Angela Merkels und Sigmar Gabriels bleierne Republik

(pri) Es ist für eine Bundeskanzlerin wenig schmeichelhaft, wenn sie zum Thema im medialen Sommerloch wird. Doch angesichts des Defizits an tatsächlich bedeutenden Verlautbarungen aus der Regierungszentrale erörtert die Öffentlichkeit dieser Tage zum einen ermüdend den semantischen Gehalt von Angela Merkels Drei-Wort-Satz »Wir schaffen das!« und zum anderen die sie angeblich unaufhörlich umtreibende Frage »Schaffe ich das?« Nämlich noch einmal erfolgreich in eine Bundestagswahl zu gehen. Beides ändert zwar nichts an der Lage im Land, eignet sich aber trefflich dazu, von dieser abzulenken – zumindest bis demnächst die Wähler in zwei Bundesländern das ganze Elend der etablierten Politik offen legen.

Zu dieser Misere gehört eben auch die unerfreuliche Aussicht auf eine Fortsetzung des derzeitigen Regierungsbündnisses, denn natürlich haben sich sowohl Merkel als auch ihr Vizekanzler Sigmar Gabriel längst zur Kanzlerkandidatur entschlossen – vielleicht nicht so sehr aus eigenen Stücken, sondern mangels einer erfolgversprechenden Alternative.

Vor allem Angela Merkel ist auf Gedeih und Verderb zur erneuten Kandidatur verurteilt, hat sie doch in den letzten Jahren jeden denkbaren Nachfolger ausgebremst, abserviert oder weggelobt. Sie muss antreten – und will es wohl auch, schon um Horst Seehofer zu zeigen, dass es letztlich ohne sie doch nicht geht. Was dieser freilich längst weiß, weshalb er auch nicht selbst antritt. Zum einen ist für ihn Bayern das eigentliche Kampffeld, das er nicht verlassen will, solange dort die Nachfolgefrage nicht in seinem Sinne geklärt ist. Zum anderen hat er das Los früherer CSU-Kanzlerkandidaten im Hinterkopf, denn sowohl Franz Josef Strauß als auch Edmund Stoiber scheiterten, letzterer anschließend sogar im heimischen Freistaat. Wenn ein Bayer Kanzler zu werden droht, entscheidet sich das Wahlvolk doch lieber für einen Sozialdemokraten.

Angela Merkel wird das nicht passieren. 84 Prozent der Unions-Anhänger wollen sie trotz allen Unmuts weiter als Bundeskanzlerin. Und sogar unter der SPD-Sympathisanten würden 30 Prozent sie dem SPD-Chef vorziehen. Für Sigmar Gabriel ist also in einem Jahr bei der Bundestagswahl ebenso wenig zu holen wie für Steinmeier und Steinbrück vor ihm, so lange Merkel die Gegnerin ist. Der SPD-Vorsitzende hat sich längst auf die Fortsetzung der Koalition mit der Union eingestellt; rot-grüne Bekundungen seinerseits dienen nur dazu, heftig mit der CDU flirtenden Grünen wie Baden-Württembergs Ministerpräsidentem Kretschmann ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen und den linken Flügel der eigenen Partei bei der Stange zu halten.

Gabriel scheitert an seiner Aversion gegenüber der Linkspartei, die zwar aus seiner Biografie – er wuchs in der Familie eines eingefleischten Nazis auf – psychologisch verständlich, aber eben keine realistische Politik ist. Auf die offensichtliche Wechselstimmung in der Bevölkerung – über die Hälfte der Bürger möchte nicht länger Merkel im Kanzleramt sehen – hätte die SPD mit einem entschlossenen Befreiungsschlag unter Nutzung der Bundestagsmehrheit links von der Union antworten müssen; dass diese Konsequenz ausblieb, führte letztlich dazu, dass sich die Unzufriedenen eine andere Alternative suchten. Insofern ist die SPD zumindest einer der Geburtshelfer der AfD.

Jenseits aller medialen Aufgeregtheit ist also die politische Perspektive absehbar.Wir werden übers Jahr kaum etwas anderes haben als jetzt, nämlich eine weitere schwarz-rote Koalition, die sich dann erst einmal mühsam zusammenrauft, um das Land mehr schlecht als recht zu regieren. Die bleierne Republik, der jetzt schon so viele überdrüssig sind, wird fortbestehen, weil ihre Exponenten weder willens noch in der Lage sind, etwas wirklich Neues zu wagen. Damit fügt sich die Bundesrepublik in die Tristesse der meisten europäischen Länder ein. Und eine rebellische neue Generation, die wie in Spanien, Portugal oder Griechenland nach einer neuen politischen Erzählung sucht, ist leider bislang nicht in Sicht.