Beim Machtkampf Merkel – Seehofer gibt es nur Verlierer

(pri) Wieder einmal hatte der bayerische Löwe brüllend zum Sprung angesetzt und ist dann doch nur als Bettvorleger gelandet. Auf dem CSU-Parteitag verzichtete Horst Seehofer auf jegliche Kritik an Angela Merkel und räumte damit unausgesprochen ein, dass er den Machtkampf gegen die CDU-Vorsitzende verloren hat. Mehr noch: Durch seine verbissenen Attacken auf die Kanzlerin hat er die Aussichten der Union bei den Bundestagswahlen 2017 ebenso verschlechtert wie jene der CSU beim ein Jahr später anstehenden Urnengang in Bayern.

Und er gefährdete die eigene Position als Ministerpräsident, weil sein bayerischer Hauptkonkurrent Markus Söder im Wettstreit um die schärfsten ausländerfeindlichen Sprüche im Gegensatz zur ihm auch weiterhin keine Rücksicht auf Merkel nehmen muss.

Seehofer hatte in machohafter Selbstüberschätzung angenommen, dass Merkel seinem Druck auf die Dauer nichts würde entgegensetzen können und aus diesem Grund mit seinen Attacken überzogen. Schon das Schauspiel mit der Degradierung der Regierungschefin auf ein dummes Schulmädchen beim CSU-Parteitag des Vorjahres war vielen in der Union und noch mehr in der Wählerschaft sauer aufgestoßen, selbst in Bayern. Die sich danach uneingeschränkt fortsetzende Kritik an der Kanzlerin trotz deren geordnetem Rückzug vom einstigen zumindest verbalen Verzicht auf Feindseligkeiten gegen Flüchtlinge erweckte den Eindruck ebenso fortgesetzter Niederlagen Seehofers gegen Merkel, was der AfD in die Hände spielte. Sie konnte sich auf diese Weise dem rechtskonservativen Lager als konsequenteste ausländerfeindliche Kraft empfehlen und zog der Union in beträchtlichem Maße Wähler ab. Insofern trägt der Bayer eine hohe persönliche Verantwortung sowohl für die Verluste der CDU bei den Landtagswahlen dieses Jahres als auch für das demoskopische Tief der eigenen Partei.

Zwar kann er auch jetzt noch nicht über seinen Schatten springen und inszenierte daher am letzten Wochenende in München eine Pseudo-Entschuldigung, die Angela Merkel kaum ernst nehmen dürfte. Aber er hat jetzt keine andere Wahl mehr als einzulenken und die ungeliebte Chefin der »Schwesterpartei« mit zusammengebissenen Zähnen als Kanzlerkandidatin zu akzeptieren, was für diese den Sieg im Machtkampf mit Seehofer bedeutet.

Dennoch ist auch sie eine Verliererin, denn sie hat in dieser Auseinandersetzung ihren moralischen Kredit verspielt. War sie angesichts der aus – nicht zuletzt von der westlichen Konfrontationspolitik angefeuerten – Kriegen und daraus erwachsendem Elend geflohenen Menschen im Frühherbst 2015 noch zu dem Entschluss gekommen, ihnen Obdach und Schutz zu gewähren, so trat sie davon seither Schritt für Schritt zurück und ließ die Abschottungspolitiker in der CSU wie ihrer eigenen Partei gewähren. Inhaltlich könnte sich Seehofer insofern als Sieger fühlen, hat doch Merkel fast alle seine Forderungen inzwischen erfüllt, was ihm jedoch nicht genügte. Er wollte – und will eigentlich noch immer – die Unterwerfungsgeste.

Diese verweigert ihm die Kanzlerin auch weiterhin, doch hat sie ihre einstige unangefochtene Autorität weitgehend eingebüßt. Es begann bereits im November des Vorjahres damit, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière eigenmächtig Entscheidungen traf, die die ursprüngliche »Willkommenkultur« für die Flüchtenden beendeten. Schützenhilfe erhielt er dabei nicht nur von Seehofer, sondern auch von Wolfgang Schäuble, der grauen Eminenz im Kabinett Merkel. Danach konnte die Regierungschefin nur noch auf die sich fortsetzenden flüchtlingsfeindlichen Maßnahmen ihres Umfelds reagieren – durch stillschweigende Zustimmung oder wortreiche Beschwichtigung seitens ihres Kanzleramtsministers Peter Altmaier. Selbst ihr einst trotzig-entschlossenes »Wir schaffen das!« ließ sie sich am Ende abkaufen.

Das Resultat ist eine erheblich geschwächte Kanzlerkandidatin, die fast allein davon profitiert, dass es zu ihr – vor allem durch eigenes Zutun – keine erfolgversprechende Alternative gibt. Zwar findet der Pegida-Schlachtruf »Merkel muss weg!« (noch) keine Mehrheit im Wahlvolk, aber die Ablehnung der von ihr geführten Koalition wächst ständig. Nur deshalb sieht sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gezwungen, die für ihn persönlich inakzeptable rot-rot-grüne Option nicht von vornherein auszuschließen und seine Chefin auf Nebenkampffeldern wie der anstehenden Bundespräsidentenwahl herauszufordern. Es verrät Merkels Schwäche, wie wenig sie dagegen tun kann. Auch die Perspektive ist selbst für eine erneut wählerstärkste Union düster, denn sowohl bei SPD wie Grünen wächst die Abneigung, mit erkenntlich stark nach rechts rückenden C-Parteien ein Bündnis einzugehen.

Verlierer des unionsinternen Machtkampfs sind aber vor allem Menschen, auf deren Rücken derartige Parteiquerelen ausgetragen werden. Die Schließung der Grenzen in Europa, in der Regel durch drakonische Maßnahmen, zwingt immer mehr Flüchtende, den riskanten Weg über das Mittelmeer zu versuchen, 3771 ertranken dabei nach der unvollständigen Zählung der UN bereits 2015; in diesem Jahr sind es schon jetzt 3740. Aber auch wer diese gefährliche Überfahrt überlebte, muss in der Regel damit rechnen, dass er alsbald in sein Elend zurückgeschickt wird – meist nach bürokratischen Regeln und ohne Berücksichtigung, inwieweit er sich bereits integriert hat. Für die Zukunft ist offensichtlich sogar geplant, die Prüfung der Asylanträge nach Afrika auszulagern, d.h. Flüchtende gar nicht erst nach Europa zu lassen, sondern irgendwo am Rande der Sahara zu internieren und in Erwünschte und Unerwünschte zu selektieren.

Verlierer sind aber auch die zahlreichen Helfer hierzulande. Immer mehr werden sie durch Rechtsextreme angefeindet und sogar angegriffen, immer weniger erhalten sie Unterstützung von den Behörden; im Gegenteil, nicht selten legen ihnen diese immer neue bürokratische Fallstricke in den Weg. Nicht wenige resignieren inzwischen, was die vor allem auf ihren Schultern ruhende Integrationsarbeit zusätzlich erschwert. Damit droht aber auch Deutschland seinen Ruf als ein tolerantes, weltoffenes Land, in dem Flüchtlinge auf Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft treffen, zu verlieren. Und damit die Glaubwürdigkeit, es meine es ernst mit den Werten von Mitmenschlichkeit und Solidarität, die in hiesigen Sonntagsreden so gern verkündet werden.