Angela Merkels ukrainischer Drahtseilakt

(pri) Gerade weil so wenig über die Details der Verhandlungen zwischen dem französischen Präsidenten Hollande, seinem russischen Amtskollegen Putin und Angela Merkel bekannt geworden ist, liegen zu dieser Stunde ihre Essentials ziemlich klar zutage. Das, worauf sich die drei bisher Beteiligten in Moskau einigten, ist offensichtlich ziemlich deutlich entfernt von dem, was Hollande und Merkel zuvor aus Kiew mitgebracht hatten, und es wird nun ihre Aufgabe sein, dieses Resultat nicht nur dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko schmackhaft zu machen, sondern vor allem den amerikanischen Präsidenten Barack Obama darauf festzulegen.

Merkel weiß, dass letzteres die schwierigste Aufgabe ist, weshalb sie selbst – ebenso wie François Hollande – die Erfolgsaussichten noch nüchterner einschätzt als selbst vor ihrem Abflug nach Moskau. Sie sieht, dass in Washington die Hardliner längst aufgerüstet haben und sogar sie inzwischen ins Visier nahmen. Sie muss auch fürchten, dass Poroschenko – unzufrieden mit den Moskauer Ergebnissen – die USA drängt, sie zumindest so nicht zu akzeptieren, was leicht bedeuten könnte, das Gesamtpaket scheitern zu lassen. Denn Putin sieht sich wohl nicht zu Unrecht am längeren Hebel, auch wenn er als unerwünschte Herausforderung betrachten würde, wenn die Ukraine amerikanische Waffen erhält. Zu einem Rückzug von einmal erkämpften Positionen sähe er sich dadurch dennoch wohl nicht veranlasst. Was er in Moskau zugestanden hat, dürfte im Prinzip sein letztes Wort sein.

Dafür nun im Westen zu werben, ist für Angela Merkel ein Drahtseilakt. Poroschenko könnte sie eventuell noch mit dem Hinweis auf weitere Geländeverluste ins Boot holen; die Separatisten haben bereits neue Offensiven angekündigt. Bei den USA, die sich in einem Prestigekampf mit Russland sehen, wird allein das nicht verfangen. Hier ist ihr einziges, wenn auch sehr gewichtiges Argument die globale Kriegsgefahr, die sich aus einem Scheitern der Verhandlungen ergeben könnte. Obama ist dafür vielleicht empfänglich, aber ob er sich damit im eigenen Land durchsetzen kann, ist ungewiss. Für amerikanische Hardliner ist Europa nicht weniger weit entfernt als der Nahe Osten, und dort hatte man bislang wenig Skrupel, Kriege vom Zaun zu brechen. Doch in Moskau sind die Karten jetzt wohl ausgereizt, sie liegen nun in Washington auf dem Tisch.

One Reply to “Angela Merkels ukrainischer Drahtseilakt”

  1. Drahtseilakt weniger, mehr Auftragsarbeit. Auftraggeber ist der US-amerikanischer Präsident Obama, der Frau Merkel und Herrn Hollande nach Minsk beorderte zur Sondierung der Lage vor Ort. Herr Obama weigert sich gegenwärtig, Rußland auf Augenhöhe zu betrachten und hat deshalb „NATO-Partnern“ diese Mission übertragen: Deutschland als größte wirtschaftliche und Frankreich als größte militärische Macht in West-Europa.
    Putin gönnte dagegen seinem weißrussischen Duz-Freund diese große politische Selbstdarstellung in Minsk. Merkel und Hollande waren gewissermaßen die Rollen als „Sonderbotschafter der NATO“ übertragen worden. Putin spielt die Rolle des „Friedenstifters“, ähnlich wie es ihm in Syrien „sensationell“ gelungen war.
    Herr Poroschenko bleibt der „Verlierer.“ Seine Hoffnung auf massive NATO- und EU-Hilfe wird ihm versagt bleiben. Das US-amerikanische Volk ist kriegsmüde und will keinen „großen Krieg“ mehr führen. Das Gezetere der „Falken“ im eigenen Land ändert daran auch nichts. Die strategische Auseinandersetzung mit dem mächtigen China im pazifischen Raum steht den USA noch bevor und bindet bereits seine Hauptkräfte in dieser Region.
    Die Ukrainer werden selber den bitteren Kelch leeren müssen. Ihr Regime-Wechsel vom Februar 2014 hat die Sezession in der Ukraine ausgelöst.
    Das „Jugoslawien-Konzept“ der 1990er Jahre funktioniert nicht mehr. Die geostrategische Lage hat sich inzwischen grundlegend verändert. Rußland ist wieder eine militärische Weltmacht geworden auf der Grundlage einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung in den bisherigen 2000er Jahren (nur zehn Prozent Staatsverschuldung und Devisenreserven in Höhe von etwa vierhundert Milliarden US-Dollar). Mit diesem Potential im Hintergrund hätte Serbien das Staatsgebiet Jugoslawiens zusammenhalten können.
    Wer die Lage nicht real einschätzen kann, muß dann immer mit bösen Folgen rechnen – früher wie heute.

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