Merkel reicht’s mit der CSU

(pri) Die Bundeskanzlerin will Störfeuer aus München  nicht länger dulden. Für die künftigen schwierigen Entscheidungen braucht sie volle Handlungsfreiheit. Den Gegenangriff auf Horst Seehofer führt sie ausgerechnet mit Franz Josef Strauß.

Der Konter kam – wie bei Angela Merkel zumeist – unspektakulär, aber überraschend. Nach Monaten öffentlichen Schweigens nutzte die CDU-Vorsitzende ein Zeitungsinterview – nicht etwa, um Horst Seehofer direkt zu antworten, sondern – viel schlimmer – den bayerischen Übervater Franz Josef Strauß gegen ihn zu interpretieren. Dessen Satz, dass es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Kraft von politischer Relevanz geben dürfe, gelte für sie dann nicht, wenn um Menschen an die Union zu binden, »Prinzipien relativiert oder gar aufgegeben werden müssten, … Prinzipien, die für unser Land wie auch die Union konstitutiv sind, die den Kern unserer Überzeugungen ausmachen«.

Nicht nur, dass Merkel damit Seehofer unterstellte, von diesen Prinzipien abweichen zu wollen; sie machte sich dazu des unerhörten Frevels schuldig, Strauß für sich zu vereinnahmen, der schließlich auch gesagt hatte: »Wir wollen mit rechtsradikalen Narren und Extremisten nichts zu tun haben.« Kein Wunder, dass sich der heutige CSU-Chef und Möchtegern-Strauß »ein bisschen im Mark getroffen« fühlte und für eine solche Aussage nur »blankes Unverständnis« hatte.
Aber damit war es der Wirkungstreffer aus der CDU noch nicht genug. Mit ungewöhnlicher Klarheit stellte kurz darauf Wolfgang Schäuble, zuletzt eher in gewisser Distanz zur Kanzlerin, fest, es gebe keinen Streit zwischen Merkel und Seehofer: »Das sind Attacken gegen Merkel.« Auch Thomas de Maizière, der sich beizeiten von der Willkommenskultur abgesetzt hatte, konstatierte einen Zustand, »der der Union im Ganzen schadet« und verlangte ein Zurückfahren der »Dezibelstärke«. Und Merkels Stellvertreter Armin Laschet rechnete der CSU genüsslich vor, dass alles das, was sie jetzt als »links« geißele, von ihr wesentlich mitverantwortet wurde: die Aussetzung der Wehrpflicht von zu Guttenberg, die EZB-Kompetenzen von Theo Waigel, der Atomausstieg besonders vehement von einer bayerischen Landesregierung, in der Markus Söder Umweltminister war.

Ein Showdown gewissermaßen aus dem Hinterhalt, der zeigt: Die CDU will sich offensichtlich weitere Störmanöver aus München nicht bieten lassen. Schließlich hat Merkel in der Flüchtlingsfrage weitgehend die bayerischen Forderungen erfüllt, was ihr sogar der CSU-Rechtsaußen Hans-Peter Uhl bescheinigt: »Die Bundeskanzlerin ist längst auf unseren Kurs eingeschwenkt, auch wenn sie das bestreitet.« Und sie will wohl auch nicht Forderungen nachgeben, der Union insgesamt einen nationalkonservativen Kurs zu verordnen und sie so weiter nach rechts zu rücken; vor allem aber kann sie es nicht. Nicht mal jetzt hat die Union eine eigene Mehrheit im Bundestag, und für die Zukunft ist diese entgegen christsozialen Träumen noch weniger zu erwarten.

Mit Besorgnis beobachtet die Kanzlerin die zwar halbherzigen, aber dennoch Unsicherheit erzeugenden Absetzbewegungen der SPD aus der Großen Koalition, deren Dynamik angesichts ständig sinkender Umfragewerte unkalkulierbar werden könnte. Sie weiß, dass sie einen ihr genehmen Kandidaten für die anstehende Bundespräsidentenwahl wohl ohne ein Zugehen auf die Parteien links der Union nicht durchsetzen wird. Und sie denkt vor allem an mögliche Mehrheiten nach der Bundestagswahl 2017, die sich ebenfalls kaum im rechten Lager finden lassen dürften. In dieser Situation kann die Kanzlerin ständiges Sperrfeuer aus München nicht gebrauchen. Sie musste jetzt die Machtfrage stellen, will sie ihre Handlungsfähigkeit erhalten.

Möglicherweise argwöhnt Merkel gar, dass Horst Seehofer mit seinem vom Vor-Vorgänger Edmund Stoiber besonders befeuerten Sturmlauf gegen einen angeblichen Linkskurs der CDU auf ein wie auch immer geartetes Zusammengehen mit der AfD hinarbeitet. Schließlich gibt es dafür auch in ihrer Partei Sympathien, wie die Vorgänge um die Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt zeigten. Seehofer seinerseits sah die Selbstständigkeit der CSU in Frage gestellt, weil man deren Sonderrolle im Kanzleramt offensichtlich als »Fehlkonstruktion der Nachkriegszeit« betrachte, die korrigiert werden müsse.

Dass aus Berlin plötzlich ein steifer Wind weht, hat Seehofer begriffen. Hatte er zunächst noch wie gewohnt gekontert, ihn mache »niemand mundtot«, lenkte er nun plötzlich ein und überraschte am Sonntag die Öffentlichkeit mit der Mitteilung: »Die Kanzlerin und ich haben jetzt wieder ein Fundament des Vertrauens gelegt, auf das man aufbauen kann.« Worin dies bestehen könnte, ließ er offen – auch gegenüber seiner Umgebung, so dass ihn der schon lange ungeduldig in den Hacken sitzende Markus Söder misstrauisch mahnte, man dürfe »jetzt nicht einfach nur auf Friede, Freude, Eierkuchen machen«.

In gut zwei Wochen treffen sich die Führungen von CDU und CSU zu einem »Strategietreffen«, das Seehofer in Leipzig abhalten wollte, wo Merkel 2003 auf dem CDU-Parteitag gegen den entschiedenen Widerstand des Bayern ein neoliberales Programm durchsetzte, das sie zwei Jahre später beinahe den Wahlsieg gekostet hätte und daraufhin kassierte. An diesen letzten »Sieg« über Merkel wollte Seehofer anknüpfen, aber eine solche neue »Leipziger Völkerschlacht« verhinderte die Kanzlerin und setzte als Tagungsort Potsdam durch. Dort wurde übrigens 1945 die Niederlage völkisch-nationalistischer Träumereien besiegelt.

(Veröffentlicht in: »Neues Deutschland« vom 11.06.2016)