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Horst Seehofer, der Möchte-gern-Strauß

(pri) Ein Franz Josef Strauß ist Horst Seehofer nie gewesen – schon nicht vom Temperament her. Wo der bayerische Ministerpräsident der Jahre 1978 bis 1988 noch brüllte wie der Löwe im Wappen des Freistaats, bringt es sein zaudernder Nachfolger nur auf wolkige verbale Drohgebärden. Und macht ansonsten den Eindruck eines verzagten, verschreckten Landesvaters, der ob eines zwar beträchtlichen, aber – wie seine Bürger vor Ort täglich beweisen – doch zu bewältigenden Flüchtlingsandrangs in Panik verfällt. Weil Fremde, ihm unheimliche Menschen aus anderen Welten nach Bayern kommen, geht es für ihn und seinen begrenzten Horizont »an die Existenz von CDU und CSU« [1].

Wo Strauß noch mit Tatkraft erreichte, dass Bayern vom Agrarland mit Lederhosen-Folklore zu einer modernen Laptop-Region wurde, versagt Seehofer samt seinem Kabinett bei der Organisation von Aufnahme, Betreuung und Weiterleitung der Flüchtlinge; die Kommunen und ihre Tausenden ehrenamtlichen Helfer sind es, die in die Bresche springen und dabei mitunter sogar erleben müssen, dass ihnen aus München nicht nur nicht geholfen wird, sondern Steine in den Weg gelegt werden [2].

Wo Strauß schließlich nach seinem Kreuther Aufstand 1976, mit dem er Helmut Kohl das Ende der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU angekündigt hatte, schnell auf den Boden der Tatsachen zurückkehrte und seinen Frieden mit dem Rivalen schloss, verlängert Seehofer die Trotzphase gegenüber Angela Merkel wie ein ungezogenes Kind und merkt nicht einmal, wie er sich damit angesichts seiner nachsichtigen, aber bislang unnachgiebigen »Mutti« lächerlich macht.

Wenn also jemand die »Existenz« von CDU und CSU aufs Spiel setzt, dann ist es der kleine König aus der Münchner Staatskanzlei, der sich stur in der Vergangenheit einmauern will [3] und mit seinem abgehobenen Hofstaat nicht begreift, dass sich die Welt – nicht zuletzt durch eigenes unseliges Zutun – weiterentwickelt hat, auch in eine negative Richtung, und dass man sich dagegen nicht abschotten kann, sondern solche teils selbstverschuldeten Folgen ertragen und tragen muss – auch als eine Art Wiedergutmachung.

Indem sich Horst Seehofer faktisch an die Spitze der Bedenkenträger und Panikmacher, die es freilich auch im CDU-Führung zur Genüge gibt, setzt, sammelt er nicht nur alle hinter sich, die wie er zaudern und zagen, sondern auch jene, denen die gesamte Richtung schon lange nicht mehr passt und die keine Skrupel haben, konstruktive Lösungen auf mitmenschlicher Grundlage mit Gewalt zu verhindern. Die Urheber der fast täglich brennenden Flüchtlingsunterkünfte, die eine oft passive Staatsmacht nicht zu verhindern vermag, beziehen ihre Motivation auch aus den Warnrufen und Dramatisierungen von Politikern, wie sogar der einstige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler [4] den Merkel-Kritikern und speziell Seehofer vorwarf.

Dass er damit eine Situation schuf, die in aller Öffentlichkeit von immer mehr schwindender Regierungsfähigkeit der Union zeugt, liegt natürlich auch an Versäumnissen der Kanzlerin. Sie hat es jahrelang unterlassen, Antworten auf die mit der Globalisierung heranreifenden Probleme zu erarbeiten und wurde schließlich von der Wucht des weltweiten menschlichen Strebens nach einem erfüllten Leben überrascht. So wie die Banken, die Unternehmen, der Handel sich global organisierten und dorthin strebten, wo die besten Bedingungen vorzufinden waren, so folgen ihnen nun die Menschen – vor allem von dort, wo es ihnen besonders schlecht geht und sie nach Gegenden suchen, wo auch sie die besten Bedingungen für ihr Leben vorzufinden hoffen. Sie kommen erkennbar nicht nur aus Kriegsgebieten, sondern auch aus den Armutszonen dieser Welt, aus denen vor allem junge Männer (wer sonst?) fliehen, um sich irgendwo anders ein Leben aufbauen zu können, das diese Bezeichnung verdient. Und die dann vielleicht ihre Familien unterstützen, nachholen oder – zurück in der Heimat – sich dort etwas aufbauen.

