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Pegida und die Parteien

(pri) Hatte schon Pegida mit dem wöchentlichen Montag als Demonstrationstag und dem Ruf »Wir sind das Volk!« Erinnerungen an das Jahr 1989 heraufbeschwören wollen, so folgen der Bewegung nun auch die Politiker, indem sie – wie damals die SED – zum »Dialog« rufen. Hilflos und zerstritten in der Reaktion auf das verwirrende Phänomen diffusen Volkszorns versuchen auch sie verzweifelt, das plötzliche Vakuum zwischen oben und unten zu füllen, um Macht zu erhalten oder zu gewinnen.

Am leichtesten hat es dabei die AfD [1] . Dieses neue Gebilde im Parteienspektrum betrachtet Pegida als natürliches Reservoir weiteren Wachstums. Schon in den Wahlkämpfen des letzten Jahres hatten ihre Spitzenkandidaten in Sachsen und Brandenburg nicht ohne Erfolg verstärkt auf ausländerfeindliche und rechtslastige Parolen gesetzt. Jetzt soll diese Orientierung offensichtlich auch stärker im künftigen Programm der AfD verankert werden. Und Beobachter vermuten zwischen der Pegida-Führung und AfD-Funktionären engere Kontakte [2] als von beiden Seiten bislang dargestellt. Wie dem auch sei, bei Pegida ist die Partei absoluter Favorit; nach einer aktuellen Studie würden 89 Prozent ihrer Anhänger [3]sie derzeit wählen.

Gerade dies aber lässt bei den Unionsparteien die Alarmglocken schrillen. Vor allem die CSU ist konsterniert [4], sah sie sich doch bisher als jene politische Kraft, die fast alles aufsaugt, was sich hierzulande am rechten Rand bewegt. Auch in der Politik gegenüber Migranten vertrat sie Positionen, die heute auf den Dresdener Straßen skandiert werden, und setzte sie teilweise auch durch. Deshalb meinen die Christsozialen, bei ihnen brauche es eine Pegida-Bewegung nicht; sie selbst seien schließlich die größte Bürgerbewegung in Bayern. Im eigenen Interesse reihen sie sich flink in die Anti-Pegida-Bewegung im Lande ein und betreiben zugleich eine restriktive Abschottungs- und Abschiebepolitik [5] gegenüber Ausländern.

Nach einigem Zögern scheint nun auch die CDU dieser Linie zu folgen. Ihr geht es vor allem darum, jene Anliegen von Pegida, die sich nicht mit Migrationspolitik befassen, zu ignorieren, die Diskussion allein auf dieses Thema zu konzentrieren und diesbezüglich – und in Übereinstimmung mit ihrer grundsätzlichen Politik – den ausländerfeindlichen Forderungen entgegenzukommen. So wurden bei einer Debatte in Dresden, an der Ministerpräsident Tillich teilnahm [6], soziale Probleme, allgemeine Zukunftsängste, Kritik an selbstherrlicher Politik und in diese »eingebetteten« Medien sowie der Konfrontationskurs gegenüber Russland und das Zurückweichen der Politik vor der globalen Wirtschaft (Stichwort: TTIP) weitgehend ausgeklammert. Zur Migrationsproblematik verwies die Landesregierung auf Versäumnisse des Bundes und der Kommunen und erklärte demonstrativ ihre Distanz zum Islam [7]. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Thomas Strobl [8] forderte schnellere Abschiebungen von Asylbewerbern.

Die Parteien links von AfD und Union [9] haben es erheblich schwerer und reagierten zunächst reflexartig ablehnend auf Pegida – auf Grund von deren in den Aufmärschen sichtbar gewordenen ausländerfeindlichen Ausrichtung mit einer gewissen Berechtigung. Das hatte insofern einen positiven Effekt, als es gelang, in dieser Frage eine rot-rot-grüne Gemeinsamkeit zum Ausdruck zu bringen, die es auf anderen Politikfeldern schon lange nicht mehr gibt. Dabei blieben sie jedoch stehen und versäumten es, sich tiefgründiger mit dem neuen Phänomen zu befassen. Es gelang weder, jene Fragen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zu rücken, die sich hinter der demonstrativen Ausländerfeindlichkeit von Pegida verbergen noch die Lösung migrationspolitischer Probleme in der Praxis zu verbessern. Im Gegenteil, der Schulterschluss mit CDU und CSU auf der Straße dient der Union als Bestätigung ihrer Politik.

Die Erfolglosigkeit dieses undifferenzierten Vorgehens hinsichtlich einer Eindämmung der Pegida-Bewegung hat inzwischen zu einem partiellen Umdenken geführt, das bisher jedoch nur die Ratlosigkeit bei SPD, Grünen und Linkspartei offenbart. Die einen lehnen jegliche Diskussion mit Pegida ab und beharren auf ihrem strikten Konfrontationskurs, womit sie in Kauf nehmen, die Bewegung als Ganze weiter nach rechts zu treiben. Andere plädieren für einen Dialog mit Teilen der Demonstranten, weil sie fürchten, Wähler zu verlieren und deuten Kompromissbereitschaft an. Dritte – so auf dem linken Flügel der SPD und bei der Linkspartei [10] – erwägen, Forderungen der Demonstranten, die auch ihre eigenen sind, stärker in den Fokus zu rücken, wissen aber nicht wie. Gerade die Linkspartei kann nicht ignorieren, dass 21 Prozent ihrer Anhänger Pegida gut finden [11], der höchste Wert nach der AfD (70 %) und noch vor CDU und CSU (15 %). 61 Prozent der Ostdeutschen halten die Bewegung nicht für rechtslastig; bei den Westdeutschen sind es 44 Prozent.

Insgesamt zeugt die Entstehung von Pegida im vergangenen Herbst ebenso wie ihre schnelle Entfaltung seither vom Versagen der etablierten Parteien von Rechts bis Links. Sie haben allesamt nicht wahrgenommen, dass sich am Boden der Gesellschaft, von dem sie schon weit abgehoben sind, eine diffuse Unzufriedenheit ausbildete, die sich direkt aus dieser – politischen – Kluft zwischen oben und unten [12] ergab. Nur rechtspopulistische und ausländerfeindliche Kräfte boten eine Plattform für diesen zutiefst undifferenzierten Frust, vermochten ihn in ihrem Sinne zu instrumentalisieren und sich als Sprecher allgemeiner Unzufriedenheit zu inszenieren. Darauf hat keine der etablierten Parteien bisher eine Antwort gefunden. Nach Ausgrenzung, pauschaler Diffamierung und letztlich Beschneidung demokratischer Rechte droht nun Anbiederung und Aussitzen. Statt vorurteilsfreier Analyse und konkretem Aufgreifen sozialer, bürgerrechtlich-emanzipatorischer und friedenspolitischer Anliegen verlieren sie sich in rechtslastigen Vereinnahmungsversuchen auf der einen Seite oder in Aktionismus und Streitigkeiten auf der anderen, was die Situation weiter anheizt.

Neu ist das freilich nicht. Wer einen Blick auf die 20-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wirft, dem bleiben verblüffende und zugleich sehr erschreckende Analogien nicht verborgen.