Weiter auf Sonjas Spuren…

(rhe) Vielleicht erinnert sich der geneigte „Blogsgesang“-Leser noch an den im Mai veröffentlichten, jetzt im Geschichtsbuch abgelegten Ruth-Werner-Beitrag „Auf Sonjas Spuren“. Das war der Einstieg:

„Wir leben in einer Zeit, in der zunehmend in Vergessenheit gerät, woran sich eine geschichtsbewusste Gesellschaft erinnern sollte. Dazu zählen auch Per­so­nen mit umstrittener Lebens-leistung. Eine von ihnen ist Ruth Werner. Ihr 104. Geburtstag und der 66. Jahrestag von Befreiung und Sieg sollen Anlass sein, sie zu ehren: Gedenkwanderung in Berlin-Treptow, Ausstellung des Ruth-Werner-Vereins in Carwitz bei Feldberg, Familien-treffen im Ausland“.

Der Text läuft auf die vorweg genommene Wanderung am 9. Mai hinaus. An deren Ende der Blogsänger den über 40 Getreuen mitteilt, dass sie sich ab sofort im Internet darüber informie­ren können, was in den zurückliegenden Stunden zwischen Plänterwald und Spreeufer im Wortsinn „abgelaufen“ sei. Den Hinweis auf diesen, journalistisch gesehen, eher ungewöhnli­chen Vorweg-bericht, quittieren die Empfänger erstaunt und verständnisvoll zugleich. Erinnerte sich mancher an ähnliche Vorgänge in länger zurück liegenden DDR-Zeiten?

Die Wanderung auf Sonjas „Lieblings“-Spuren, über die nicht ohne Grund erst jetzt berichtet wird, beginnt also an diesem sonnigen Maimontag auf dem Vorplatz des S-Bahnhofes Plän­terwald. Eine Freiluftkneipe ermöglicht letzte (flüssige) Stärkung vor einem Rundgang, von dem noch keiner der Teilnehmer weiß, wie er verlaufen und wann genau er zu Ende sein würde. Nur das Ziel war bekannt: Rosengarten an der Puschkinallee. Denn dort sollten am Nachmittag die „Siegesfeierlichkeiten“ über die Bühne gehen.

Die Stimmung ist wie das Wetter. Wenn sich Freunde und Genossen, gute alte Bekannte, Gleichgesinnte im Geiste Ruth Werners treffen, die sich Antifaschismus und Solidarität in schwerer Zeit auf ihre Fahne schreiben, geht’s meist heiter zu. Man trifft sich aus gutem Grunde.

Das ukrainisch-sowjetische Trio SCHO auf dem Lieblingsweg von Sonja und Len

Den musikalischen Auftakt liefert das ukrainisch-sowjetische Trio SCHO, wie sich heraus stellen soll, perfekte Straßenmusikanten. Mit Geige, Gitarre, Akkordeon und Gesang verlei­hen sie dem politischen Anlass ihre unterhaltsame Note. Hans Erxleben, in diesem Kreise als engagierter, ideenreicher und abgeordneter LINKER der Region bekannt, wird seinem Ruf gerecht. Indem er, spontan (und ohne vorherige Rücksprache mit den Gremien!), einen „Freundeskreis Ruth Werner“ ins Leben ruft.

Ein unerklärtes
Ordens-Geheimnis

Er verwendet dazu eine farbige Urkunde. Darauf das Abbild des Rotbanner-Ordens mit der Nr. 944. Ihn bekam Ruth Werner als Sonja 1937 in Moskau von Staatsoberhaupt Michail Ka­linin. Ein weiteres Mal wurde ihr der gleiche Orden 25 Jahre später in Berlin als Ursula Beurton vom sowjetischen Botschafter Pjotr Abrassimow überreicht. Über der zweiten Ver­leihung hing am diesem 9. Mai 2011 (immer) noch der Schleier eines unerklärten Geheimnis­ses. Das erst ein paar Wochen später in Carwitz seine endgültig Aufklärung durch einen ehe­maligen Aufklärer erfahren sollte. Durch einen, der es wissen muss. Denn er war dabei, als der Orden an Sonja und weitere Auserwählte verliehen wurde. Sein Name ist bekannt. Er wird im Beitrag „Immer noch auf Sonjas Spuren…“ öffentlich gemacht, der bis Anfang Oktober bei „Blogsgesang“ erscheinen soll.

