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Die Prostituierung des Kiewer Maidan

(pri) Viel Glück haben die Ukrainer nicht mit ihren emanzipatorischen Volksbewegungen. Die »orangene Revolution« des Jahres 2004 wurde schon bald zur Beute der selbsternannten und gut inszenierten Heilsfigur Julia Timoschenko, die die spontane Zuwendung der Massen letztlich nur zur eigenen Bereicherung nutzte. Und der von manchem zum Aufbruch in eine lichte Zukunft verklärte verklärte Kiewer Maidan prostituierte sich schon nach kurzer Zeit erst durch die kampflose Übergabe seiner zunächst durchaus demokratisch legitimierten Macht an dubiose Gewalttäter und dann durch die Rückkehr ins alte System der Oligarchenherrschaft, wobei sich der nun erwählte Poroschenko von seinen Vorgängern lediglich durch besondere Skrupellosigkeit unterscheidet.

Der Zeitpunkt dieser Selbstentmündigung des Maidan ist ziemlich exakt zu terminieren – auf die Akzeptanz westlicher Vormundschaft, die der Gelegenheit des schnellen, gewaltsamen Handstreichs nicht widerstehen konnte und um der Unumkehrbarkeit des Umsturzes willen den notwendigen und gewiss schmerzvollen, zugleich im Ausgang unsicheren  Prozess der Klärung innerer ukrainischer Widersprüche zu überspringen versuchte. Wie schon zuvor in Afghanistan, in Irak, Libyen und Syrien – und mit dem sehr ähnlichen Ergebnis wie dort, nämlich Tod und Verderben, Leiden der Zivilbevölkerung und keinem Ende, das diesbezüglich abzusehen wäre.

Das Scheitern dieses westlichen Ramboismus ist so offensichtlich, dass die Schuldfrage entweder schamhaft umgangen, ins Schicksalhafte, Imaginäre abgeschoben oder aber auf manipulative Weise beantwortet wird. Seit Beginn der Krise in der Ukraine werden nicht die wahren Ursachen des Konflikts, nämlich die total unterschätzte Ablehnung einer umstandslosen Westbindung des Landes in dessen Osten, thematisiert, sondern statt dessen der Popanz russischen Interventionismus an die Wand gemalt – und das ohne jeden überzeugenden Beweis. Obwohl US-amerikanische Satelliten das russisch-ukrainische Grenzgebiet lückenlos bis auf den letzten Meter überwachen, haben sie nicht einen einzigen Beleg für die zahlreichen und immer absurderen Behauptungen der Kiewer Regierung vorlegen können. Mussten zuletzt schon schmallippig einräumen, dass sie die so phantasievollen wie prahlerischen Verlautbarungen Poroschenkos und seiner Militärs nicht bestätigen könnten. Selbst um den Absturz der malaysischen Verkehrsmaschine ist es sehr still geworden, seit Experten die Möglichkeit zur Untersuchung erhielten.

Politiker der USA und der EU hindert das freilich nicht, mit solch bislang nicht bewiesenen Behauptungen weiter »Politik« zu machen. Immer wieder warnen sie den russischen Präsidenten [1] vor dem, was sie selbst nicht belegen können, während an den ukrainischen Staatschef keinerlei Ermahnungen und Warnungen ergehen, obwohl man jeden Tag im Fernsehen sehen kann, wie er seine Armee gegen die Bevölkerung der Ost-Ukraine einsetzt, Zivilisten in dicht besiedelten Städten nicht schont und verhindert, dass ihre Not durch Hilfslieferungen gelindert wird. Um die Menschen der Ost-Ukraine geht es ihnen keine Sekunde, sondern lediglich um die Absicherung des Geländegewinns gegenüber dem alt-neuen Feind Russland [2].

Dass sie sich dazu eines der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion durch dunkle Geschäfte reich gewordenen Oligarchen bedienen, verwundert nicht – können sie doch bei solchen Figuren zu Recht jenes Maß an Bedenkenlosigkeit und Gewalteinsatz voraussetzen, das sie erst nach oben spülte und nun ihre Claims verbissen verteidigen lässt. Poroschenko hat vielleicht nicht die Gesinnung der Rechtsextremen, die Janukowitsch davonjagten, aber er steht ihnen zumindest in der Gewaltanwendung nicht nach. Schon verlangt er Militärhilfe von NATO und EU [3], d. h. zur Zementierung der eigenen Macht scheut er auch den großen europäischen Krieg nicht; als Demokrat, zu dem ihn westliche Kreise erklärten, hat er sich weder in der Vergangenheit einen Namen gemacht noch zeugen davon erste Konzepte des eigenen Gesellschaftsentwurfs [4].

Und doch könnten Politiker angesichts der Faktenlage im Ukraine-Konflikt wenig ausrichten, stünden nicht die bei ihnen eingebetteten Medien [5] fest an ihrer Seite. Wider allen Menschenverstand kolportieren diese bereitwillig jede Räuberpistole aus dem Kiewer Präsidentenpalast und verzichten dabei nicht nur auf jede Überprüfung durch eigene Quellen, sondern sogar auf die Konfrontation mit dem eigenen Urteilsvermögen. So werden Absurditäten nicht nur nicht hinterfragt, sondern zu vermeintlichen Fakten aufgeblasen – aus ideologischer Parteilichkeit, was bislang als Merkmal autoritärer Staatswesen galt. Der Bedeutungsverlust bisher als seriös betrachteter Zeitungen und Sender, zum Beispiel gegenüber Internetportalen und Bloggern, hat auch hier seine Ursache: Sie haben ihre Unabhängigkeit oftmals aufgegeben und sich auf eine Rolle als propagandistische Begleiter herrschender Politik zurückgezogen.

All dies hat zur Prostituierung des Maidan beigetragen, ist aber keine Entschuldigung für das Versagen dieser anfangs so hoffnungsvollen Volksbewegung. Ihr fehlte es an Geduld, Weitsicht und dem langen Atem, den jede Umwälzung braucht, will sie die Menschen mitnehmen. Aus der Gier auf den schnellen »Erfolg« wurde das Chaos; die Toten des ukrainischen Konflikts – ob die jungen Soldaten der Armee, die »Separatisten« und vor allem die vielen unbeteiligten Frauen, Kinder, Alte – sind eine Hypothek, die auf ewig mit der Bewegung des Maidan verbunden bleibt.