Der gewöhnliche Rechtsterrorismus und seine Opfer – zum Beispiel Noël Martin

(pri) Der Rechtsterrorismus sei ein neues Phänomen, sagt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und beweist damit nur, dass er noch immer auf dem rechten Auge blind ist. Denn Rechtsterrorismus gibt es in Deutschland seit mindestens 20 Jahren; das belegt schon die hohe Zahl seiner Opfer, die sich nach seriösen Erhebungen der Zahl 200 nähert. Es dokumentieren aber auch die fast wöchentlichen martialischen Aufmärsche rechtsextremistischer Organisationen, Verbände, »Kameradschaften« und einer legalen Neonazi-Partei, die ihre Existenz hauptsächlich dem Zufluss staatlicher Mittel verdankt. Es beweisen die so genannten national befreiten Zonen in vielen Landesteilen und der Psychoterror gegen jene, die sich dem braunen Spuk mutig entgegenstellen.

 

All diese Vorgänge, die zwar (noch?) nicht im Umfang, wohl aber in der Art beängstigend an vergleichbare Entwicklungen in den frühen 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland erinnern, waren und sind allgemein bekannt. Es wurde darüber gesprochen und geschrieben – und zugleich verharmlost und bagatellisiert. Die Opfer fanden nur selten Gehör – nicht bei der Politik, kaum in den Medien, auch nicht bei der Justiz und schon gar nicht in der Polizei und in Geheimdiensten. Dabei haben gerade sie klare und relevante Signale ausgesandt, die jedoch in aller Regel ignoriert wurden. An einige dieser Opfer, die die Öffentlichkeit trotz aller Gefahren nicht scheuten, und jene wenigen, die sich solidarisch an ihre Seite stellten und sich damit Anfeindungen aussetzten, soll noch einmal erinnert werden.

Wie viele andere Fälle, so ist auch der des gebürtigen Jamaikaners Noël Martin, der nach einem rechtsterroristischen Angriff im brandenburgischen Mahlow zum Krüppel wurde, ein Beispiel nicht nur für die Brutalität der rassistischen Täter, sondern mehr noch für die Rückendeckung, die sie vom »einfachen Bürger« aus Gleichgültigkeit, eigener Angst, Verdrängungsabsicht oder gar klammheimlicher Zustimmung erhalten.

Störfall im Rollstuhl

Mit der Rückkehr des querschnittgelähmten Noël Martin stellt sich für viele in Mahlow plötzlich erneut die Frage, wie sie mit ihrem längst verdrängten schlechten Gewissen umgehen sollen

Keiner in Mahlow sagt es direkt, aber viele denken es: Endlich war ein wenig Gras um den Stumpf jener Platane am Glasower Damm ge- wachsen, an der vor fünf Jahren Noël Martins alter Jaguar zerschellte und sich der gebürtige Jamaikaner mit britischem Pass die Halswirbelsäule brach, da reißt er die alten Wunden wieder auf. Kehrt zurück, im Rollstuhl, will »den Leuten, die mir das angetan haben, ins Gesicht schauen«. Heute findet in der Kleinstadt am Südrand Berlins ein Sternmarsch statt, der an den rassistischen Überfall im Juni 1996 erinnern soll – und das Opfer Noël Martin ist dabei. Mahlows stellvertretender Bürgermeister Manfred Claus ist fassungslos: »Ich habe nie damit gerechnet, dass jemand, der da so gekennzeichnet, so« – er sucht nach dem richtigen Wort – »so gequält worden ist, nach fünf Jahren dahin unbedingt zurück will.« Aber wenn er denn wolle, wenn er das Gespräch mit der Jugend führe, sei das natürlich eine positive Sache.

