehr des Mittelalters?

Es begann ganz harmlos mit dem Treffen von vierzig gekrönten Häuptern dieser Welt zu Ehren des Herzogs von Cambridge, Grafen von Strathearn und Barons Carrickfergus, der außerdem noch auf den schlichten Vornamen William hört, und seiner durch die gerade vollzogene Trauung zur Herzogin aufgestiegenen Gattin. Das britische Königshaus konnte endlich einmal wieder weltweiter Aufmerksamkeit gewiss sein – wie stets bei einem seiner mittelalterlichen Zeremoniells. Aber dies wäre in der Shakespeareschen Dramatik, die sein Agieren jahrhundertelang umgab, wenigstens unter den Komödien einzuordnen, während andere da schon längst in die Tragödienkiste griffen.

Den mentalen Übergang besorgte der katholische Vatikan, der sich angesichts des Pomps seitens der religiös abtrünnigen Briten nicht lumpen lassen mochte und seinerseits ein mittelalterliches Spektakel inszenierte, zu dem er gar eine fromme Nonne aufbot, die dem vorletzten Papst die Wunderkräfte Jesus‘ bescheinigte, denn noch von Wolke 7 aus verfügte Johannes Paul II.: »Stehe auf und gehe!«, was Marie Simon-Pierre denn auch trotz schwerer Parkinson-Erkrankung tat – und so dem Wundertäter das noch fehlende Testat für die Seligsprechung verschaffte.

Ein Zufall war es wohl nicht, dass das Gebaren der irdischen Heerscharen, die Rom aus diesem Anlass heimgesucht hatten, lebhaft an einen Feldgottesdienst zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges erinnerte, denn da hatte der dritte Großschauspieler unserer Tage längst seinen Beitrag zur mittelalterlichen Retrospektive vorbereitet – und dabei auf die Zutaten des Computerzeitalters nicht verzichtet. Wie im Westernkino zog Barack Obama – ohne Sheriffstern, dafür aber mit dem Friedensnobelpreis am Revers – natürlich als erster, um den Schurken Osama auf uramerikanische Weise zur Strecke zu bringen – nämlich ohne viel Federlesens und schon gar nicht aufgehalten durch allerlei Paragrafenreiterei. Und dann sah er sich das Ganze auf dem i-Pad an – als Videospiel mit Reality-Effekt.

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Damit ließ sich nicht nur die schier endlose Serie der englischen Königsdramen samt ihrem Shakespeare mühelos in den Schatten stellen, sondern man beamte zusätzlich gleich ins Altertum zurück. So wie der US-Präsident samt seiner Mannschaft in der ausbetonierten Erdhöhle unter seinem Amtssitz beim secret viewing atemlos und hingerissen zwischen Begeisterung, Entsetzen und sportlicher Anteilnahme das Geschehen in der Villa von Abbottabad verfolgte – ganz so müssen auch die römischen Kaiser mit ihrer Entourage die Gladiatorenkämpfe im Kolosseum beobachtet haben, umgeben vom Jubel des Volkes, den die Amerikaner in Washington, New York und anderswo ihren Imperatoren – etwas zeitversetzt – nachlieferten.

Das bot hierzulande die erwünschte Gelegenheit zum transatlantischen Schulterschluss. Die klammheimliche Freude, die vor einigen Jahren – bezogen auf RAF-Terrortaten – noch Anlass zu heiliger Empörung und staatsanwaltlichen Ermittlungen war, tropfte förmlich aus allen regierungsamtlichen Knopflöchern und ging besonders bei den Parteichristen von Bosbach bis Geißler, aber natürlich mit Angela Merkel an der Spitze umstandslos in offene Freude über – für eine Tat, die, wäre sie nicht in Washington, sondern beispielsweise in Tripolis ersonnen worden, als feiger terroristischer Anschlag gegolten hätte, der nur durch gerechte Bombenabwürfe zu sühnen sei.

Die Organisatoren der dieser Tage wieder beginnenden beliebten Mittelalterspektakel dürften gut beraten sein, wenn sie bei der Inszenierung noch eine Schippe drauflegen, laufen sie doch sonst mit ihren harmlosen Ritterspielen Gefahr, von der Wirklichkeit überholt zu werden.