Bundesverfassungsgericht macht den Weg frei für weiteren sozialen Kahlschlag

(pri) Der Berg Bundesverfassungsgericht kreißte – und gebar das Mäuslein eines konditionierten Ja zum ESM-«Rettungsschirm«. Das war das Erwartete, ist doch das Karlsruher Gericht einst extra dazu geschaffen worden, auch in schwierigen Zeiten das kapitalistische bundesrepublikanische System zu stabilisieren. Beflissen bestätigten die Verfassungsrichter die die von der Regierung vorgegebene deutsche Haftungssumme für den ESM von 190 Milliarden Euro und lassen sogar deren weitere Ausweitung zu, sofern nur Bundestag und Bundesrat zustimmen. Daran bestand in der großen Krisenkoalition bisher kein Mangel und dürfte er auch künftig nicht bestehen. Immerhin war die Linksfraktion im Parlament die einzige, die das Projekt überhaupt in Frage stellte; mithin konnten sich alle anderen als Sieger fühlen und tun es ausgiebig.

 

Insofern geht die Krise also ungehemmt weiter, und mit ihr der soziale Kahlschlag in Europa, dessen Standards in Arbeitsrecht, Lohngestaltung und Fürsorge für Heranwachsende, Alte und Kranke dem Kapital schon lange ein Dorn im Auge waren. Die bewusst herbeigeführte Verschuldung der Staatshaushalte dient nun als Hebel zur Kassierung über Jahrzehnte erkämpfter sozialer Errungenschaften. Mit seinem Schweigen zum Fiskalpakt hat das Bundesverfassungsgericht diesen Paradigmenwechsel ausdrücklich gebilligt. Er wird in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien ungebremst weitergehen und allmählich auch die anderen EU-Staaten erreichen, die Bundesrepublik eingeschlossen. Anzeichen dafür sind bereits täglich zu spüren, und wenn das Karlsruher Gericht darauf letzthin einige Male mahnend reagiert hat, dann auch nur im Sinne seiner ausgleichenden Funktion, die der Systemstabilisierung dient.

Die mit diesem sozialen roll back verbundenen Turbulenzen auf den Kapitalmärkten spielten letztlich beim Richterspruch keine Rolle mehr, sollen diese doch nun durch die EZB und ihre Möglichkeit zum Gelddrucken in den Griff genommen werden. Damit verpuffte auch der einzige Erfolg, den die Karlsruher Entscheidung für sich hätte verbuchen können – nämlich durch eine zehnwöchige Denkpause die fiebrige Hast aus dem Finanzgeschehen genommen zu haben. Das bislang mit erheblichem Alarmismus beschworene Tempo beim Bereitstellen immer neuer Milliarden zur Rettung von Banken und zockender Anleger war von Anfang eine Lüge, die allein der hastig-unüberlegten Durchsetzung des Regierungskurses dienen sollte. Nun braucht man kein neues Rettungspaket mehr; die EZB wird es künftig richten – unbeeinflusst von jedem Parlament, nicht aber von den Regierungen, die in ihr – Unabhängigkeit hin, Unabhängigkeit her – am Ende doch das Sagen haben und die Notenbank nach ihren Vorstellungen steuern.