Hans Erxleben ruft spontan zur Gründung des "Freundeskreises Ruth Werner"

Zurück zum Gründungsvorschlag. Ihm wurde – ohne wenn und aber – zugestimmt. Von de­nen, die aus den umliegenden Berliner Stadtbezirks-Regionen kamen ebenso wie von Sonjas 1942 in England geborenem Sohn Peter Beurton, der aus dem mecklenburgischen Carwitz herbei geeilt war. Auch Klaus Eichner, Spezialist für britische und US-Geheimdienste,  Autor, und Heraus-geber mehrerer Bü­cher zum Thema, ebenso einer der Autoren von „funksprüche an sonja“, hob die Hand. Er war mit seiner Frau aus dem brandenburgischen Dorf Lentzke ge-kommen. Mi­chael Hamburger, der 1930 in Shanghai geborene Sohn von Sonja konnte seine Hand nicht heben, er galt wegen einer wichtigen PEN-Veranstaltung im Süden Deutsch-lands ebenso als „entschuldigt“ wie die 1936 in Warschau auf die Welt gekommene Tochter Janina Blankenfeld. Sie fehlte krankheitsbedingt, ließ aber herzlich grüßen.

Gegen die Arroganz
von  Macht und SED-Spitze

Ersten Halt gibt es an der Stele für den im Oktober 1944 ermordeten Kommunisten und Wi­derstandskämpfer Erich Lodemann.

Vor diesem optischen Hintergrund erinnert ein Teilneh­mer an Steffi Spira. Sie lebte zwanzig Jahre in Adlershof. Ihr zu Ehren regten der dortige Bürgerverein und das Festkomitee eine Gedenktafel an. Die Volksschauspielerin hatte am 4. Novem-ber 1989 auf dem Alexander­platz vor 500000 Demonstranten mit erhobener Faust gegen die Arroganz der Macht das Wort ergriffen, für die Ablösung der SED-Spitze plädiert.  Nachdem die BVV Treptow-Köpenick nach einer aufgeregten Debatte eine Gedenktafel für die 1995 in Friedrichs­felde beigesetzte Verstorbene ablehnte (Der Tagesspiegel schrieb in einem Nachruf „Sie lebte einen Kommunismus des Herzens“), wird, der Monatsszeitschrift der LINKEN „Blättchen“ nach,  eine Ehrung weiterhin erwogen. Sie könnte im Oktober erfolgen.

Innehalten am Denkmal - über einen neuen Vorschlag nachdenken

In diesem Kontext soll hier auch mitgeteilt wer-den, dass für die in Wien 1908 geborene, vor den Nazis emigrierte Schau- spielerin (DT, Volks-bühne, BE), die in Kurt Maetzigs 1954 gedreh-tem Film „Ernst Thäl-mann – Sohn seiner Klas- se“ die Clara Zetkin spielte, am Haus Bonner straße 9 in Berlin-Wilmersdorf  eine Tafel angebracht wurde. Ihre Kernaussage ist system-übergreifend: „So, wie es ist, bleibt es nicht!“

Als der in lockerer Gruppierung wandernde Trupp am Dammweg 73 ankommt – das Haus schmückt ebenfalls eine Gedenktafel – ist ein weiterer Blick zurück wohl angebracht: auf Dora Schaul (1913-1999). Sie kämpfte während des Zweiten Weltkrieges in Frankreich unter dem Namen Rènne Fabre in der Rèsistance gegen die Nazi-Akkupation, woran in Brens bei Toulouse seit dem Jahre 2006 mit einem Straßennamen erinnert wird.

Straßennamen für Dora in Frankreich
Blumen für Dora in Deutschland

Vor dem Schaul-Haus erinnert sich Peter Beurton erst einmal an seine mit Doras Sohn Peter in den fünfziger Jah-ren in Carwitz ver-brachten Ferien. Aber auch an spä-tere Gespräche mit dessen Vater Hans Schaul, einst Chef-redakteur der „Einheit“. Bei denen sei es oft „um schwierige Fragen gegangen, die es ja in der DDR auch gab.“ Schaul habe ihm „so und so gesagt, und das war dann gut für mich.

