Angela Merkels Neustart am Totensonntag

(pri) Den Totensonntag hielt Angela Merkel nach wiederholtem eigenen Bekunden nun für den »gegebenen Zeitpunkt«, um zu erklären, dass sie erneut als Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl antreten wolle. Ein Timing mit gewiss ungewollt hohem Symbolwert, weil es die Situation der Kanzlerin ziemlich treffend abbildet. Denn ihre Offenbarung kommt zu einem Datum, an dem sie offensichtlich den Tiefpunkt ihrer Karriere als Regierungschefin erreicht hat.

Im Inland ist ihr Rückhalt dramatisch gesunken und lebt derzeit eigentlich nur noch vom Fehlen einer glaubwürdigen Alternative, ein Zustand, den Merkel aus Machtkalkül selbst bewusst herbeigeführt hat und der ihr jetzt gar keine andere Entscheidung mehr offen ließ, wollte sie nicht ihr Scheitern eingestehen.Selbst in der eigenen Partei sind die Zweifel an ihrer Führungsfähigkeit massiv gestiegen, zuletzt wegen der Schlappe bei der Suche nach einem der Union genehmen Präsidentschaftskandidaten. Noch schlimmer der Vertrauensverlust bei der CSU-Schwester, in der viele argwöhnen, Merkel wolle das Koordinatensystem des Landes grundsätzlich verändern, was deren Vorsitzenden Horst Seehofer dazu veranlasste, die bayerische Staatspartei zu einer Art Widerstandsnest gegen die CDU-Chefin auszubauen.

Nicht weniger düster sieht es mit Angela Merkels Stellung auf internationalem Gebiet aus – ungeachtet der ihr immer wieder angedichteten Rolle als »letzter Verteidigerin der freien Welt«. Tatsächlich ist sie in Europa inzwischen überwiegend von Politikern umgeben, die mehr oder minder offen ihre Politik ablehnen oder die selbst schon auf einem absteigenden Ast sitzen. Nach dem Brexit bahnt sich auch in Österreich ein Kurswechsel gegen die von Berlin dominierte EU an. In Frankreich könnten Wahlen im nächsten Jahr ein ähnliches Ergebnis zeitigen. Polen und Ungarn sind längst auf Gegenkurs zu Merkel gegangen; seitens Bulgarien droht Ähnliches. Die südlichen EU-Staaten Italien, Griechenland und Portugal arbeiten beharrlich an einer Korrektur der aus Berlin diktierten Sparpolitik, der sich auch der mit einem Minderheitskabinett regierende spanische Ministerpräsident Rajoy alsbald verweigern dürfte.

Ist es also auch auf der Weltbühne schon seit einiger Zeit sehr einsam um Angela Merkel geworden, so verlor sie vermutlich mit der Wahl von Donald Trump auch noch ihren US-amerikanischen Rückhalt; zumindest dürfte es zwischen Ihr und dem Republikaner, der ihr im Wahlkampf ganz offen die Zerstörung des eigenen Landes vorwarf, kein solch harmonisches Verhältnis wie mit Barack Obama geben.

Angela Merkels Neustart steht also unter einem denkbar schlechten Stern. Hierzulande sprachen sich nach einer aktuellen Umfrage nur noch 55 Prozent für ihre erneute Kandidatur aus, 39 Prozent sind dagegen. Das sind zwar wieder mehr als noch vor Wochen, wo lediglich ein gutes Drittel sie weiter als Kandidatin sehen wollte, und tatsächlich hat sie gute Aussichten, auch 2017 wieder die Kanzlerschaft zu gewinnen. Ihr kommt zugute, dass sich die SPD mit ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel scheut, ihr die Gefolgschaft aufzukündigen und bei der Wählerschaft um Zustimmung für eine neue, wirklich alternative Konstellation links von CDU, CSU und AfD zu werben. So kann sie ihre reaktive Politik ohne Visionen für die Lösung drängender Probleme fortsetzen – bis zum bitteren Ende, für das Land, aber auch für sie.