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Das Schweigen der Blogger

(pri) Wenn es unübersichtlich wird oder gar bedrohlich zu werden scheint, ist eine der angesagten Lösungsvarianten, erst einmal ganz still zu halten. Schon Insekten verfügen über einen Totstellreflex. Menschen halten dann und wann den Atem an. Spione werden bei Hinweisen auf ihre Enttarnung »abgeschaltet«. Ganz ähnlich verhalten sich derzeit offenbar zahlreiche Blogger angesichts der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Das Feld der Blogs hat sich seit vergangenem Freitag, als diese Verordnung endgültig in Kraft trat, deutlich gelichtet.

Wies unlängst das deutsche Weblog-Verzeichnis TopBlogs noch mehr als 1300 Seiten mit jeweils 25 Blogs auf, sind es heute keine 1000 Seiten mehr. Immer mehr Blogger erklären, vorläufig ihre Seiten stillzulegen [1], weil sie nicht wissen, welche Folgen die EU-Verordnung für sie hat. Allein bei Facebook sollen sich schon 7000 Blogger [2] angemeldet haben, um Hilfe von einer extra dafür geschaffenen Gruppe zu erhalten.

Wie es also scheint, hat die EU mit der DSGVO wieder einmal das Kind mit dem Bade ausgeschütt [3]et. Betroffen davon sind offensichtlich weniger die großen Player im Netz, die sich mit ihren Rechtsabteilungen rechtzeitig auf die neuen Bestimmungen vorbereiten oder aber die Schlupflöcher für eine sanktionsfreies Weiter-so herausfinden konnten, als die Vielzahl der Klein-»Unternehmer« und Hobby-Seitenbetreiber. Sie, die oftmals die Daten, für die sie nun verantwortlich gemacht werden, gar nicht selbst erheben, sondern sie aus technischen Gründen oder gar wegen eines anderswo genutzten Kontrollregimes zugespielt bekommen, sind plötzlich dafür haftbar – mit allen, auch rechtlichen und finanziellen Konsequenzen.

Ein Blogger braucht zum Beispiel die IP-Adresse eines Nutzers, der einen Kommentar abgibt, überhaupt nicht; dennoch bekommt er sie aufgezwungen und muss jetzt damit umgehen. Auch der Name interessiert wenig, zumal er oft gar nicht der richtige ist. Die Absurdität solcher Auflagen wird besonders dann deutlich, wenn man sie mit dem analogen Informationsaustausch vergleicht. Um den DSGVO-Verpflichtungen nachzukommen, müssten Briefempfänger den Umschlag mit der Absenderangabe sofort vernichten oder aber aufbewahren, um einem späteren Verlangen nach Vernichtung nachkommen zu können.

Kein Wunder, dass manch einer argwöhnt, die Datenschutzgrundverordnung sei vor allem dazu ersonnen worden, die freie Meinungsäußerung im Netz [4]einzuschränken und missliebige Kritik zu behindern. Tatsächlich bietet die DSGVO die Möglichkeit dazu, denn wenn man einen b [5]estimmten Blog nicht mehr im Internet haben will [5], findet man gewiss im rechtlichen Dschungel der Verordnung den Vorwand, ihn finanziell zu ruinieren oder zum Aufgeben zu zwingen. In autoritär regierten Staaten, darunter auch Mitglieder der EU, gibt es längst diese Praxis. Auch wenn deren Verallgemeinerung nicht die Absicht der Datenschützer gewesen ist, könnte genau dies eine Konsequenz des neuen Regelwerks sein. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit derartige Befürchtungen berechtigt sind.

Daher wird auch dieser Blog zwar nicht in eine absolute Schreckstarre verfallen, aber vorerst doch eine Art Orientierungspause einlegen. Dies bedeutet die Abschaltung der Kommentarfunktion, um keine unerwünschten Daten zugespielt zu bekommen. Das bedeutet auch den Verzicht auf die Nutzeranalyse durch Google Analytics, weil unklar ist, inwieweit der geforderte Vertrag mit dem Datenerfassungs-Riesen den Anforderungen der DSGVO genügt. Alles weitere ist in der neuen ausführlichen Datenschutzerklärung nachzulesen. Und wenn sich nach einiger Zeit zeigt, dass die ganze Angelegenheit nicht so heiß gegessen wird, wie sie angerichtet wurde, kann darüber nachgedacht werden, wie es mit dem Blog weitergeht. Auch nach dem Totstellreflex beginnt der Käfer irgendwann zu krabbeln, und wer den Atem anhielt, wird wieder Luft holen, wenn er meint, dass sie rein ist.