Tragödie eines Unschuldigen:
Walter Hollitscher 

Weniger gut war es – wir sind zur Straßenreihe, die mit der Nr. 35 endet, gekommen – in den gleichen fünfziger Jahren einem Mann namens Walter Hollitscher ergangen. Der Österreicher sei Vormieter von Beurtons gewesen, war zu erfahren. Diese hätten erst ein paar Häuser wei­ter gewohnt. Wären dann aber wegen der guten Lage, des etwas größeren Gartens und der etwas niedrigeren Miete – „nicht 93,- Mark, sondern nur 90,- Mark“ – umgezogen. Gekauft wurde das Haus dann aber nicht, obwohl es Angebote gegeben habe.

Was nun den Vormieter angeht: der marxistische und kommunistische Philosoph war 1949 als Gastprofessor nach Berlin gekommen und wurde zwei Jahre später Direktor des wiederbe­gründeten Philosophie-Instituts an der Humboldt-Universität. Er galt wegen seiner wissen­schaftlichen Leistung sowie dem kollegialen Umgang mit Kollegen und Studenten als hoch anerkannt. Für diese war es dann im Frühjahr 1953 merkwürdig, geradezu unerklärlich, wes­halb es plötzlich eine angeblich bruderparteiliche verabredete Zurückrufung Hollitschers nach Wien gegeben haben soll.

Es ist hier nicht der Platz ausführlich zu referieren. Nur soviel sei angemerkt: Im Schicksal des „Vormieter von Dammweg 35“, Walter Hollitscher, spiegelt sich nicht nur schlechthin die Tragödie eines aufrechten, ehrlichen, parteigläubigen Mannes jüdisch-bürgerlicher Herkunft. Sondern in gewissem Sinne etwas von der Tragödie einer Partei, der SED, selbst. Und hier auch des in ihrem Auftrag handelnden MfS.

Zugegeben: die Zeit war hochbrisant, von Wider­sprüchen geprägt, „Gegner“ hatte es wirklich gegeben, „Feinde“ gab es leibhaftig. Sie waren alles andere als Erfindung oder Einbildung in einer Zeit des sich rasant zuspitzenden Kalten Krieges. Zwischen den sich jetzt diametral gegenüber stehenden Alliierten, noch wenige Jahre zuvor erfolgreich verbündet im Kampf gegen den Hitler-faschismus.

Diese, historisch gesehen, durchaus belastbaren Faktoren können aber weder Arroganz, Selbstüberhebung, unbegründetes Misstrauen noch haltlose Vorwürfen, schon gar nicht die Erniedrigung von Gleichgesinnten wie Hollitscher, rechtfertigen. Die Ironie (oder die Logik?) des Schicksal will es, dass unser Mann aus Wien und dann wieder in Wien ab 1966 „be­suchsweise“ in das Land zurück kehren kann, in dem man ihm schweres Unrecht angetan hat. Die Karl-Marx-Universität Leipzig verleiht ihm 1971 die Ehrendoktorwürde, fünf Jahre dar­auf wird er von der Regierung der DDR sogar mit dem Stern der Völkerfreundschaft in Gold ausgezeichnet!

Wer Weiteres über den „Vormieter“ und die ihm unterstellten angeblichen „Vergehen“ er­fahren will, dem sei die Lektüre des Neuen Deutschland empfohlen. In der Ausgabe vom 14./15. Mai 2011 erschien anlässlich des 100. Geburtstages Walter Hollitschers der auf neue­ren Aktenfunden basierende aufhellende Beitrag von Hans-Christoph Rau „Verdächtigt. Ge­demütigt. Ausgewiesen“.

Rückblick auf  Sonjas
gefährlichen Weg

Zurück zum verdienten Dank der Franzosen für die Antifaschistin Dora Schaul. Ein solcher ist der Antifaschistin Ruth Werner nach der Wiedervereinigung von den Deutschen bislang versagt geblieben. Sie war, die Mehrzahl der „Spaziergänger“ weiß es, im Jahre 1930 mit ihrem Mann, einem Architekten, als Ur­sula Hamburger nach Shanghai gegangen. Um dann, von Richard Sorge als „Sonja“ für die sowjetische Militäraufklärung der Roten Armee (GRU) gewonnen, über zwei Jahrzehnte in der Mandschurei, Polen, der Schweiz, zuletzt England unter Gefahr für Leib und Leben, auch das ihrer Kinder, zu wirken. Sie leistet, nicht nur als Funkerin von „Atomspion“ Fuchs, Frie­densarbeit. Die sie, im Rückblick, immer wieder als „bescheidenen Beitrag“ bezeichnet. Was auf Gesinnung und Charakter schließen lässt.

