Die Mauer muss weg – damit das Geld stimmt

(pri) Wer eine Wette darauf eingeht, dass in einigen Jahren von der zur bedeutsamsten Mauergedenkstätte hochstilisierten East Side Galery nicht mehr als einige kümmerliche Reste stehen, kann sich heute schon ziemlich sicher fühlen. Denn gegen blanke Profitmacherei kommt keine Mauer an; sie bleibt am Ende doch immer der Sieger. Das hätte man spätestens bereits vor sieben Jahren wissen können, als der Investor der O2-Halle 34 (!) Segmente aus dem Mauerrest brechen ließ – wohl vor allem, damit man sein Bauwerk von den Spreedampfern aus gut sehen könne und die Veranstaltungsbesucher einen kurzen Weg zu den After-Show-Feiern in den Clubs auf dem einstigen Grenzstreifen hätten. Damit war klar, dass gewichtigere Gründe für den weiteren Mauerabriss kaum versagt werden können, und tatsächlich genügte dem Bauherr des Hochhauses an der Mühlenstraße jetzt der Verweis auf Bewegungsfreiheit für Baufahrzeuge, um weitere Segmente zu entfernen, was durch den Einsatz von 250 Polizisten staatlicherseits entschlossen durchgesetzt wurde.

 

Quelle: Berliner Zeitung Foto: Eller & Eller
Quelle: Berliner Zeitung
Foto: Eller & Eller

Wie es weitergeht, ist allein schon dem Modellfoto für die Bebauung der Straße unweit des Spreeufers (siehe unteren Teil) zu entnehmen, denn für die betuchten Käufer von Wohnungen im 120 Meter langen Neubau an der Straßenfront dürfte es unzumutbar sein, hinter einer – zumindest auf ihrer Seite – ziemlich hässlichen Mauer zu residieren, an der sich tagaus tagein Hunderte Touristen versammeln und vor ihrer Haustür für Schmutz, Lärm und allerlei sonstige Unruhe sorgen. Gerade erst hat der Investor des Grand Hotels Heiligendamm dessen Insolvenz mit solchem »Volksauflauf« begründet: »Da fahren die Leute gezielt hin, von den Seniorenresidenzen oder vom Campingplatz«, sagte er und fügte hinzu: »Ich kann die verstehen, ich bin auch neugierig, ich wäre auch hingegangen. Aber die Hotelgäste sagten, das ist hier ja wie im Freilichtmuseum.« Solcherart vorgewarnt, wird der Investor des Spreeufer-Projektes schon bald Sichtfreiheit verlangen, auch deshalb, weil er im Komplex ein Hotel unterbringen will, das den Zugang zur Straße natürlich braucht. Einige besonders dekorative Segmente wird er – schon des Werbegags wegen – gewiss stehen lassen.

 

Bei ihm wie auch beim Berliner Senat und dem Stadtbezirk dürfte zudem eine Rolle gespielt haben, dass das Mauerstück an dieser Stelle keineswegs sehr repräsentativ für die Grenzabriegelung durch die DDR ist. Es handelt es sich lediglich um eine Hinterlandmauer; Grenzstreifen, Stacheldraht, Wachtürme, Postenketten befanden sich zwischen dieser Mauer und dem Spreeufer, die eigentliche Grenzlinie an dessen Westseite. Vor der jetzigen East Side Galery tauchte kaum einmal ein Grenzsoldat auf. Man konnte an ihr auch zu DDR-Zeiten entlanggehen. Ihre heutige Bedeutung erlangte sie eigentlich erst durch die phantasievolle Bemalung nach der Grenzöffnung; das jedoch hatte sie 1989/90 mit vielen Mauerstücken gemein, die längst abgerissen sind. Warum gerade sie unbedingt stehenbleiben soll, erschließt sich unter diesem Gesichtspunkt kaum. Insofern hat das Geld in der Mühlenstraße argumentativ leichtes Spiel.

 

Eine ganz andere Argumentationslinie wäre freilich die Ablehnung jeglicher Abriegelung des Spreeufers vom öffentlichen Raum, weil genau darauf letztlich die Bebauungspläne hinauslaufen. Der 120-Meter-Bauriegel des Investors Alon Mekel ist auch nichts anderes als eine Mauer zwischen Straßenland und Fluss, und Maik Uwe Hinkels Hochhaus liefert dazu den – freilich etwas überdimensionierten – Wachturm. Andere Gestaltungspläne für dieses Areal konnten sich jedoch nicht durchsetzen – eben weil das Geld stimmen muss. Und in dieser Form macht die Bebauung fast schon wieder Sinn – als Symbol für Mauern neuen Typs.

 

Und wer, wie in diesen Tagen oft angemahnt wurde, eine Ahnung davon bekommen will, wie sich Eingemauerte fühlen, findet ganz gewiss bessere Orte auf unserem Globus. Er könnte nach Israel fahren und sehen, dass der Grenzzaun zum Westjordanland weitaus höher ist. Oder an die Grenze zwischen den USA und Mexiko, wo zwischen zwei riesigen Blechwänden die Grenzwächter patrouillieren. Auch im nordafrikanischen Ceuta und Melilla würde er fündig, einer spanischen Exklave, die sich auf EU-Geheiß mit mehreren Reihen aus Stacheldrahtrollen und Elektrozäunen vom marokkanischen Umland abschirmt; hier wird auch schon mal geschossen, wenn ein Massendurchbruch droht. Es gibt weitere Beispiele in Diktaturen wie »Demokratien«, und nur scheinbar ist es paradox, dass hinter solchem Mauerbau meist auch nur das Geld steht, das hier nicht vermehrt, sondern geschützt werden soll. Was ihm nützt, wird allemal für rechtens erklärt – mal so und mal genau anders.

 

2 Replies to “Die Mauer muss weg – damit das Geld stimmt”

  1. Die Liste der „gesicherten Regionen“ könnte noch beliebig fortgesetzt werden. Erinnert sei an die militärisch gesicherte Staatsgrenze zwischen den verfeindeten Nato – „Partnern“ Griechenland und Türkei oder an die Zitadellen der „Marionetten-Regierungen“ im Irak und in Afghanistan. Dem aufmerksamen Globetrotter wird nicht die Tatsache entgehen, daß sich die wachsende Arm-Reich-Differenzierung weltweit in Betonabgrenzungen manifestiert. In Berlin kann es doch auch bald soweit sein. Da wären die Reste des „antifaschistischen Schutzwalles“ einbeziehbar: ein „funktionierendes Denkmal“ hat nicht jeder ! Denkmalschutz ist im Kapitalismus noch nie ein (Investitions-) Hindernis gewesen. Nach 1945 wurden (gerade in Westdeutschland) hunderte erhaltenswerte Zeugnisse der Architektur aus „Kostengründen“ abgerissen. Wer es nicht glauben will, sollte die Dokumentation lesen „Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg“ aus dem Henschel-Verlag Berlin. Deutschland entwickelt gegenwärtig die „polizeilich gesicherte Baustellen-Kultur“ als Sonderform der Beziehung zwischen Regierungen und Wahlvolk. Der Beginn des Bahnhofsumbaus von Stuttgart war dafür nur der spektakuläre Auftakt.

  2. Eine alte Weisheit greift auch hier wieder:
    Geld regiert die Welt.
    sagt Rudolf, der sehr reich ist und es wissen muß

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