Vor fünf Jahren hatte der damals 36-Jährige keine Chance zum Gespräch. Noël Martin war am 16. Juni 1996 mit zwei Freunden, dunkelhäutig wie er, drauf und dran, Mahlow, wo er zwei Jahre lang Fassaden verschönert hatte, zu verlassen, weil in Sachsen ein neuer Job winkte. Er rief seine Freundin Jacqueline in Birmingham an, um ihr den Ortswechsel mitzuteilen – von einer Telefonzelle am S-Bahnhof. Er beeilte sich, denn schon bei ihrer Ankunft hatten junge Burschen »Nigger, Nigger« gerufen und den Stinke~ finger gezeigt. Als sie abfuhren, folgte ihnen ein Golf, fuhr fast bis zur Stoßstange auf, überholte schließlich mit 150 Sachen. Ein Fenster am Golf war offen, von dort krachte ein Stein durch die Scheibe. Noël erschrak, verlor die Gewalt über sein Auto, das sich überschlug und gegen einen Baum geschleudert wurde. Seitdem ist er vom Hals an abwärts gelähmt, kann mit Mühe nur einige Finger bewegen. Er ist lebenslang an den Rollstuhl gefesselt.

Für die Potsdamer Polizei war sofort alles klar. »Drei britische Staatsangehörige … sind von unbekannten Deutschen beleidigt und belästigt worden. Nachdem die unbekannten Täter … mit ihrem Pkw weggefahren waren, folgten die Beleidigten ihnen in ihrem Pkw Jaguar … In Höhe des Glasower Damms wurde die Frontscheibe des Pkw Jaguar von einem Feldstein (20 x 15 x 5 cm) getroffen, den ein Insasse aus dem vorausfahrenden VW geworfen hatte …«, hieß es in deren Bericht – man könnte meinen, fast eine Art Notwehr. Die eigentlichen Ermittlungen begannen erst, als nach fast fünf Wochen die Berliner »Tageszeitung« – ihre Autorin Barbara Bollwahn erhielt dafür später den »Wächterpreis der Tagespresse« – die wirklichen Zusammenhänge aufdeckte. Jetzt wurden die Täter plötzlich unter der ortsbekannten Bahnhofsclique gewaltbereiter Jugendlicher gefunden, die vor allem durch ihre Ausländerfeindlichkeit vielen Mahlowern seit langem auffielen – ohne dass freilich ihre Eltern, Kollegen, Lehrer dagegen einschritten. Ebenso wenig wie die Behörden. Denen glaubten die Mahlower gern die entlastende Version und wurden erst zornig, als die Medien den Ort zur Bastion von Rechtsradikalen erklärten.

Seitdem kämpft Mahlow um seine Rehabilitierung – vor allem mit dem Mittel der Beschwichtigung. Für viele hier stellt bis heute nicht die Tat von Mario Poetter und Sandro Ristau, die das Landgericht Potsdam ein halbes Jahr später zu fünf bzw. acht Jahren Haft verurteilte, den »Störfall« dar, sondern die laute Anklage Noël Martins. Bürgermeister Werner la Haine bestritt vom ersten Tag an jeden ausländerfeindlichen Hintergrund. Als Zeuge im Prozess wollte er Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel für die Tat verantwortlich machen, und dass viele Ausländer in der Gemeinde arbeiteten.

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Mahlow gehört zu dem, was man den Berliner Speckgürtel nennt. Hier sind die Häuser zumeist frisch verputzt. Die Bahnhofsstraße, an deren Ausgang jetzt die Linden blühen, geht bald in Alleen über, in denen sich Villen aneinander reihen. Auf der Trebbiner Straße entstand eine Mini-Shopping-Meile. Viele, die hier wohnen, verdienen in der Hauptstadt gutes Geld. Von den etwa 20000 Einwohnern der Amtsgemeinde Blankenfelde/Mahlow waren Ende 2000 insgesamt 962 arbeitslos, davon 100 Jugendliche unter 25 Jahren. In Mahlow selbst, dessen Einwohnerzahl sich seit der Wende auf etwa 8500 fast verdoppelte, leben gerade 200 Ausländer – 2,3 Prozent. In den Berliner Bezirken Kreuzberg und Wedding sind es hingegen mehr als 30 Prozent

