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Mit Demokratie kommt die EU nicht klar

(pri) Ein solch einfacher demokratischer Akt wie das Referendum eines Volkes über seine Zukunft ist im umfangreichen Regelwerk der EU nicht vorgesehen. Mehr noch: Volkswille, wie er jetzt in Griechenland ermittelt werden soll, widerspricht der Geschäftsgrundlage , die sich die EU gegeben hat, offensichtlich so grundlegend, dass sie das Land umgehend in Quarantäne schickt.

Dargestellt wird der Vorgang freilich – mit eifriger Anteilnahme der eingebetteten Medien – ganz anders. Beizeiten gab die EU die Sprachregelung heraus, Griechenland habe die Verhandlungen verlassen, was sofort zum vorherrschenden Tenor der Berichterstattung wurde. Tatsächlich war Athen entschlossen weiterzuverhandeln und bei einem befriedigendem Ergebnis dessen Annahme beim Referendum zu empfehlen. Das gilt übrigens weiter, doch bislang weigern sich die EU-Finanzminister und die »Institutionen«, ein neues Verhandlungsangebot vorzulegen [1], so dass gegenwärtig das letzte Papier der EU mit der Verweigerung einer Reichensteuer und der Forderung nach weiteren Rentenkürzungen [2] zum Gegenstand des Referendums würde, auch wenn dies die EU schnell zurückgezogen hat; sie kann kein Interesse daran haben, dass ihr erpresserisches Angebot durch ein Plebiszit des Volkes zurückgewiesen wird.

Für die EU ist ein Volksentscheid eine »Provokation« [3] , auch dieser Begriff wurde in der Bewertung durch die meisten Medien dankbar aufgenommen – und er steht in der Tradition Brüssels; bereits 2011 hatte die EU einen entsprechenden Plan des damaligen Ministerpräsidenten Papandreou brüsk zurückgewiesen. Das wiederholt sich jetzt – und das keineswegs überraschend, wie von einigen suggeriert wird. Der griechische Ministerpräsident Tsipras hatte diese Möglichkeit mehrfach angekündigt, und vor einiger Zeit sprach sich sogar der deutsche Finanzminister Schäuble dafür aus, wobei er allerdings wünschte, dass Tsipras das von ihm akzeptierte und damit seinem Wahlversprechen diametral entgegenstehende EU-Spardiktat zur Abstimmung stellt und damit im Falle einer Ablehnung selbst zur Fall kommt.

Mit Demokratie, das zeigt die jüngste Entwicklung deutlich, kommt die EU nicht klar. Ihr Kalkül, das Land mit weiteren »Hilfsgeldern« zu ködern, die seine Schulden noch weiter erhöhen und damit die Lage Griechenlands immer weiter verschlimmern würden, und sie auf diese Weise zur Akzeptierung des EU-Sparpakets zu veranlassen, ist nicht aufgegangen. Wie sehr sie darauf gesetzt hatten, zeigt die detaillierte Beschreibung des Verhandlungsgangs der letzten Tage in der heutigen »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«.

Die EU führte die Gespräche demnach »mit einer klaren Botschaft: Du musst dich nun bewegen, das Angebot der Institutionen ist außerordentlich günstig.« Tsipras lehnte die Vorschläge zunächst nicht rundweg ab; vielmehr präsentierte Athen ein eigenes Papier, das allgemein als positiv bewertet wurde, doch die »Eckpunkte« der EU, also ihr altbekannte Austeritätskonzept, war aus Sicht der Institutionen nicht genügend berücksichtigt. Vor allem Schäuble und IWF-Chefin Lagarde stellten sich quer, doch Tsipras blieb zunächst gelassen, stellte die Vorschläge aber in seiner Delegation zur Diskussion – entsprechend den demokratischen Traditionen der Syriza-Bewegung. »Gut dreißig Leute hatte er mitgebracht, eine riesige Delegation«, moniert die FASZ. Dort stießen die im Kern unveränderten Vorschläge der EU auf Ablehnung: »Offenbar konnte oder wollte sich Tsipras im Kreis seiner Leute nicht durchsetzen. Auf jeden Fall hatte er kein Mandat, keinen Spielraum.«

Die Finanzminister, nicht Griechenland, beauftragten daraufhin ihre Institutionen, »dass die bei der nächsten Sitzung ihre Reformvorschläge vorlegten – ob mit oder ohne griechische Zustimmung«. Neue Vorschläge ihres Athener Kollegen Varoufakis lehnten die Finanzminister ab, ein Gipfeltreffen der Regierungschefs verweigerte Angela Merkel.
Das Ergebnis ist bekannt und dürfte sich auch kaum noch ändern. Der EU geht es jetzt vorrangig um die Verhinderung einer Ansteckung ihrer sonstigen Mitglieder; [4] die Härte gegenüber Griechenland ist auch Warnung an andere unsichere Kantonisten. Lediglich die Unkalkulierbarkeit der Folgen eines Grexit für das Finanzsystem veranlasst die EZB zu weiteren Stützungszahlungen an griechische Banken; der Staatsbankrott soll abgefedert werden. In der Sache bleibt die EU bislang hart. Ihre Regeln haben allemal Vorrang vor demokratischen Entscheidungen.