Schwarz-Gelb auf dem Tiefpunkt

(pri) Am 27. September 2009 konnten sich Union und FDP über ihre Erfolge bei der Bundestagswahl und die bevorstehende schwarz-gelbe Wunschkoalition freuen. Von Freude ist zwei Jahre später zur Halbzeit der Regierung nichts mehr zu spüren: Die FDP steht am Abgrund, die Union hat ein massives Problem, ihren Wählern die politischen Kehrtwenden zu erklären und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gelingt es nur noch mühsam, die einstigen Traumpartner zusammenzuhalten.

Schwarz-Gelb auf dem Tiefpunkt

Angela Merkels Wunschkoalition steckt in der Krise, weil sie an den Erwartungen der Bürger mehr denn je vorbei regiert

Nach zwei Jahren Schwarz-Gelb haben CDU/CSU und FDP »fertig«. Sie sind moderne Antworten auf die Herausforderungen einer sich schnell wandelnden Welt schuldig geblieben, halten aber stur an der Macht fest.

Die als Drohung gemeinte, von vielen aber durchaus als Verheißung empfundene Ankündigung, ohne »Kanzlermehrheit« in der Frage des Griechenland-Rettungsschirms sei die Koalition gescheitert, war nie ernst gemeint. Sie diente allein der am Ende gelungenen Disziplinierung der eigenen Fußtruppen; aber dass sowohl Wolfgang Schäuble für die Union als auch FDP-Fraktionschef Brüderle mit allerlei Relativierungen für den Ernstfall vorgebaut hatten, zeigt nur den desolaten Zustand des einstigen »Traumbündnisses«.

Denn auch wenn Union und Freidemokraten ihre Mehrheit zusammenbekamen und natürlich bis zum bitteren Ende weiterregieren wollen faktisch sind sie bereits abgewählt. Acht Landtagswahlen haben seit dem bundesweiten Urnengang vor zwei Jahren stattgefunden, sechsmal verlor die Union an Stimmen zwischen 3,7 und 20,7 (!) Prozent.

Nur zweimal konnte sie leicht zulegen, in Rheinland-Pfalz und Berlin; da war sie wohl die einzige Alternative für einige verdrossene Ex-Wähler der FDP, die in beiden Ländern aus dem Parlament flog. Das Gleiche widerfuhr den Freidemokraten mit drei weiteren Landtagen; überall war sie von den 14,6 Prozent der Bundestagswahl weit entfernt.

Zwar hatten Bundeskoalitionen schon häufiger nach dem Wahlsieg mit Stimmenschwund in den Ländern zu kämpfen, doch nicht in solchem Ausmaß. Es verweist darauf, dass die schwarz-gelbe Regierung nicht nur ein indiskutables Erscheinungsbild abgibt, sondern auch in der Sache nicht annähernd liefert, was sie angekündigt hatte. Außer im Falle der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers schon in den ersten Regierungswochen, doch war das nur ein Geschenk für den neuen Partner, der sich dafür mit hochfahrender Schelte gegen Hartz-IV-Empfänger bedankte und so wohl einen beträchtlichen Beitrag zur CDU/FDP-Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen leistete. Kurz darauf ging Horst Köhler, Merkels und Westerwelles Ziehkind auf dem Bundespräsidentenstuhl, frustriert von Bord. Die ähnlich ausgekungelte Nachfolgelösung Christian Wulff wurde zu einer Zitterpartie.

Danach rief die Koalition einen »Herbst der Entscheidungen« aus; er mündete in die Desaster dieses Frühjahres: Nach dem Fukushima-Super-GAU wurde die gerade beschlossene AKW-Laufzeitverlängerung wieder kassiert und mit dem Atomausstieg in ihr Gegenteil verkehrt. Merkels forsches Eintreten für den Bahnhofsneubau in Stuttgart endete mit einem grün-roten Wahlsieg in Baden-Württemberg. Und trotz ihrer Ehrenerklärungen für den smarten Plagiator Karl-Theodor zu Guttenberg musste dieser als Verteidigungsminister unehrenhaft abmustern. Schließlich konnte die Kanzlerin angesichts widerstreitender Auffassungen zwischen und in den Koalitionsparteien zur Finanzkrise um Griechenland nur mühsam den Crash verhindern und ist damit noch lange nicht am Ende.

Wortreich verweisen die Koalitionäre auf ihre »Erfolge«, zum Beispiel die Arbeitslosenzahl auf unter drei Millionen gedrückt zu haben, verschweigen jedoch, dass dies nur unter Beibehaltung der Schröderschen Hartz-IV-Nötigung gelang und die meisten der so entstandenen Arbeitsverhältnisse nicht genug einbringen, um davon leben zu können. Als Erfolg wird auch gewertet, dass es um Deutschland nicht ganz so schlecht steht wie um andere europäische Länder. Man verdrängt damit die anhaltenden Debatten über Altersarmut, Pflegenotstand, Zwei-Klassen-Medizin und Mietenexplosion. Gut stellt sich das Land nur für die Vermögenden dar, während die Masse der Bevölkerung die soziale Ausdünnung Tag für Tag deutlicher spürt.

Und sich zugleich um die Währung sorgt, weil die Regierung weder willens noch in der Lage ist, gegen die Auswüchse der Finanzbranche wirksam vorzugehen. Zwar hat auch sonst niemand ein überzeugendes Rezept dagegen, aber die Ratlosigkeit und Zerstrittenheit in dieser Sache findet sich in vielen anderen Fragen wieder, sei es die Wahlrechtsproblematik um die Überhangmandate oder der Streit um die Vorratsdatenspeicherung. Sei es die Zukunft des Gesundheitswesens oder die der Pflegeversicherung, die Sicherung der Altersvorsorge oder das unsägliche Steuersenkungsthema. Handeln auf Sicht und Zuruf ist zum Markenzeichen dieser Regierung geworden, und es gibt wenig Anzeichen, dass sich daran etwas ändert.