Eine Hochburg der Rechten ist Mahlow nicht. Deren Parteien treten auf kommunaler Ebene gar nicht erst an, bekommen bei Landtags- und Bundestagswahlen nur Stimmen, die an zwei Händen abzuzählen sind. Und dennoch macht der Ort immer wieder Schlagzeilen durch Gewalttaten gegen Ausländer, wobei sich viele Bürger weniger über die Gewalt als über die Schlagzeilen erregen. Für den Bürgermeister haben vor allem die Medien den Ruf Mahlows ruiniert – eine Meinung, die allerdings nicht jeder im Ort teilt. »Falsch ist das Bild der Schlagzeilen nicht«, sagt Knut Bukowiecki, der für die PDS im Gemeinderat sitzt und gleichzeitig ehrenamtlicher Kreisvorsitzender der Partei in Teltow-Fläming ist. Manche wollten die Augen davor verschließen, dass es in Mahlow eine mehr oder weniger starke rechtsradikale Gruppe gibt. Das gebe es zwar auch anderswo in Brandenburg, was die Sache aber nicht besser mache. »Dagegen hilft nur der klare Widerstand aller, die anders denken.«

Doch schon im Gemeinderat, in dem Bukowieckis Partei zusammen mit den »Parteilosen Mahlows«, zu der auch der Bürgermeister gehört, eine Zählgemeinschaft bildet, denken nicht alle so wie er – nicht einmal in der eigenen Fraktion. Als Noël Martin vor einem Jahr erstmals den Wunsch äußerte, noch einmal nach Mahlow zu kommen, zog man dort den Kopf ein. Die Einladung an den Briten sprach schließlich das Potsdamer »Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit« aus – und notgedrungen schloss sich die Gemeinde an. »Aus eigenem Antrieb hätten wir das nie gemacht«, so Bukowiecki freimütig. Und aus eigenem Antrieb konnte sich die Gemeinde auch nicht zur Anmeldung der Demonstration entschließen – waren doch damit Kosten für Absperrmaßnahmen, Toilettenanlagen und die Straßenreinigung verbunden. »Für Kindergärten ist kein Geld da, aber für eine Demo schmeißt ihr es raus«, bekam mancher Gemeindevertreter zu hören. Erst nach langen Debatten stimmte der Gemeinderat für die Bereitstellung von 15000 Mark und einen siebenzeiligen Aufruf, anlässlich des »bedauerlichen Unfalls Noël Martins im Ergebnis eines rassistischen Überfalls« an der Demonstration teilzunehmen.

Mancher fragt bang, wie groß die Resonanz der Mahlower auf Noël Martins Besuch heute sein wird. Vorsichtshalber hat die mit der Abschlusskundgebung beauftragte »Event-Agentur« einen Standort gewählt, der zwar 5000 Teilnehmern Platz bietet, aber: »Wenn nur 1000 Besucher kommen, sieht es auch nicht peinlich aus.« Denn nicht wenige Einheimische sehen im Opfer des Überfalls noch immer den eigentlich Schuldigen. Hatte er provoziert? Vielleicht tatsächlich »unsere Jungs« verfolgt? Hatte er getrunken? War er angeschnallt? Zwar hat das Gericht alle diese Fragen durch aufwändige Gutachten geklärt, aber selbst der stellvertretende Bürgermeister Manfred Claus, zugleich Vorsitzender der PDS-Fraktion, verweist darauf, dass es über den Unfall nach wie vor unterschiedliche Auffassungen und widersprüchliche Informationen gibt.