Vor dem Hintergrund des Prozesses gegen Klaus Fuchs war sie 1950 von London nach Berlin, in die DDR, gekommen. Hat, zusammen mit ihrem Mann Len Beurton als Schriftstellerin Jahrzehnte in Baumschulenweg gewohnt. Mit ihrem 1977 im Verlag Neues Leben erschienenen Bestseller „Sonjas Rapport“ sorgt sie, keine Übertrei­bung, weltweit für Aufsehen.

Die nun schon Jahre dauernden Bemühungen linker Kräfte, in der Treptower Region eine Straße oder einen Weg nach ihr zu benennen, sind bis dato gescheitert. Die Gründe für eine Ablehnung durch die BVV Treptow-Köpenick aus – alles in allem – ambivalenten Gründen – erinnern Zeitzeugen bei diesem Spaziergang mit (Rück)-Blick auf deutsche und deutsch-deutsche Geschichte oft auch in Vier-Augen-Ge­sprächen.

Blumen für Hollitscher, Sonja und Len

Vorarbeit und Entstehen von „Sonjas Rapport“ sind, wie könnte es anders sein, eng mit dem Reihenhaus Dammweg 35 verbunden. Wollte man, allein unter diesem Aspekt, die Ge­schichte des Hauses – Bewohner und Besucher – recherchieren und schreiben, wäre eine Edi­tion vom Umfang her vielleicht der DDR-Rapport-Ausgabe vergleichbar. Eine „Geschichte hinter der Geschichte“. In deren Mittelpunkt steht, was nur die Autorin wusste. Aber – aus Gründen ihres Selbstverständnisses von Beruf und Berufung oder angeordnet von übergeord­neter Berliner oder Moskauer Instanz – dem Leser nicht mitteilt. Auch in der 2006 erschiene­nen „Ersten voll-ständigen Ausgabe“ nicht. Die nun das Kapitel – Markus Wolf war damals dafür, Honecker dagegen – über den „Atomspion“ Klaus Fuchs enthält.

Schweigsam bis über
den Tod hinaus 

Was Sonja nicht will oder darf, teilt sie Niemandem mit. Selbst ihrem Bruder Jürgen Kuc­zynski nicht. Der ihr immerhin in London den Kontakt zu Klaus Fuchs herstellte. Und mit dem sie im Dammweg 35 mehrere Jahre im Monatsrhythmus bei Tee und Gebäck über Gott, Partei, Familie und Welt – meist, aber nicht immer – einvernehmlich redet. Dessen Rat sie schätzt, den sie aber vor Informationen, „die er nicht unbedingt wissen muss“, schützt.

Das letzte Foto von Ruth Werner alias Sonja entstand am 15. Mai 2000 zu ihrem 93. Geburtstag

Gleiches trifft – ausnahmslos – auf die Kinder zu. Die sich im Gespräch „Die Forderung der Zeit verstehen“, Bestandteil der zitieren Nachwende-Ausgabe, ausführlich über ihre Mutter äußern. Peter Beurton, bezogen auf Sonja als Kundschafterin: „Meine Mutter war ein Mensch, der in allen Dingen, die ihre illegale Tätigkeit betrafen, geradezu von einer Obsession betrof­fen, also absolut verschwiegen war. Uns gegenüber verlor sie lange Zeit kein einziges Wort, auch nicht indirekt.“

Diese hier von Beurton ihm und seinen Geschwistern gegenüber bezogene Haltung nahm Ruth Werner übrigens auch gegenüber ihrem früheren Auftrageber ein. So seltsam das für den ersten Moment auch klingen mag. Andeutungsweise Auskunft darüber gibt ein Dokument, auf das der Blogsänger bei seinem Recherchen zum Buch „funksprüche an sonja“ in jener Be­hörde stieß, die nach Gauck und Birthler mit Jahn nun den Namen eines Ex-Bürgerrechtlers trägt und in der Karl-Liebknecht-Straße in Berlin-Mitte ihren Sitz hat.

            „Die Genn. (1) machte bisher nur verhältnismäßig allgemeine Angaben über ihre  frühere Tätigkeit als Kundschafterin. Sie ließ sich ausdrücklich versichern, dass ihre   bisherigen Angaben für keine Berichte oder ähnliche Unterlagen Verwendung finden. Ausführlichere Angaben möchte sie ausschließlich persönlich schriftlich niederlegen.  Aus den angeführten Gründen können bisher zu den im folgenden dargelegten Problemen keine weiteren  Details angegeben werden.

