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Putins Lektion

(pri) Es gehörte lange gewissermaßen zum argumentativen Grundbestand der hiesigen systemtreuen Medien, Angela Merkel, die »mächtigste Frau der Welt«, zur unbezwingbaren Dompteuse der internationalen Politik zu erklären. Damit ist es jetzt vorbei – und das nicht nur wegen ihrer jämmerlichen Rolle in der Innenpolitik, die ein subalterner Regionalfürst wie Horst Seehofer folgenlos fast täglich in Erinnerung ruft, sondern auch wegen ihres totalen Scheiterns auf der Weltbühne, das sie freilich durch fortgesetzte eigene Fehlentscheidungen selbst herbeigeführt hat.

Man erinnere sich an ihre arrogante Haltung gegenüber einer Türkei, die sich einmal auf dem Weg in Richtung Europa befand und dabei eine gewisse Bereitschaft zu inneren Reformen und der Lösung des Kurdenkonflikts erkennen ließ. Die Kanzlerin jedoch lehnte – nicht zuletzt wegen eines klaren Vetos der CSU – eine EU-Mitgliedschaft der Türkei grundsätzlich ab und verwies diese unter dem Label »privilegierte Partnerschaft« an den Katzentisch. Damals waren die unbestreitbaren demokratischen Defizite des Landes ein willkommenes Argument für solche Verweigerungshaltun [1]g, doch mit dieser Absage entfiel für den damaligen türkischen Ministerpräsidenten Erdogan die Notwendigkeit zur Fortsetzung einer gemäßigten Politik.

Heute, da die Lage in der Türkei viel schlimmer ist, der zum Präsidenten aufgestiegene Erdogan einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, der sich mittlerweile kaum vom Vorgehen des syrischen Diktators Assad unterscheidet, rechtfertigt Merkel diese Politik ausdrücklich mit der Bemerkung, dass auch die Türkei »das Recht hat, gegen Terrorismus vorzugehen« [2]. Sie räumt damit den totalen Bankrott ihrer Türkei-Politik rein; nicht sie diktiert mehr dem Land die Bedingungen der Zusammenarbeit, sondern Erdogan ihr; die Flüchtlingsbewegung – nicht zuletzt durch die langjährige bedenkenlose Unterstützung bewaffneter Gruppen in Syrien auch durch die Bundesregierung selbst ausgelöst – dient ihm als probates Mittel.

Noch verheerender ist freilich die Bilanz der Merkelschen Politik gegenüber Russland und seinem Präsidenten Putin. Auch hier glaubte die Kanzlerin, aus der Position der Fordernden auftreten zu können, was sich schon lange als Trugschluss erwiesen hat. Denn Putin verfolgt auf dem internationalen Feld – anders als Merkel, die auch hier zu kurzschlüssigen Entscheidungen neigt – ein langfristiges Konzept, unabhängig davon, was man in der Sache davon halten mag. Besonders deutlich zeigt das derzeit die Entwicklung in und um Syrien. Bereits vor mehr als drei Jahren hatte sich Putin geweigert [3], dem westlichen Drängen nachzugeben und – ähnlich wie in Libyen – mit militärischem Eingreifen zugunsten des Westens die bestehende Regierung zu stürzen und stattdessen eine dem Westen gewogenere Administration zu etablieren. Da der Westen jedoch aus ideologischen und geopolitischen Gründen seine verfehlte Politik unbeirrt fortsetzte, schuf er Schritt für Schritt eine Lage, die ihn nun selbst in höchste Bedrängnis bringt, die noch dadurch verstärkt wird, dass Russland jetzt aktiv in die Szenerie eingreift und seine eigenen ideologischen und geopolitische Interessen entschlossen durchsetzt, ohne dass der Westen etwas dagegen tun kann.

Besonders betroffen ist davon die Bundesrepublik, strebt doch die übergroße Mehrzahl der syrischen Flüchtlinge nach Deutschland. Dafür wird neuerdings Russland verantwortlich gemacht, das – wie schon seit langem der Westen – inzwischen auch mit Bombenangriffen den syrischen Bürgerkrieg zu beenden versucht, allerdings offensichtlich mit viel größerem Erfolg. Über die eigentliche Ursache, die Anfeuerung des syrischen Bürgerkrieges durch die Unterstützung jedweder, auch dubioser Oppositionellengruppen gegen Assad mittels Waffenlieferungen und – zumindest seitens der extrem konservativen westlichen Bündnispartner wie Saudi-Arabien und Katar wie auch der Türkei – durch Einschleusung von Kämpfern, mag man in Berlin aber nicht nachdenken, im Gegenteil. Man baut weiter auf die erfolglose »Strategie«, den syrischen Bürgerkrieg durch die Schwächung beider Hauptakteure, des Assad-Regimes und des IS, zu beenden – und wendet sich nun auch noch auf Befehl Erdogans von den Kurden ab, die sich zusammen mit iranischen Milizen zuletzt als die effektivsten Kämpfer am Boden erwiesen, indem sie erfolgreich gegen den IS vorrückten. Erdogan wie Putin haben es also beinahe allein in der Hand, die Flüchtlingsbewegung zu verstärken oder abzuschwächen. All das hätte eine langfristige Analyse der Entwicklung verhindern können – und eine darauf aufbauende Realpolitik, die die wahren Kräfteverhältnisse im Konfliktgebiet zu Kenntnis nimmt statt Wunschvorstellungen nachzuhängen, die letztlich nur zu Problemen für einen selbst führen.

Genau dies hat Wladimir Putin getan und damit Angela Merkel eine Lektion erteilt, wie man langfristig und realitätsnah Politik macht, die am Ende erfolgreich ist. Dass man diese Politik in ihren Zielen und Methoden hinterfragen kann und muss, ist eine ganz andere Frage; gerade das aber hätte für die Bundeskanzlerin zusätzlicher Antrieb sein müssen, es besser zu machen.