Zu jenem »hörbaren Aufschrei der Empörung über die ausländerfeindliche Tat«, den sich der Vorsitzende des Potsdamer Landgerichts in seiner Urteilsbegründung wünschte, ist es zumindest bei den »Zuständigen« in der Gemeinde Mahlow bis heute nicht gekommen. Und viele können sich bequem dahinter verstecken und damit in ihrer diffusen Fremdenfeindlichkeit verharren, was sie – ob gewollt oder ungewollt – noch immer zu klammheimlichen Komplizen von Mario Poetter und Sandro Ristau macht. An der Aktion »Gesicht zeigen«, bei der man sich in der »Märkischen Allgemeinen« mit Foto, Name und Wohnort für ein gewaltfreies und tolerantes Miteinander mit Fremden erklären konnte, beteiligten sich in Mahlow zwischen 80 und 90 Bürger – was mancher schon als Erfolg wertet. Zwar hätten mehr das Anliegen als solches begrüßt, aber damit denn doch nicht in die Öffentlichkeit gehen wollen, berichtet Heinz-Jürgen Ostermann, der im Ort für die Aktion warb. Man habe schlechte Erfahrungen mit der Presse, müsse als Geschäftsinhaber jeden Kunden bedienen, hieß es. Auch kenne man solche »Stellungnahmen« aus DDR-Zeiten. »Es fehlte wohl das letzte Quäntchen Zivilcourage«, so Ostermann, der auch zu hören bekam, man habe keine Zeit für Spielereien und im Übrigen »die Schnauze voll von dem Thema«.

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Ostermann gehört zu jenen gut zwei Dutzend Einwohnern, die sich ziemlich spontan zur Arbeitsgemeinschaft »Tolerantes Mahlow« zusammenfanden – auch um, wie ihr Sprecher Uwe Schüler ziemlich unverblümt sagt, »den Gemeinderat unter Zugzwang zu setzen«. Sie sind überwiegend aus dem früheren Westberlin zugezogen und leiden zweifach unter der »Fremdenfeindlichkeit« manches Alteingesessenen. Zum einen sind auch sie »Fremde«, die in die lange weitgehend geschlossene Dorfgemeinschaft dicht am früheren Grenzgebiet »eindrangen«, teils mit Alteigentümerrechten , teils mit solidem finanziellem Rückhalt. Zum anderen haben diese »Neubürger« auf Grund der eigenen Sozialisation wenig Verständnis für die Distanz vieler Einheimischer gegenüber Ausländern.

Die Augenoptikerin Martina Dettke ist aus Berlin-Kreuzberg gekommen und traf anfangs statt auf warmherzige Menschen auf einen »kalten Block«, wie sie formuliert. Der schmelze nur langsam, und es sei heute für sie schon ein Kompliment, wenn einer ihr bescheinige, er hätte gar nicht gemerkt, dass sie aus dem Westen komme. Ausländer hätten es noch schwerer, weil der Umgang mit ihnen nicht geübt sei. Die Gruppe »Tolerantes Mahlow« wolle zu einem besseren Zusammenleben beitragen, denn nur wenn sich alle im Ort wohl fühlten, kämen gute Leute her, Investoren – und die brauche Mahlow. Dafür sei die Demo mit Noël Martin ebenso gut wie das Sportfest zu Pfingsten. Auch Horst Leyer, Personalreferent bei einer großen Firma, hofft vor allem auf die positive Außenwirkung des Martin-Besuchs. »Wir wollen, dass die Öffentlichkeit sieht, es passiert etwas Positives.« Schwieriger scheint ihm die Einflussnahme auf Jugendliche mit rechtsradikaler Tendenz: »Ob wir da etwas machen können, wage ich zu bezweifeln«, sagt er und lässt das weitere Wirken der nur lose geknüpften Arbeitsgruppe im Ungewissen: »Wo die Reise hingeht, wird die Kreativität der Gruppe entscheiden.«

Es ist diese Unentschiedenheit, verbunden mit demonstrativem moralischem Anspruch und drängender Ungeduld, was das einheimische Establishment oft auf Distanz zum »Toleranten Mahlow« gehen lässt. Da werden Eigenmächtigkeiten gerügt und seine Vertreter auch schon mal als »Spinner« bezeichnet. Schließlich habe die Gemeinde ja einiges geleistet, wie Manfred Claus aufzählt: Ein Vereinshaus wurde geschaffen, zwei Turnhallen gebaut, zwei Sportvereine mit 1000 Mitgliedern gefördert, dazu ein Radsportverein, ein Judobereich. Der Bürgermeister spreche regelmäßig mit der »Bahnhofsclique«. Ein Ausländerbeauftragter wurde gewählt – der in seiner zwölfköpfigen Familie zugezogene türkischstämmige Jurastudent Mehmet Oezbek.