Der „Bericht über die bis Januar 1968 durchgeführten Befragung von U.B. (4 Ex.)“ mit der Kennung MfS – HA IX/11, FV 98/66 Bd. – Nr. 15 ist aufschlussreich in mehrfacher Hinsicht.

Das Dokument, seine
drei guten Gründe

Erster Grund: Entgegen diverser Veröffentlichungen macht seine Existenz deutlich, dass zwischen den ersten Gesprächen mit der Kundschafterin, an denen anfangs auch Vertreter der sowjetischen Seite beteiligt waren, und dem Erscheinen von „Sonjas Rapport“ mehr als ein Jahrzehnt liegt. In diese Zeitspanne fließt eine weitere ein. Die zwischen dem, nach Meinung Ruth Werners, druckreifen Manuskript und dem Termin seiner schlussendlichen Freigabe.

Es dauert Jahre (!), kostet die Autorin schlaflose Nächte und graue Haare bis die übergeord­neten Berliner, vor allem aber Moskauer Instanzen ihr okay geben. Noch unveröffentlichte Behörden-Dokumente geben Auskunft über „Vorschläge“ hoher sowjetischer GRU-Vertreter, die das Projekt in seiner Endphase fast noch scheitern ließen. Und Ruth Werner zeitweise an den Rand der Verzweiflung brachten. Weniger über sich und ihren Text als über die nach ihrer Meinung unrealisierbaren „Wünsche“ der sowjetischen Seite.

Zweiter Grund: Der Bericht enthält einen Schlüssel von in der Geheimdienst-Szene gut be­kannten Namen, die alle in den von Ruth Werner bei den Befragungen gegebenen Antworten auftauchen. Fast zwei Dutzend Personen. Jede für sich bietet oder bot ausreichend Stoff für Buch (und Legende!) mitunter schon mehrfach: Rudolf Hamburger, Agnes Smedley, Dr. Ri­chard Sorge, Prof. Gerhart Eisler, Max Claußen, Rudolf Herrnstadt, Ilse Stöbe, Alexander Foote, Rado, Anton Ruh, Erich Henschke, Olga Benario…

Dritter Grund: Die hier unvollständig veröffentlichte Liste enthält unter (8) einen Namen, mit dem vergleichsweise wahrscheinlich nur wenige Leser etwas anfangen können. Obwohl dieser Mann für das „private Leben“ von Kundschafterin Sonja, vor allem während ihrer Aus­bildung bei Moskau und dem Einsatz in Mukden, wichtig werden sollte. Im „vollstän­digen“ Rapport kann man über das komplizierte, spannungsgeladene Verhältnis der beiden ab Seite 131 nachlesen. Erfährt, dass sie ein Kind von ihm erwartet. Und- entgegen der guten Ratschläge des (zukünftigen) Vaters und ihres (noch) Mannes – darauf besteht, das Kind zu bekommen. Schon nachdem Michael in Shanghai zur Welt gekommen war, stand für sie – den Familienmenschen kuczykischer Prägung – fest, er sollte nicht ihr Einziger bleiben.

Die im Wortsinn merk – würdige Geschichte nahm ihren Lauf. Sonjas Vorgesetzten, Beruf Seemann, Deckname „Ernst“, verschlug es später nach Südamerika. Mit den Jahren bekam er „Heimweh“ via Deutschland. Wusste aber nicht genau nach welcher der beiden Republiken. Nahm, auch deshalb, über Mittelsmänner Kontakt mit Ruth Werner auf. Und in den siebziger Jahren, an einem schönen, kalten Januartag stand Ernst an der Tür von Dammweg 35, klingelte und ward von Sonja will­kommen geheißen. Tochter Janina war nicht dabei. Sie  erfuhr erst später vom Treffen und damit erstmals von der Existenz ihres  „wirklichen“ Vaters. Sie hat es ihrer Mutter aber, so Blogsgesang gegenüber, „nicht übel genommen, dass es so war, es war eben so.“

Willkommen geheißen wurden im Dammweg 35 von Sonja beispielsweise auch – natürlich – Markus Wolf. Der hat das Rapport-Buchprojekt ja angeregt und für „funksprüche“ den Bei­trag „Sonja zum 100.“ verfasst. Hin und wieder kam Hermann Kant, ihr Schriftstellerver­bandspräsident, er schrieb für sie „Gestern mit Ruth und Len“. Auch Eberhard Panitz war da. Seine „Morgenstunde bei Ruth Werner“ beginnt so:

