Terror des Kapitalismus

(pri) Die Erleichterung war unüberhörbar: Nur eine kriminelle Tat, ergo wohl kein richtiger Terroranschlag. Solche Verharmlosung erstaunt angesichts der Hysterie, die sonst stets ausbricht, wenn ein vergleichbares Kapitalverbrechen verübt wird und die Hintergründe naturgemäß zunächst im Dunklen liegen. Dann schießen Spekulationen ins Kraut, die oft nicht auf Tatsachen, sondern auf den berüchtigten »alternativen Fakten« beruhen, die zudem noch vorurteilsbeladen interpretiert werden. So auch hier: Nicht nur für viele im virtuellen Netz und die AfD, sondern auch für nicht wenige Medien war die »islamistische Spur« jene, der sie zuallererst nachgingen. Doch ist nicht dieser bereits bekannte Reflex das eigentlich Beunruhigende, sondern die Bagatellisierung des eigentlichen Tatmotivs.

Da kann man lesen: »… für den Moment lässt sich daraus zum einen ein ganz banaler, zum anderen auch ein beruhigender Schluss ableiten«. Denn: »Der Täter handelte aus Habgier und nicht aus einer politischen Überzeugung oder aus Hass gegen den Verein. Also aus einer Charakterschwäche, die seit jeher Mord und Totschlag verursacht hat.« Kein religiöser Fanatiker, nur ein habgieriger Börsenspekulant, zwar drei Bomben, die Dutzende Opfer hätten fordern können, dahinter aber nichts als ein schwacher Charakter. Plötzlich wird Terror zum zwar schlimmen, aber irgendwie verständlichen Sündenfall, denn seien wir ehrlich – gegen eine Charakterschwäche sind wir alle doch nicht gefeit.

In Wirklichkeit aber sollte die Tat des Sergej W. nicht weniger ernst genommen werden als jene islamistischer Gotteskrieger, huldigte doch auch er einem Gott, jenem des Geldes, des Profits. Und dies ist offensichtlich ein Gott, dessen Tun weithin akzeptiert wird, so viel Unglück und Elend er auch über die Menschheit bringt. Man muss nicht jenes Zitat aus der Anfangszeit des Kapitalismus bemühen, um die kriminelle Energie des Kapitals zu beschwören, nach dem es bei entsprechendem Profit kühn wird, bei »300 Prozent … existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens«. Der Sündenfall beginnt aber schon beim ersten Schritt auf die Börse zu, denn sein Motiv ist eben nicht mehr und nicht weniger als Geld zu »verdienen«, das man nicht selbst erarbeitet hat, sondern andere, die es verlieren – auch durch solch raffinierte Finanzmanipulationen, wie den Optionshandel.

Dass der Gesetzgeber solche Praktiken, die Gewinnmaximierung über ein Verbrechen ermöglichen, legalisiert, wirft ein grelles Licht auf die Abgründe des Kapitalismus – und es schließt vor allem nicht aus, dass sich der Vorgang wiederholt, wie er übrigens bereits Vorgänger hatte. Der Angriffsziele gibt es dabei viele, und wie sensibel die Börse auf Vorgänge um einen Konzern, eine Bank oder eben eine Fußballmannschaft reagiert, ist bekannt. Selbst der »Frankfurter Allgemeinen«, die sich freie Fahrt r das Kapital beinahe ohne jede Einschränkung auf die Fahnen geschrieben hat, gruselt es angesichts des »perfiden Zwei-Komponenten-System aus Zocken und Morden«. Mit dem Anschlag von Dortmund ist hierzulande der Terror des Kapitalismus ganz buchstäblich angekommen.