Da verwundert es nicht, wenn die Bürger von der Koalition nicht mehr viel erwarten. 83 Prozent bewerteten jüngst in einer Forsa-Umfrage deren Zusammenarbeit als mangelhaft, und 54 Prozent glauben nicht, dass sie bis 2013 noch durchhält. Selbst unter Unionswählern rechnet jeder Dritte mit ihrem vorzeitigen Ende, bei der FDP sind es gar 37 Prozent.

Politik aus dem vorigen Jahrhundert

Nur schwer kann sich das »bürgerliche« Lager von Inhalten und Ritualen der Vergangenheit verabschieden

Seit ihrem Bestehen macht die Regierungskoaltion keine gute Figur. Dafür verantwortlich sind Konzeptionslosigkeit und das Verschlafen gesellschaftlicher Entwicklungen.

Mit Parteien ist es fast wie mit den Leuten auch. Je älter sie werden, desto schwerer tun sie sich mit Neuem. Und trauern gern vergangenen, (vermeintlich) glücklicheren Zeiten nach. Auch die verbliebenen Anhänger von Schwarz-Gelb blicken derzeit melancholisch dahin zurück, wo die Union und die Freidemokraten das Land unangefochten regierten also die 20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und die 16 Jahre unter Helmut Kohl. Sie sehnen sich nach solcher Übersichtlichkeit und können nicht begreifen, dass ihre »christlich-liberale Koalition« vom ersten Tag ihres Bestehens an ein solch jammervolles Bild abgibt.

Da die weitgehend zahnlose Opposition dafür der Grund nicht sein kann, suchen sie ihn in Personen und deren unprofessionellem Agieren, im Profilierungsdrang der »Partner«, die oft gegeneinander, mehr noch aber gegen die gemeinsame Sache wirken, auch schon mal diffus in den allgemeinen Zeitläuften, die ein »ordentliches« Regieren beinahe unmöglich machten.

Den Hauptgrund ihres Niedergangs sowohl als Koalition als auch als einzelne Parteien wollen jedoch weder die Union noch die FDP sehen. Er ist inhaltlich begründet, ergibt sich daraus, dass sie verlernt haben, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten und in neue, moderne Konzepte umzusetzen. Ihre Krise ist eine Krise der Programmatik, die weitgehend auf alten Fundamenten stehen geblieben ist und sich neuen Herausforderungen nur ungenügend zu stellen vermochte.

Dabei gibt es zwischen den Koalitionären durchaus Unterschiede. Die Union als Volkspartei nimmt das Defizit an moderner Lösungskompetenz deutlicher wahr als die FDP, was sie partiell zu Veränderungen fähig macht. Ihr Problem: Diese Veränderungen setzen sich eher spontan durch, als dass sie das Produkt einer gediegenen Gesellschaftsanalyse und darauf fußender Ideen wäre. Angela Merkel spürt den Wind des Wandels und hängt ihr Mäntelchen gern in die Brise, aber sie gestaltet Neues lustlos, als Getriebene, wodurch sie ihre konservativ denkende Partei überfordert und verwirrt.

Die Folge sind Enttäuschung, Unmut und Abkehr. Sinnvolle Entscheidungen wie zur Unterstützung berufstätiger Frauen, die Aussetzung der Wehrpflicht, die Abschaffung der Hauptschule und vor allem der Atomausstieg nach gerade verfügter AKW-Laufzeitverlängerung sind das Ergebnis äußeren Drucks, dem die Kanzlerin nicht aus Überzeugung, sondern aus taktischem Kalkül folgt, ohne bei CDU und CSU dafür zu werben. Ihr lakonisches »Wenn sich Dinge ändern, müssen wir Antworten finden« verunsichert die konservative Unionswählerschaft noch immer stark auf Adenauer und Kohl fixiert mehr, als dass sie sie beruhigt; sie versteht die Welt nicht mehr.

Die FDP-Führung hingegen ist total in den 90er Jahren stecken geblieben, hat ein Dutzend Jahre gesellschaftlicher Entwicklung verschlafen und bringt daher nichts anderes in die Regierungsarbeit ein als Papiere aus dem vorigen Jahrhundert, ein Parteiprogramm sogar aus den 1980er Jahren. Ihre einst auf verschiedenen Feldern durchaus liberale Politik hat sich heute auf kruden Wirtschaftsliberalismus verengt. Wirkte sie früher in einer Koalition als Korrektiv gegenüber manchem Überschwang des größeren Partners, so muss heute ihre Irrationalität korrigiert werden. Eine Aufgabe, die die Kanzlerin allerdings vom ersten bis in diese Tage ignorierte und damit selbst zu den Problemen beitrug, mit denen sie heute zu kämpfen hat.

Beide, CDU/CSU wie FDP, aber haben sich vor allem ungenügend auf das wachsende Drängen der Bürger auf Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten eingestellt. Machtsicherungsrituale, die sich in ihren Augen bewährt haben, bestimmen unausrottbar die politische Arbeit von Union und FDP und nicht nur von ihnen. Der Wählerzulauf zu den Grünen, vor allem aber der Berliner Überraschungscoup der Piratenpartei zeigen jedoch, dass die Bürger von den Parteien etwas ganz anders erwarten nämlich in Inhalt wie Umgang eine weitreichende Öffnung zu ihnen hin.


(Veröffentlicht in:  Neues Deutschland vom 04. Oktober 2011)