            „Es ist dasselbe Reihenhaus in der Nähe des Plänterwaldes, der Gartenweg zur Tür, der schmale Flur und das Wohnzimmer mit dem Blick in den Garten, wo ich oft gewesen bin in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. `Viel zu selten lässt du dich sehen`, sagte mir Ruth Werner zu dieser Morgenstunde lächelnd in der Tür. Sie sei  jetzt nicht mehr so beweglich und habe zwar die Kinder und Kindeskinder um sich, die  sich lieb um sie kümmerten, doch sie vermisse die alten Freunde und Genossen sehr, die sie sonst allenthalben bei Versammlungen und anderen Gelegenheiten getroffen habe. So genau wisse sie es ja nicht wie viel Zeit ihr noch bleibe. In ein paar Tagen wird sie 93 Jahre. Und sie habe uns vielleicht noch dies und jenes zu sagen…“

Blogsänger über "funksprüche an sonja" - ohne die Besuche in Baumschulenweg undenkbar

Oder eben auch nicht, wie wir wissen. Auch dem Blogsänger öffnete Ruth Werner hin und wieder die Tür. Dass erste Mal im Frühjahr 1978. Aber nicht ihretwegen, sondern weil ihr Mann Len Beurton im Militärverlag an der Storkower Straße über seine Zeit im Spanienkrieg berichtet hat und Blogsänger, damals Kul­turredakteur der Wochenzeitung Volksarmee, darüber ein Seite fabrizierte, die er mit Beurton vergleichend abstimmen will: die Daten, die Fakten, die Fotos. Da seine Frau den Tee serviert, außerdem ihr Rapport bereits öffentlich ist, ergibt sich zwangsläufig ein von gegenseitigem Interesse und Respekt getragenes „Rand­gespräch“. Beginn einer vertrauensvollen Beziehung, die lange hält, die „Kinder“ einbezieht,  und auch nach Sonjas Tod nicht endet. Insofern ist die Gedenk­wanderung ein weiterer Mosaikstein im bunten Tableau dauerhafter Freundschaft über Leben und Zeitläufte hinaus.

Drei gute Namen:
Franke, Grossmann, Holfert

Eine, die gern einmal am Haus mit der Nr. 35 geklingelt hätte, weil sie „die Bücher von Ruth Werner alle immer las“, ist Ute Franke. Für sie begann die Wanderung schon vor dem 9. Mai. Als sie noch einmal in den „Auskünften über Ruth Werner“ nachschlug, dem Buch, das zum 75. Geburtstag der Autorin 1982 herauskam. Dort fand sie den Brief der Mutter an Tochter Janina. Und las ihn nun den „Sonja-Wanderern“ vor:

                                                                                                                9. Mai 1975

 „Liebe Nuschka,                                                                             

            gestern zur Kranzniederlegung am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow. Weißt Du noch,  dass das unser erster Spaziergang in der DDR vor fünfundzwanzig Jahren war? Ich zeigte Euch – Du vierzehn und Peter sieben Jahre alt – das Ehrenmal, wir aßen in einem winzigen Restaurant Nudelsuppe, und in der zerbombten Innenstadt wohnend,   beneidete ich glühend die Leute, die in dieser Gegend lebten. Es ist wie ein Wunder, dass es gerade diese Gegend für uns wurde und nun schon fünfundzwanzig Jahre ist.“

Gewiss, ein paar Zeilen nur. Aber sie sprechen Bände. Über Sonja und ihre Lebensphilosophie. Aber auch über die Vorleserin. Die für die Volkssolidarität Busfahrten organisiert, denn „man sollte, wenn man kann, doch noch was Nützliches tun.“

Bei einer Lesung von "Sonjas Rapport" in einer Treptower Schule wurde von Jutta Matuschek (MdA) das Straßennamen-Projekt angeregt. Das Quintett der Kinder und Freunde auch darüber in guter Stimmung: Eberhard Panitz, Nina Blankenfeld, Michael Hamburger, Peter Beurton, Markus Wolf (v.l.)

