(pri) Gewöhnlich wird heutzutage immer so getan, als habe man alles im Griff. Tritt ein Problem auf, entwickeln die Zuständigen unverzüglich einen dröhnenden Aktionismus und spreizen sich vor den diversen Kameras mit ihrer Tatkraft. Die EHEC-Krise hat gezeigt, dass sich dahinter in der Regel nicht mehr als absolute Hilflosigkeit verbirgt, die ihre Ursache in Inkompetenz oder – schlimmer noch – in Versäumnissen hat, die wider besseres Wissen, aus »Sachzwängen« oder gar Schludrigkeit zugelassen wurden.
Der Aktionismus in der EHEC-Krise richtete sich gegen drei unschuldige Gemüse – Gurke, Tomate und Salat, und den Schaden hatten ebenso unschuldige Gemüsebauern, deren Arbeit innerhalb weniger Minuten für umsonst, weil kreuzgefährlich erklärt wurde. Beweise gab es dafür keine. Nicht eine einzige Tomate, nicht ein einziger Salatkopf mit EHEC-Erregern wurden gefunden, und die auf einer spanischen Gurke ausgemachten Keime erwiesen sich schnell auch nicht als ursächlich für die Epidemie. Dennoch hielten die mehr oder minder Zuständigen – ob aus diversen Ministerien, mehreren Behörden mit verschwommenem Aufgabenprofil oder auch dem renommierten Robert-Koch-Institut – tagelang an der Mär von Gurke, Tomate und Salat fest. Damit allerdings ihre Inkompetenz nicht verbergend, sondern im Gegenteil für jedermann offen legend. Kein Wunder, dass die meisten Bürger eher belustigt denn besorgt reagierten.
Über das Informationswirrwarr ist ausführlich geschrieben worden, ohne dass es die Verantwortlichen beeindruckte. Vielleicht kam ihnen dieses Thema sogar recht, ließ sich doch dahinter sehr gut ein viel größerer Skandal verbergen, der bis heute in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle spielt: das absolute Unvorbereitetsein auf eine solche Infektion, das Stochern mit der Stange im Nebel nicht nur bei der Suche nach dem Seuchenherd, sondern bei der Behandlung des aggressiven Erregers. Beobachtete man die ohne Zweifel übermenschliche Arbeit der Ärzte, Pfleger und Schwestern in jenen Kliniken, in die schwere EHEC-Fälle eingeliefert wurden, dann fühlte man sich beinahe ins Mittelalter zurückversetzt, in der man ähnliche hilflos der Pest gegenüberstand. Plötzlich war vom so viel gepriesenen medizinischen Fortschritt, für den Jahr für Jahr Milliarden ausgegeben werden, nichts mehr zu sehen. Und das Schlimmste: Auch nach diesem Totalversagen der für die menschliche Gesundheit Zuständigen ist über diesbezügliche Konsequenzen nichts zu hören. Alles dreht sich nur um Meldefristen, Informationsflüsse und Hygienemaßnahmen – gewiss wichtige Bestandteile der Prophylaxe, doch über eine wirksame Therapie scheint sich niemand Gedanken zu machen.
Fahndet man nach den Ursachen für dieses Schweigen, stößt man allenfalls zwischen den Zeilen der Berichterstattung auf Indizien. So ist der EHEC-Erreger, der jetzt die schweren Krankheitsverläufe auslöste, zwar bereits seit 2001 bekannt, doch trat er seither nicht mehr auf. Es handelt sich also um eine seltene Krankheit – und dazu weiß man, dass weder die medizinische Forschung noch die Pharmaindustrie sich viel mit solchen Krankheiten beschäftigen, nicht nur, aber auch, weil es sich »nicht rechnet«. Das gilt offensichtlich auch dann, wenn – und das dürfte für Experten kein Geheimnis sein – aus einer seltenen schnell eine verbreitete Krankheit werden kann, zumal der wahrscheinlichste Überträger von EHEC nicht Tier und Pflanze sind, sondern der Mensch.
Der Verdacht solch »ökonomischer« Entscheidungsgründe drängt sich auch deshalb auf, weil es seit 2007 mit Eculizumab ein Mittel gibt, mit dem eine ähnliche seltene Krankheit bereits behandelt werden kann. Es wurde in den USA entwickelt und kostet pro Dosis 6000 Euro. Studien über seine Anwendbarkeit auf den aktuellen EHEC-Erreger gibt es nicht. Und nirgends hört man, dass sie jetzt mit Hochdruck in Angriff genommen werden sollen. Dafür aber hörte man schon viel über die exorbitanten Kosten, die die EHEC-Behandlung verursacht, und dass einige Kliniken daher bereits gegen Sparauflagen protestierten.
Dass die Zuständigen in der EHEC-Krise eklatant versagten, ist offenkundig. Ihr bisheriges Verhalten danach lässt befürchten, dass sich daran auch bei künftigen ähnlichen Herausforderungen nichts ändert.