Gerade er aber hat in den letzten zweieinhalb Jahren Mahlow in allen seinen Facetten kennen gelernt. Er wurde gejagt, bedroht, beleidigt, die Geschwister verprügelt, und alle Beschwerden halfen nichts. Erst als sie an eine Zeitung schrieben und die den Fall aufgriff, fanden sie Gesprächspartner in der Gemeinde. Seitdem ist es besser geworden, und Mehmet wurde gar Ausländerbeauftragter. Doch dass er in dieser Funktion etwas bewegen wollte, irritierte einige im Gemeinderat schon wieder. Lange wurde ihm eine Aufstellung der in Mahlow lebenden Ausländer unter Hinweis auf den Datenschutz verweigert. Inzwischen aber haben sie in ihm einen Kontaktpartner, der nicht nur zuhört, sondern etwas zu ändern versucht.

Man kann nicht sagen, in Mahlow habe sich in den letzten fünf Jahren gar nichts getan. Zumindest hat sich so etwas wie ein labiler Status quo herausgebildet, der darauf fußt, die Träger fremdenfeindlichen Denkens nicht zu provozieren und dadurch von Gewalttätigkeiten abzuhalten. So hatte die Erwägung, vielleicht die Grundschule gegenüber der Unfallstelle nach Noël Martin zu benennen, nie eine Chance. Nicht einmal eine Gedenktafel wollte man dort anbringen; dazu sei die Stelle zu schwer kontrollierbar, vielleicht am versteckten Gemeindehaus der evangelischen Kirche. Von sich aus buddelten die Leute vom »Toleranten Mahlow« am Glasower Damm gestern noch schnell eine Skulptur ein, damit Noël Martin nicht auf eine kahle Stelle schauen muss. Eskalation befürchtet Bürgermeister la Haine auch von einem Zusammentreffen der »Bahnhofsclique« mit dem Ausländerbeauftragten, das Mehmet Oezbek seit langem vorschlägt. Und mancher wohl auch beim heutigen Besuch Noël Martins. »Man weiß ja gar nicht, was da passiert«, artikuliert Claus seine Sorgen., »ob ich nach dem 16. Juni noch genau so dreinblicke, wie ich heute dreinblicke.«

Noël Martin wird auch heute in Mahlow ein Fremdkörper sein – zwar geduldet, vielen aber nicht willkommen. Macht er ihnen doch weiter ein schlechtes Gewissen, weil sie selbst mit sich nicht im Reinen sind.

 (Veröffentlicht in »Neues Deutschland« vom 16.06.2001)

 Sechs Jahre später kehrte Noël Martin noch einmal nach Brandenburg, nach Deutschland zurück. Da wurde hier – vom Landes-Ministerpräsidenten – sein Buch »Nenn es: mein Leben« vorgestellt, in dem er sein Schicksal schildert. Ein Schicksal, das mit kindlichen Angstträumen vor weißen »Übermenschen« beginnt und auf einer Mahlower Landstraße beinahe endet. Ein Schicksal also, das Nichtweißen vielerorts bekannt ist, das für sie nahezu »gewöhnlich« wurde – so gewöhnlich, dass der kleine Schritt von da zum Verbrechen  oft kaum noch wahrgenommen wird.

2 Replies to “Der gewöhnliche Rechtsterrorismus und seine Opfer – zum Beispiel Noël Martin”

  1. Ich bewundere den Mann sehr, dass er an den Ort, wo sein Leben zerstört wurde, wieder hingegangen ist. Und ich finde es sehr gut. Man sagt heute, in der Entwicklung von politischem Bewusstsein liefe vieles über Emotionen ab; vielleicht hat es auch hier ein paar Leute „angerührt“, unmittelbar zu sehen, was ihre Ausländerfeindlichkeit anrichten kann.
    Aber leider wird nicht berichtet, wie der 16. Juni 2001 in Mahlow dann abgelaufen ist. Das hätte mich doch sehr interessiert.