Während der nun vergangenen gut zwei Stunden, dominieren vor allem die individuellen Gesprä­che am Rande des Weges. Immer neue Fragen und Antworten, die großen und kleinen The­men rund um Sonja. Gert, sein Fahrrad schiebend, würde gerne mehr über die Frau erfahren, als sie noch Ursula Kuczynski hieß. Und ihre Kinderfilmrolle im Streifen „Dreimäderlnhaus“. Dabei kann es sich nicht um den Film von Ernst Marischka mit Karlheinz Böhm, Gustav Knuth und Magda Schneider handeln, der 1958 entstand. Sondern es muss der vierzig Jahre früher von Richard Oswald gedrehte sein. Dieser Regisseur, dessen Film „Das Eisernes Kreuz“ 1915 we­gen pazifistischer Tendenzen verboten wurde, erlangte Berühmtheit durch Streifen wie „Im Weißen Rößl“ und „Gräfin Mariza“. Da er aber auch als Begründer des so genannten Sit­ten-und Aufklärungsfilms gilt, wäre es in der Tat interessant zu wissen, ob die elfjährige Ur­sula in seinem „Dreimäderlnhaus“ wirklich mitwirkte.

Wann werden die Karten
neu gemischt? 

Mitgewirkt an der Ehrung hat auch Victor Grossmann. Als Stephen Wechsler desertierte der heute 83-Jährige, als in Bayern stationierter GI der US-Army 1952 über Linz, die Donau durchschwimmend, zum sowjetischen Haupt-quartier in Baden bei Wien. Und von dort in die DDR. Wohin er eigentlich gar nicht wollte, denn er hatte „erstmal genug von den Deutschen“ – dann aber bis über ihr Ende hinaus blieb. Am 9. Mai 2011 kam er aus Richtung Friedrichshainer Karl-Marx-Allee nach Treptow. Sein abenteuerliches Leben, das Internet gibt dazu mancherlei Auskunft, ist auf andere Weise mit dem von Sonja durchaus vergleichbar. „Vielleicht“, so sagt er, „kann ich über diese Wanderung etwas in der linken amerikanischen Presse unterbringen.“

Schöne Begegnung nach langer Zeit -zwei alte Freunde erinnern sich: Victor Grossmann (l.), Peter Beurton

Untergebracht hat mitt-lerweile einer den „Ruth Werner Gedenkspazier-gang“. Man sollte dazu Helmut Holferts Web-site „Meine Präsentation – ganz privat & enga-giert“ anklicken. Da be-gegnet dem Betrachter ein großer Bilderbogen schöner Motive, kurz,  prägnant und familiär kommen­tiert. Gar keine Frage: auch Sonja wird sich freuen.

 Die Spree, der „Zenner“ und damit das Ende der Tour, sind erreicht. Noch einmal spielt das Trio auf, noch einmal nimmt Hans Erxleben das Wort: Dank den tapferen Mitläufern. Erin­nerung an damals, an die 150 Freunde und Sympathisanten, die sich für eine Namensgebung am Ufer der Spree in Bewegung setzten. Wenn auch – vorerst – noch ohne durchschlagenden Erfolg. „Aber der Kampf geht weiter. Am 18. September stehen in Berlin die Wahlen ins Haus, auch in der BVV. Noch ist der Ausgang offen. Wir sind gespannt auf das Ergebnis. Vielleicht werden die Karten für Ruth und ihren Weg dann neu gemischt.“

Rund 150 Sonja-Fans, unter ihnen Jutta Matuschek (Mitte, lesend), am 15. Mai 2007 anläßlich des 100. Geburtstages von Ruth Werner auf der „Promenaden-Wanderung“ für einen Straßennamen am Spree-Ufer

Noch im Juni findet die Ehrung von Treptow ihre Fortsetzung. Mit dem Besuch einer Gruppe des neuen „Freundeskreises“ bei dem vor gut einem Jahr gegründeten Ruth-Werner-Vereins in Carwitz bei Feldberg. Nach investigativen Recherchen, auch unter Anwendung der von Sonja hinterlasssenen geheimdientlicher Erfahrungswerte, scheint gesichert, dasss es sich bei dem Carwitzer Verein um den ersten dieser Art weltweit überhaupt handelt.  Über ihn, sein bisheriges Engagement, den Besuch einer von Berlin aus per Busfahrerausbildungs-Bus vorgefahrenen „Freundeskreis“-Abordnung, dem eine Visite ähnlich motivierter Freunde  von Sonja aus Dresden voraus-gegangen war, wird  der Blog-Beitrag „Immer noch auf Sonjas Spuren…“  im Oktober Auskunft geben.