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Debalzewo und der Frieden in der Ukraine

(pri) Es dürfte nur an Angela Merkel gelegen haben, dass die hiesige vorurteilsbelastete Medienzunft das Format »Minsk II« nicht von vornherein als total gescheitert abtat. Aber die Kanzlerin hatte zum Zustandekommen dieser Vereinbarung zwischen Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland eine derart intensive Arbeit geleistet, dass man ihr nicht allzu sehr auf die Zehen treten wollte. Einige fanden sie deshalb gar des Friedensnobelpreises für würdig, aber lange hielt das nicht an; dann brachen die eingeübten Reflexe wieder durch. Die Schlacht um Debalzewo wurde bei den meisten Politikern wie Journalisten zum Symbol eines angeblich nicht zu leugnenden Scheiterns von »Minsk II« [1] – ungeachtet dessen, dass ansonsten an der etwa 500 Kilometer langen Frontlinie der in Weißrusslands Hauptstadt vereinbarte Waffenstillstand im wesentlichen hielt, dass die Menschen in den Kampfgebieten ihre Keller verlassen, ihren Geschäften nachgehen, wieder Stunden und Tage ohne ständige Todesangst verbringen konnten.

Außer in und um Debalzewo, weshalb man die dortigen Kämpfe nicht nur als – zutreffenden – Bruch des Waffenstillstandsabkommens charakterisierte, sondern die Schuld – wie stets seit Beginn des Konfliktes – der russischen Seite allein zuwies. Dabei war die strategisch wichtige Ortschaft bereits im Januar, also lange vor den Minsker Gesprächen von den Separatisten eingekesselt worden, und Anfang Februar hatte ihr Kommandeur Sachartschenko die Ukrainer zur Niederlegung der Waffen aufgerufen [2] und ihnen freies Geleit zugesichert. Aber der ukrainische Präsident Poroschenko wollte davon nichts wissen. In der für ihn inzwischen typischen Selbstüberschätzung leugnete er gar noch in Minsk selbst, dass seine Truppen eingeschlossen seien. Putin hatte auch hier dieses Probleme durch Abzug der Ukrainer lösen wollen, vergeblich. Auch Merkel und Hollande konnten Poroschenko nicht umstimmen, so dass man schließlich – um weiter zu kommen – Debalzewo aus den weiteren Gesprächen ausklammerte; vielleicht glaubten Frankreichs Präsident und die Kanzlerin auch dem Ukrainer und hofften, er könne die Niederlage gegen die Separatisten noch abwenden.

Das war freilich eine eitle Hoffnung. Weder in den bis zum Inkrafttreten der Waffenruhe verbleibenden Tagen noch danach bestand dazu eine Chance; die Separatisten wollten das errungene Terrain nicht wieder aufgeben, und Poroschenko wollte oder konnte wegen der in den eigenen Reihen auf eine militärische Lösung setzenden und wohl auch von ausländischen Beratern vor allem aus den USA angefeuerten Hardlinern nicht zum Rückzug blasen. So forderte der eskalierende Waffengang nun noch zahlreiche Tote und Verletzte auf beiden Seiten, und am Ende musste die ukrainische Armee eine demütigende Niederlage hinnehmen [3], die in erster Linie Poroschenko zu verantworten hat, wie ihm seine internen Widersacher auch sofort vorwarfen.

Dennoch könnte es paradoxerweise sein, dass die Militäraktion in Debalzewo den Waffenstillstand und letztlich vielleicht sogar den Frieden in der Ukraine näher bringt. Denn sie hatte das reale Kräfteverhältnis noch einmal deutlich gemacht, und zumindest Merkel und Hollande, die mit ihrem Prestige für eine gewaltlose Lösung bürgen wollen, gehen offensichtlich davon aus, es nicht verändern zu können. Sie halten an »Minsk II« fest, wohl aber auch die ostukrainischen Separatisten – ob nun von Wladimir Putin dazu veranlasst oder aus eigenen Stücken. Jedenfalls lassen die Scharmützel an der Frontlinie allmählich nach, Gefangene wurden ausgetauscht und auch der Rückzug der schweren Waffen scheint in Gang [4]zu kommen.

Kiew muss sich dieser Entwicklung beugen, verhehlt aber seine Unzufriedenheit nicht. Debalzewo hat zwar auch der ukrainischen Regierung die Realität klar gemacht; gerade deshalb aber versucht sie ständig, sie zu ihren Gunsten zu korrigieren. Darauf zielt zum Beispiel der Vorschlag einer EU-Polizeiaktion zur Überwachung von Waffenstillstand und der Grenze zu Russland [5]; es war klar, dass ein solches Projekt, mit dem einer der Parteigänger Kiews zum Vermittler gemacht werden soll, ohne jede Aussicht auf Erfolg ist, weshalb es sogar in Brüssel abgelehnt wurde.

Aussichtsreicher könnten die Hoffnungen auf die USA sein, die die Entwicklung in der Ukraine nicht nur als regionales Problem betrachten, sondern sich dadurch in ihrer hegemonistischen Geopolitik eingeschränkt [6] sehen. Russlands Bemühungen, die USA durch eine Art »cordon sanitaire« von den eigenen Grenzen fernzuhalten, sollen zu allererst der eigenen Sicherheit dienen; sie können objektiv aber auch ein Beitrag zur Erhaltung des Weltfriedens sein. Jedenfalls hat das Vorrücken der USA und der NATO in Nähe der russischen Grenzen die Welt in den vergangenen Jahren nicht sicherer gemacht, sondern die Kriegsgefahr sukzessive erhöht.

Vielleicht hat nicht zuletzt diese Erkenntnis den französischen Präsidenten und die deutsche Kanzlerin zu ihrer ungewöhnlichen Friedensmission in der Ukraine veranlasst, wobei es gewiss hilfreich war, dass im Weißen Haus derzeit (noch) ein Präsident das Sagen hat, der zwar auch die USA als unbestrittene Weltmacht Nr. 1 erhalten will, aber dafür den Einsatz militärischer Mittel nicht immer favorisiert. Ob und wie lange er das bei diesem Konflikt durchhalten kann, bleibt abzuwarten. Die Chancen dafür aber steigen in dem Maße, wie sich alle Beteiligten mit Verantwortungsbewusstsein und dem richtigen Augenmaß den derzeitigen wie noch drohenden Problemen in der Ukraine stellen.