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Die Flüchtlinge und die Zauberlehrlinge der Politik

(pri) Dass der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers kürzlich so unsanft aus seinem Amt befördert wurde, empfindet dieser – nicht ganz ohne Grund – als ziemliche Ungerechtigkeit. Schließlich war er es doch, der der großkoalitionären Politik unversehens die Mittel in die Hand gab, das Flüchtlingsproblem doch noch auf die Art zu lösen, die sie am besten beherrscht und daher in der Vergangenheit stets bevorzugte – mit eiserner Faust statt freundlichem Gesicht.

Albers hat ihr dazu gleich auf zweierlei Weise den Weg bereitet. Zum einen durch den völlig unzureichenden Polizeieinsatz in der Silvesternacht [1], der von den kriminellen Communities nach ihren bisherigen Erfahrungen mit der Kölner Polizei offensichtlich genauso prognostiziert worden war, wie er dann ablief, was den Tätern wohl als Einladung dazu erschien, die deutsche Spaßgesellschaft mal so richtig aufzumischen und dabei auch noch ordentlich Beute zu machen.

Zum anderen durch das Verschweigen des Desasters und damit auch der Tätergruppen, was zudem mit politischen Rücksichtnahmen statt der Verschleierung des eigenen Versagens begründet wurde – eine Steilvorlage für all jene, die dies der Politik schon lange vorwerfen und sich damit mehr oder minder bewusst in die rechten Kampfgruppen einreihen, die mit ihren Taten – siehe die jüngste Jagd auf auf Ausländer [2] in der Domstadt – das Land weit mehr destabilisieren als die Million Flüchtender, denen das pauschal unterstellt wird.

Der Kölner Ex-Polizeichef hat damit für jenen »Paukenschlag« (O-Ton Angela Merkel) [3] gesorgt, auf den die in ihren konservativen Gewissheiten verunsicherte Union schon lange ungeduldig wartete und der nun die »Zeitenwende« (O-Ton des baden-württembergischen CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl) einleiten soll, also die faktisch totale Rückkehr zu rigider Abschottungspolitik und mehr noch: die Beseitigung aller rechtlichen und moralischen Hindernisse, zu denen am Ende wohl auch der Asylrechtsparagraf des Grundgesetzes und die Genfer Flüchtlingskonvention zählen. Mehrere der jüngst von CDU und CSU angekündigten und von der SPD-Führung bereits in bravem Gehorsam für gut befundenen Geseztesänderungen stehen jedenfalls in krassem Gegensatz zu diesen humanistischen Festschreibungen und machen einmal den Anspruch der selbsterklärten Vorkämpfer für Recht und Freiheit zu eitlem, zynischen Pharisäertum.

Hinter diesem Offenbarungseid der Politik – nicht nur hierzulande, sondern europaweit – verbirgt sich die Unfähigkeit, eine den Gesetzmäßigkeiten der Globalisierung gemäße Politik zu machen. Solange es nur darum ging, die Geldströme rund um den Globus flotieren zu lassen, fühlte man sich noch als Herr des Geschehens, was schon da – siehe die Finanzkrise – nicht stimmte. Nun aber, da Menschen in vergleichbarer Weise um die Erde ziehen, beweist die Politik, dass sie dafür erst recht kein Konzept hat. Es war Angela Merkel, die dies offenbar machte, als sie nach Jahrzehnten der Ignoranz, des Wegsehens, der faktischen Leugnung des lange heraufziehenden Migrationsproblems und des daraus resultierenden Verzichts auf rechtzeitige Vorbereitung auf eine solche Jahrhundertaufgabe glaubte, es wie der Zauberlehrling bewältigen zu können: Wir schaffen das!

Doch selbst jetzt, wo dieses Mantra im Raum steht und tatsächlich auch hier Tausende motivierte, das Wort zur Tat zu machen, agiert die Politik weiter wie der hilflose Zauberlehrling, ist sie nicht in der Lage, mit einer unerwarteten, komplexen Situation fertigzuwerden. Sie verharrt in alten, überholten Positionen [4] und hemmt so den Elan der Helfer [5], treibt diese oft zur Verzweiflung, wenn in ihrem Rücken eingerissen wird, was sie mit ihren Händen mühsam aufbauten. Es erweist sich, dass eine über Generationen zu Selbstzufriedenheit und verengter Existenzsicherung und damit eben auch zur Abwehr alles Fremden und der Weigerung, über den Tellerrand zu blicken, erzogene Administration mit der Herausforderung dieser globalen Wanderungsbewegung nicht fertig wird. Nicht in Deutschland –  das Berliner Lageso [6] ist da nur ein besonders peinliches Beispiel , nicht in der übrigen westlichen Welt.

Die einen veranlasst solche Erkenntnis dazu, forsch zu erklären, sie wollten damit ja gar nicht fertigwerden, es genüge ihnen, in ihrer kleinen, umzäunten Welt zu leben. Dass dies vor allem auf jene im Osten Europas zutrifft, die bereits jahrzehntelang eingezäunt waren, verdeutlicht einmal mehr das Scheitern einer ihrer progressiven Substanz beraubten sozialistischen Idee. Es zeigt aber auch, dass die westlichen Verheißungen nach 1989/90 so sehr leere Worte geblieben sind, dass die Mehrheit der Bürger vieles von den alten Verhältnissen zurückwünscht, nicht mehr an Perspektiven glaubt, die über die eigenen Grenzen hinausgehen.

Andere behaupten noch immer die Gültigkeit ihrer hehren Werte und handeln doch gegen sie – ein Widerspruch, der immer sichtbarer wird und der der wahre Grund für den Vertrauensverlust der Menschen in die Politik ist. Diesen Widerspruch verkörpert inzwischen auch die Kanzlerin, die immer noch sagt, wir schafften das, und doch immer weniger tut, um das Wort zur Wirklichkeit werden zu lassen. Stattdessen ist sie – getrieben von ihrer Partei und besonders deren bayerischer Variante – längst auf dem Rückzug, revidiert sie Stück für Stück das, was aus der verbalen Losung erst Lösungen hätte machen können. Immer mehr nähert sie sich so auch persönlichem Scheitern; neben jenen, die ihre Flüchtlingspolitik grundsätzlich für falsch halten, zeigen sich zunehmend auch diejenigen enttäuscht, die mit ihr gemeinsam die große Aufgabe meistern wollten.

Dabei ist klar, dass es ein Zurück nicht geben wird. Es gibt kein Mittel, Menschen, die vor Tod und Vernichtung flohen, die sich auf die Suche nach einem erfüllten Dasein machten, in Krieg und Elend zurückzustoßen. Wer die Grenzen schließt, wer Hilfesuchende nicht sesshaft macht, riskiert ihren ununterbrochenen Zug über die Kontinente und damit die dauerhafte Destabilisierung großer Regionen [7] mit Rückwirkungen in alle anderen Weltteile. Mit der Zurückgezogenheit hinter eigene Grenzen, die alles Fremde draußen halten, ist es vorbei. Gerade die Zauberlehrlinge, die mit ihren falschen Beschwörungsformeln aus der Vergangenheit krachend gescheitert sind, müssten das begreifen – als Voraussetzung für eine Politik, die den Herausforderungen der Gegenwart gerecht wird.