  2. @ eule70

    Dieser Bericht erschien am 18.06.2001 in »Neues Deutschland«:

    Rassismus
    Demonstration mit Noel Martin in Mahlow
    Britisches Opfer forderte zu Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit auf
    Von Gerlinde Schneider
    »Ich glaube nicht, dass Mahlow heute abend anders ist als heute morgen«, resümierte der seit fünf Jahren querschnittsgelähmte britische Bauarbeiter Noel Martin nach Abschluss des für ihn am 16. Juni 2001 organisierten Aktionstages gegen Rassismus.
    Über 2500 Menschen waren zur Demonstration, zur Kundgebung und zum abendlichen »Open Air für Toleranz« gekommen waren. Erstmals entschuldigten sich der Bürgermeister der Gemeinde Mahlow, Werner La Haine und der Bildungsminister Steffen Reiche für das Land Brandenburg wegen der Gewalttat vor fünf Jahren. Auch ein zwischenzeitlich aus der Haft entlassener Täter zeigte per Schreiben an den ORB Reue wegen des rechtsextremistischen Anschlags gegen Noel Martin. Der Brite ist seit dem Anschlag in Mahlow ein Pflegefall. Er wolle die Entschuldigung des Täters »im Hinterkopf ruhen lassen« und sie akzeptieren, wenn dieser den Neonazis den Rücken gekehrt hat. Er könne kein voreiliges Ja zu stattgefundenen Veränderungen im Ort sagen, denn aus Gesprächen mit vielen Mahlowern habe er erfahren, dass es nach wie vor Neonazis hier gibt, erklärte Noel Martin. Dieser Tag sei ein Auftakt und solle all jenen, die sich noch nicht trauen, öffentlich gegen die menschenverachtende Politik der Neonazis aufzustehen, Mut machen, dies zu tun. Er habe in Mahlow von den Politikern viele gute Worte gehört, werde jedoch erst daran glauben, wenn sie auch in die Tat umgesetzt seien. Der Demonstrationszug, an dem auch der im Rollstuhl sitzende Noel Martin teilgenommen hatte, war am Nachmittag durch den Ort gezogen, vorbei an idyllischen Einfamilienhäusern und gepflegten Gärten, in denen sich Bewohner nicht von der Vorbereitung ihres abendlichen Grillfestes abhalten ließen. Scheinbar unberührt ließen sie den Zug vorbeimarschieren. Vor allem junge Leute forderten sie mit Sprechchören auf, sich anzuschließen, verlangten ein Ende der Abschiebung von Flüchtlingen und die »Beseitigung der rassistischen Gesetze«. Politiker sollen endlich aufhören zu »heucheln«, meinten Demonstranten mit Blick auf Reden von Bundes- und auch Landespolitikern. Noel Martin ist nach Mahlow gekommen, um ein Beispiel dafür zu geben, dass man etwas gegen Rechtsextreme tun muss. Gewalt auf den Straßen müsse bestraft werden und der Kampf gegen die dummen Sprüche sollte täglich erfolgen. Dass alle Menschen gleich seien, wäre eine gute Basis für das gegenseitige Verstehen, sagte auch ein Mitglied der mit Noel Martin befreundeten Patton Band, die mit ihrem Song »Das Leben ist ein Wunder« die Teilnehmer begeisterten. Detlef Baer, der stellvertretende Vorsitzende eines Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit, erklärte: »Wir müssen Zeichen setzen, die nach außen klar erkennbar sind.« Noel Martin wird in dieser Woche weitere Gespräche mit Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, in Mahlow führen.

    Und ein Jahr später erschien ein weiterer Beitrag über Mahlow und seinen Umgang mit rechtsextremistischen Aktivitäten.

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