(Un-)Heimliche Terrorhelfer

(pri) Ein islamistischer »Gefährder« aus Tunesien bringt auf einem Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen um und verletzt Dutzende weitere, und seine Hintermänner sitzen – in bundesdeutschen Behörden.

So stellt sich wenige Tage nach dem Terroranschlag die Faktenlage dar. Alle Verschärfung des Asylrechts, alle Überwachung, alle Hysterie um Flüchtlinge haben nicht genützt, um das Attentat zu verhindern, weil die zuständigen Organe in Politik, Justiz und Sicherheitsorganen total versagt haben. Anstatt ihre Arbeit professionell zu tun, ergingen sie sich – und ergehen sich wieder – in aufgeregten Debatten, wie man denn die Bürgerrechte immer noch weiter einschränken kann, auf Gebieten, die mit Terrorismus nichts zu tun haben, aber den Zugriff auf den Bürger, der offensichtlich als rechtloser Untertan verstanden wird, erleichtern. Sie betreiben damit klammheimlich das Geschäft der Terroristen, erweisen sich – ungeachtet von ihren Gründen und Motivationen – als deren willkommene Helfer.

Anis Amri, wenn dies tatsächlich sein Name ist, hat nicht nur ein langes Vorstrafenregister und zeichnete sich durch die offene Bekundung terroristischer Absichten aus, sondern war mit diesem Hintergrund den Behörden bestens bekannt. Er saß sogar einmal in Haft, war zur Abschiebung vorgesehen und konnte dennoch ganz ungestört den bislang schwersten Terroranschlag auf deutschem Boden vorbereiten, danach sogar noch fliehen. Da kann man sogar auf den Gedanken kommen, dass die These, irgendwer irgendwo habe ein Interesse daran, die Auseinandersetzung um die Flüchtlingspolitik durch eine spektakuläre Tat zu eskalieren, um auf der Woge des folgenden Volkszorns die Bürgerrechte noch weiter einzuschränken und ein autoritäres Staatswesen zu konstituieren, nicht so einfach ins Reich der Verschwörungstheorien zu verbannen ist.

Denn natürlich fehlen – wie stets nach Terroranschlägen welcher Art auch immer – die Forderungen nach neuen, verschärften Gesetzen nicht. Der im Wahlkampf befindliche Innenminister des Saarlandes, Klaus Bouillon, sieht sich seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt »im Krieg« und will künftig »mit schwerem Gerät antreten. Das heißt Langwaffen, Kurzwaffen, Maschinenpistolen«. Zugleich hält er einen langen Forderungskatalog bereit, der mit dem Terrorattentat nichts zu tun hat. Flüchtlinge ohne Papiere sollen den Asylanspruch verlieren, verlangt er mit Blick auf die Identitätsfeststellung, aber Anis Amri war nicht nur bekannt, man war seiner sogar habhaft und ließ ihn wieder laufen. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten soll gelockert werden, was ebenfalls am konkreten Fall vorbeigeht, denn man hatte alle notwendigen Informationen, um gegen den späteren Attentäter vorzugehen. Bouillon fordert hier nichts anderes als das faktische Wiederaufleben der faschistischen Gestapo; in der DDR gab es diese Vermischung übrigens nicht. Schließlich will Bouillon die sozialen Netzwerke stärker überwachen; auch dies hat mit dem Berliner Anschlag nichts zu tun.

Aber Bouillon steht natürlich nicht allein. Vor allem aus Bayern wird ihm heftig sekundiert, und Seehofer-freundliche CDU-Politiker stimmen in den Chor ein. Natürlich wird auch wieder nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren gerufen – als hätte dies den Anschlag verhindert, den die tatsächlich zuständigen Sicherheitsorgane gewissermaßen sehenden Auges auf sich zukommen ließen. Die Bundesrepublik reiht sich damit jedoch nur ein in das Versagen anderer Länder im Kampf gegen den Terrorismus, weil dieser nicht an die Wurzeln, das ungerechte Weltwirtschaftssystem und seine Verteidigung durch die politischen Eliten des Westens, geht.

