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»Liberté« an der Volksbühne – Theater fast ton- und ganz tatenlos

(pri) Wer sich dieser Tage an der jüngst sehr ins Gerede gekommenen Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz das Sck »Liberté« von Albert Serra nur deshalb ansehen will, um einmal den einst berühmten österreichischen Schauspieler Helmut Berger leibhaftig zu erleben, kommt nicht so recht auf seine Kosten. Denn Berger, vor 50 Jahren Star in Viscontis Filmen, vor allem als Ludwig II. mit Romy Schneider, ist – obwohl ohne Zweifel auf der Bühne präsentso richtig dort nicht zu sehen und auch kaum zu hören. Das liegt weniger an den 73 Jahren, die der Mime inzwischen erreicht hat, als vielmehr am Autor und Regisseur Serra, der nach eigenem Bekunden Theater »ohne Bewegtbilder« und »mit Worten, fast im Flüsterton« machen wollte.

So sieht man dann in einem wunderschönen Bühnenbild [1], das Caspar David Friedrich nachempfunden scheint, eine von fahlem Mondlicht beschienene Waldlandschaft mit echtem Teich und wohl auch echtem märkischen Sand, in das etwas linkische Bedienstete Sänfte tragen, also jene überdachten, mit horizontalen Stangen versehenen Sessel, die dereinst dem Adel als Beförderungsmittel dienten. Konkret ist es französischer Adel, der dem absolutistischen Ancien Regime Ludwig XVI. entfloh und nun hier, in Brandenburg, seine anarchistischen Ideen bezüglich Moral und Sitte auszuleben gedenkt. Der Duc de Walchen, ein hiesiger Freidenker, gespielt eben von Helmut Berger, soll dabei helfen, doch der sitzt müde und matt in seiner Sänfte und beschränkt sich auf tiefsinnig gemeinte, aber denn doch banale Redensarten über die Fleischeslust, ohne auch nur einmal seinen Fuß vor die Tür zu setzen.

Derweil sammeln sich auf der unverändert schummrigen Lichtung immer neue Sänften, so dass die Szenerie bald einem plüschigen Wohnwagen-Bordell gleicht, in dem allerdings nicht viel passiert – und das nicht nur wegen der unpraktischen Reifröcke der Damen. Ohne Bewegtbilder, also auch ohne Handlung, und ohne Aufhellung verpufft der nur verbal mitgeteilte Tatendrang der Akteure schnell, und im ohnehin nur gut halb gefüllten Theatersaal breitet sich alsbald Langeweile aus [2], so dass schon nach einer Stunde die Abwanderung der Zuschauer einsetzt. Man erwartete vielleicht so etwas wie eine »Volksbumse« und bekommt nur »äußerst reduzierte Bewegungen«, so das Programmhaft, garniert mit »erhabene Metaphern«, wie es im Stück selbst heißt, über Begierde, Lust und Wollust.

Diese versteht man zudem kaum, es sei denn, man sitzt in den ersten beiden Reihen oder verfügt über ein Hörgerät, das sich hochfahren lässt. Lediglich das Wasser des Teiches hält sich nicht an die Regieanweisung, sondern trägt bei einem übermütigen Bad eines der Mädchen dessen Bauchklatscher und Arschbomben lautstark bis in die oberen Ränge. Freilich versäumt man nicht viel, wenn man den Text nicht [3]versteht, denn das, was im 18. Jahrhundert ein Problem gewesen sein mag, reißt in Zeiten totaler sexueller Aufklärung kaum noch jemand von den Sitzen.

Eins allerdings ist Albert Serra gelungen: Er versetzt die Volksbühne, in der [4]es unlängst noch eine U-Bahn-Station St [4]alingrad gab, zurück ins 18. oder gar 17. Jahrhundert, als Corneille und Racine ihre Tragödien in eben diesem Stile schrieben und die damalige Zeit zumindest auf der Ebene der Herrschenden durchaus zutreffend spiegelten. Sprache wie Gestik bleiben jener Periode vor der französischen Revolution verhaftet; vielleicht soll dies ja als Programm verstanden werden.

Wer übrigens in der gut zweistündige Aufführung ohne Pause bis zum Schluss durchhält, kann am Schluss Helm [5]ut Berger doch noch zu Gesicht bekommen. Denn am Ende stirbt er, aber nicht in der Sänfte, geht auch nicht ins Wasser im Hintergrund, sondern liegt ausgestreckt auf dem Bühnenboden. Dann wird es hell für den Abschlussapplaus, mühsam erhebt er sich und nimmt den Beifall entgegen, ehe er in der Kulisse verschwindet. Auch der dereinst als »schönster Mann der Welt« Apostrophierte kann der heutigen Volksbühne kein neues Leben einhauchen.