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Der Fall Edathy oder: Es ist nichts so fein gesponnen …

(pri) Was da gegenwärtig beinahe im Stundentakt zum Fall des Ex-SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy in die Welt gesetzt wird, sind überwiegend Nebelkerzen, die der Verschleierung des wahren Geschehens dienen sollen und mit der Wirklichkeit offensichtlich wenig zu tun haben. Dies beginnt schon mit der Legende, Ex-Innen- und nun auch Ex-Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich habe gewissermaßen in vorauseilender großkoalitionärer Landschaftspflege der SPD einen Gefallen tun wollen, indem er sie davor »warnte«, einen absehbar ins Gerede kommenden Politiker möglicherweise in ein höheres Regierungs- oder Parteiamt zu hieven.. Damit habe Friedrich von der SPD »Schaden abwenden« wollen [1], erklärte jetzt deren Vorsitzender Sigmar Gabriel.

 

Das allerdings dürfte Friedrichs Absicht am wenigsten gewesen sein, und von einem eingefleischten CSU-Politiker ist solches gegenüber der stets beargwöhnten und bekämpften Sozialdemokratie auch kaum zu erwarten. Vielmehr dürfte Friedrich ein starkes eigenes Interesse [2] daran gehabt haben, Edathys Aufstieg in ein höheres Amt, vielleicht sogar in sein damaliges als Innenminister, zu verhindern. Denn der SPD-Politiker hatte sich als kompromissloser und unnachgiebiger Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses [3] bei den Sicherheitsbehörden außerordentlich unbeliebt gemacht; es geht gar die Fama, er wäre dort als Sicherheitsrisiko betrachtet worden. Ganz in diesem Sinne hatte etwa Klaus-Dieter Fritsche [4], zum Zeitpunkt der NSU-Mordserie Vizepräsident des Verfassungsschutzes und später Staatssekretär im Bundesinnenministerium Friedrichs, die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses als »Skandalisierungswettstreit« [5] abgewertet, bei dem »beißende Kritik, Hohn und Spott über einen ganzen Berufszweig von Polizisten und Verfassungsschützern niedergeht«. Edathy hatte nie einen Zweifel gelassen, dass er dem Verfassungsschutz wesentliche Schuld daran zumisst, dass die Mordserie so lange Zeit unbehelligt fortgesetzt werden konnte.

 

Ähnlich kritisch hatte sich Edathy gegenüber den Polizeiorganen gezeigt und zum Beispiel die Arbeit der Bundeskriminalamtes, dessen Präsident seit 2004 Jörg Ziercke [6] ist, als totales Versagen gewertet. Ziercke räumte zwar zahlreiche Fehler ein, wollte aber eine solche Kritik nicht akzeptieren, was der Ausschussvorsitzende mit den Worten kommentierte, er habe sich »eher arrogant denn der Sache angemessen« präsentiert.

 

Es waren aber ausgerechnet Ziercke und Fritsche, die die Causa Edathy ins Rollen brachten [7], als dessen Name unter den Kunden eines kanadischen Kinderporno-Verbreiters auftauchte. Zwar waren die von dem SPD-Politiker georderten Fotos strafrechtlich nicht relevant, weshalb auch für den BKA-Chef keinerlei zwingender Grund bestand, die politische Spitze darüber zu informieren [8]. Er tat es dennoch, und was er und vor allem dann Fritsche ihrem Minister darüber sagten [9], gehört zu jenen Tatsachen, die völlig im Nebel liegen. Bekannt ist lediglich, dass Friedrich ungesäumt Gabriel darüber unterrichtete, wobei dieser laut seinem Sprecher darauf besteht, das in dem Gespräch »jedenfalls nicht ausgeschlossen werden konnte, dass es zu strafrechtlichen Ermittlungen kommt«, was Friedrich freilich bestreitet.

 

Wer auch immer von beiden die Wahrheit sagt, klar ist inzwischen, dass die Nachricht der SPD-Spitze nicht ungelegen kam. Warum hätte sie deren strafrechtliche Relevanz sonst sofort für bare Münze genommen, sich sogar noch einmal beim BKA-Chef versichern wollen, dass diese zweifelsfrei gegeben ist, wie es der damalige Parlamentarische Geschäftsführer und heutige Vorsitzende der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, [10] tat. Er behauptet jetzt, Ziercke habe ihn diesbezüglich bestärkt, was dieser aber nicht bestätigt. Er habe Oppermann vielmehr nur angehört und nichts dazu selbst verlautbart – eine weitere Nebelwand, die die Beteiligten bewusst aufrecht erhalten, wobei die SPD nicht leugnet, ihre weiteren personellen Planungen von da an ohne Edathy betrieben zu haben. Er war auch in seiner Partei nicht unumstritten und für Oppermann zudem ein Konkurrent um einen hohen Posten, seitdem er als Vorsitzender des NSU-Ausschusses seine Qualifikation einmal mehr nachgewiesen hatte. Es gab also durchaus Interesse, den vagen Verdacht zu einem »schwer wiegenden Vorgang« hochzustilisieren, um einen Unbequemen, einen Unberechenbaren kalt zu stellen.

 

Edathy selbst mag gespürt haben, dass er auf verlorenem Posten stand – spätestens als im November vorigen Jahres die Enttarnung des Kinderporno-Ringes in Kanada bekannt wurde. Dass er aus der SPD heraus gewarnt wurde, ist bei der gegebenen Sachlage wenig wahrscheinlich [11]; auch die diesbezüglichen Recherchen seines Anwalts sprechen eher dagegen. Sie waren eigentlich nur geeignet, bestehende Verdachtsmomente bei den Ermittlern zu bestärken, was seltsamerweise aber nicht geschah. Offensichtlich waren die Hinweise aus Kanada tatsächlich so unspektakulär, dass die Behörden zunächst keinerlei Eile bei ihrer Aufklärung glaubten entwickeln zu müssen. Erst als der Politiker sein Bundestagsmandat niederlegte, entstand eine neue Situation; jetzt entschloss sich die Staatsanwaltschaft Hannover zu schnellem Handeln – und schießt nun offensichtlich selbst weit übers Ziel hinaus [12].

 

Damit jedoch wurde nicht nur Edathy, sondern auch die SPD-Führung kalt erwischt. Für sie – wie auch das inzwischen wieder von Thomas de Maizière geführte Innenministerium – war der Vorgang eigentlich erfolgreich abgeschlossen. Die vollständige Demontage des SPD-Politikers machte keinen Sinn mehr, im Gegenteil: Es bestand die Gefahr, dass die doch so fein gesponnene Intrige gegen Sebastian Edathy ans Licht kommt. Und genau dies geschah nun, und die Akteure hatten nur noch ein Ziel – ihre jeweilige Beteiligung daran zu verschleiern [13] und die ganze Schuld auf andere abzuschieben. Das erste Ergebnis ist bekannt. Weitere sind nicht ausgeschlossen. Und bei all dem ist die so eifrig vorgespiegelte Harmonie zwischen den Koalitionspartnern als billige Inszenierung entlarvt worden, die schon dem ersten kleinen Stürmchen nicht standhält.