Im Blog »Deus ex Machina« der FAZ wurde zum Beispiel die Parallele zu Frankreich gezogen: »Der ganze Ablauf, das Wissen um die Gefährlichkeit, die Überwachung und ihre Einstellung, die Hilflosigkeit der Behörden – das alles kennt man schon aus Frankreich. Wäre man zynisch, würde man sagen, die deutschen Sicherheitsbehörden sind Nachahmungstäter ihrer französischen Vorbildkollegen beim Anschlag auf Charlie Hebdo. Die Behörden waren auch dort umfassend informiert, haben die Männer abgehört und überwacht, nicht gefunden, was sie suchten, und aus der Überwachung entkommen lassen.« Man kann noch weiter zurückgehen. Als im April 2013 beim Boston-Marathon ein Sprengkörper drei Menschen tötete und 264 verletzte, erwies sich, dass das FBI durch den russischen Inlandsgeheimdienst bereits zwei Jahre zuvor vor den tschetschenischen Attentätern gewarnt worden war. Aber man glaubte wohl, die Attentäter würden sich eher gegen Russland als gegen die USA wenden und ließ sich ungeschoren.

Gerade letzteres Beispiel verweist auch auf die ideologischen Scheuklappen, die sich die Sicherheitsorgane westlicher Staaten gern anlegen. Offensichtlich ist ihre Furcht vor rechtsextremen oder sogar islamistischen Attentätern weitaus geringer als jene vor Andersdenkenden auf der Linken. Diese können weit weniger mit einer solchen Nachsicht bei ihrer Verfolgung rechnen wie der mutmaßliche Berliner Attentäter Anis Amri. Während das umfangreiche Sündenregister des Tunesiers offensichtlich nicht ausreichte, ihn auch nur länger als einen Tag in Haft zu nehmen – obwohl Abschiebehaft von sechs Monaten längst im Gesetz steht – genügte bei einem anderen Verdächtigen, dem gerade aus überwiegend anderen Gründen in die Debatte geratenen neuen Staatssekretär bei der Berliner Bausenatorin, Andrej Holm, dass in seinen wissenschaftlichen Arbeiten Begriffe verwendet wurden, die auch in Bekennerschreiben linksextremistischer Brandstifter auftauchten, um ihn einige Wochen festzusetzen. Hier arbeiteten die Behörden schnell und effizient, bei einem erklärten Terroristen in spe verlässt sie solche Professionalität.

Das gilt in anderer Weise auch für viele Medien, denen die sensationelle Schlagzeile und das Erzeugen emotionaler Stimmungen wichtiger ist als die sachliche Information. In einer aufschlussreichen Analyse hat das »neue deutschland« nachgewiesen, dass es nicht wenige Journalisten gibt, die, wenn auch unbewusst, für den IS und seine Thesen Reklame machen. So wurden im jüngsten Terrorfall über das Netz verbreitete Ratschläge zur Nutzung von LKW als Waffe, die nichts als allgemeine Banalitäten sind, zu »detaillierten Hinweisen für Attentate« und sogar zum »Taktik-Wandel des Islamistischen Staates« hochstilisiert, also genau das getan, was die Islamisten in der Bevölkerung publik machen wollen, um Angst und Schrecken zu erzeugen. Die gleiche Wirkung könnte mit der in riesigen Schlagzeilen verbreiteten Behauptung einer lähmenden Angst (»BILD«) oder einer »Schockstarre« (»Berliner Zeitung«) in der Bevölkerung erzielt werden. Doch gehörte und gehört sie, wie andere Medien dankenswerterweise richtigstellten, ins Reich des »Post-faktischen«, weil die Berliner in Wirklichkeit besonnen und gelassen reagierten und sich am Propaganda-Spiel der Terroristen nicht beteiligten.