Auf diese Situation hat die Bundesregierung einschließlich der Kanzlerin bisher nur die alten gescheiterten Rezepte parat, und deshalb könnte sie tatsächlich scheitern – mit allen unvorhersehbaren Folgen. Weder wird der Rückgriff auf die Dublin-Regeln gelingen, weil damit das Problem der Flüchtlinge auf die Randstaaten der EU vor allem im Süden verlagert wird, die sie objektiv nicht bewältigen können. Oder glaubt jemand, dass das verarmte Griechenland mit in diesem Jahr bereits 500 000 Flüchtlingen [5] etwas leisten kann, was die Politiker des reichen Deutschlands mit in etwa der gleichen Zahl in die Panik treibt? Noch wird das sture Beharren auf längst überholten Restriktionen gegenüber Flüchtlingen im Inneren die Probleme lösen, sondern allein die Beendigung des vormundschaftlichen Gehabes des Staates ihnen gegenüber. Nach dem zweiten Weltkrieg kamen fast 15 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in die beiden Teile Deutschlands, davon zwei Millionen nach Bayern, und wurden dort nicht in Asylheime oder Flüchtlingslager t eingewiesen. Wer immer konnte, suchte Verwandte, Bekannte, ehemalige Nachbarn, Landsleute, die ihm halfen. Das führte durchaus auch zu Konflikten, aber am Ende wurden alle diese Menschen, die viele auch als Fremde, als Exoten gar wahrnehmen, integriert.

Warum nutzt man nicht heute die Netzwerke der Flüchtlinge, die oftmals auch Verwandte, Bekannte, ehemalige Nachbarn und Landsleute in Deutschland haben, um ihnen ein erstes Unterkommen zu ermöglichen? Warum dürfen die Ankömmlinge nicht vom ersten Tag die Sprache lernen, obwohl die übergroße Mehrheit das will? Warum erhalten sie keine Ausbildung, dürfen sie nicht arbeiten, um sich schnell auf eigene Füße zu stellen? Warum werden Bürgerinitiativen, die den Flüchtlingen helfen wollen, nicht mehr unterstützt, sondern eher noch durch das Gerede von einer angeblich kippenden Stimmungslage verunsichert? »Die sind hungrig, die wollen was«, zitierte dieser Tage die Berliner Zeitung den Direktor einer Berliner Volkshochschule, in der allein 2000 Flüchtlinge Sprachkurse besuchen, nachdem ihnen das 2014 (!) vom Senat gestattet wurde. . Diesen Lerneifer, diesen Leistungswillen müsse man nutzen, denn: »Wenn die erst mal drei Jahre hier tatenlos rumhängen, weil sie nichts machen dürfen, dann ist die Energie weg.« Ein Betroffener, ein junger Iraner, der sich über alle Verbote hinwegsetzte und eine Ausbildung förmlich erzwang, sieht ungeachtet des seit zwei Jahren laufenden Asylverfahrens eine Perspektive für sich: »Für mich muss niemand mehr bezahlen, mein Leben liegt jetzt in meiner Hand.«
Das Alarmgetöse eines Horst Seehofer stellt sich daneben als ziemlich jämmerlich dar. Sein larmoyanter Verweis, er hätte schon vor elf Jahren beim Streit mit Merkel um die Kopfpauschale letztlich recht behalten, erweist ihn einmal mehr als jemanden, der in der Vergangenheit lebt. Damals handelte er mit seinem Rücktritt vollkommen richtig, doch heute steht er gegen eine sich wandelnde Welt – und hat auch nicht mehr den Mut, ähnlich konsequent wie damals zu handeln. Strauß hingegen war zwar ein Erzkonservativer, aber nie ein Mann von gestern. Seehofer vermag zwar noch, sich als Störfaktor in der Koalition zu betätigen, als eine Art Möchte-gernStrauß, doch am Ende wird die Geschichte über ihn hinweggehen.