Wie die Zersetzung von Wikileaks organisiert wird

(pri) Die Stasi war nicht der erste Geheimdienst und erst recht nicht der letzte, der diese Methode gegen Andersdenkende anwandte. Zersetzung steht im Inventar der Schlapphüte ganz vorn, und wie es scheint, war sie auch bei der Operation Wikileaks wieder erfolgreich. Und das ohne dass es besonderer Kreativität bedurfte, denn an der verdeckten Front sind die Assange und Domscheit-Berg eben doch nur Amateure.

»Mit der Zersetzung«, so heißt es im Wörterbuch der Staatssicherheit, »wird durch verschiedene politisch-operative Aktivitäten Einfluss auf feindlich-negative Personen, insbesondere auf ihre feindlich-negativen Einstellungen und Überzeugungen in der Weise genommen, dass diese erschüttert und allmählich verändert werden bzw. Widersprüche sowie Differenzen zwischen feindlich-negativen Kräften hervorgerufen, ausgenutzt oder verstärkt werden.

Ziel der Z. ist die Zersplitterung, Lähmung, Desorganisierung und Isolierung feindlich-negativer Kräfte, um dadurch feindlich-negative Handlungen einschließlich deren Auswirkungen vorbeugend zu verhindern, wesentlich einzuschränken oder gänzlich zu unterbinden bzw. eine differenzierte politisch-ideologische Rückgewinnung zu ermöglichen …

Hauptkräfte der Durchführung der Z. sind die IM. Die Z. setzt operativ bedeutsame Informationen und Beweise über geplante, vorbereitete und durchgeführte feindliche Aktivitäten sowie entsprechende Anknüpfungspunkte für die wirksame Einleitung von Z.-Maßnahmen voraus.

Die Z. hat auf der Grundlage einer gründlichen Analyse des operativen Sachverhaltes sowie der exakten Festlegung der konkreten Zielstellung zu erfolgen. Die Durchführung der Z. ist einheitlich und straff zu leiten, ihre Ergebnisse sind zu dokumentieren.

Die politische Brisanz der Z. stellt hohe Anforderungen hinsichtlich der Wahrung der Konspiration.«

Die Methode der Zersetzung kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn offen repressive Maßnahmen keinen Erfolg versprechen oder aber juristisch wie praktisch nicht möglich oder zweckmäßig sind. Sie sollen die als feindlich eingeschätzte Gruppierung von innen heraus zerstören, also zersetzen. Dazu werden die Hauptakteure der Gruppe in geschickter Weise kompromittiert, meist mit schwer widerlegbaren Gerüchten und Unterstellungen ohne politischen Hintergrund; bevorzugt werden finanzielle oder sexuelle Verfehlungen angedeutet. Beliebt ist auch das Schüren von Rivalitäten zwischen einflussreichen Personen innerhalb der Gruppe, meist mit erfundenen, gleichwohl aber nicht unglaubwürdigen Behauptungen. Ist das Misstrauen erst einmal geweckt, ist es oft ein Leichtes, es durch in die Gruppe geschleuste oder aus ihr herausgeworbene IM zu vertiefen. Am Ende ist die Arbeit der Gruppe vollkommen gelähmt, sie ist als Gegner des Staates paralysiert.

Mit all diesen Phänomenen hat dieser Tage Wikileaks zu kämpfen, jene Gruppe, die die staatlichen Geheimdienste der Welt, insbesondere die der USA, herausforderte und von diesen schon mal als ein Feind, vergleichbar mit Osama bin Laden, bezeichnet wurde. Das gesamte Arsenal der Zersetzung kann man gewissermaßen exemplarisch an diesen Fall studieren, einschließlich seiner Wirkungen, denn Erfolg kann man der Operation nicht absprechen.

Es war gewiss kein Zufall, dass schon kurz nachdem Julian Assange die Veröffentlichung Tausender US-Botschaftsdepeschen angekündigt hatte, die ersten Vergewaltigungsgerüchte auftauchten; seine Empfänglichkeit für amouröse Abenteuer war schließlich bekannt, in Zeiten sexueller Freizügigkeit aber auch nicht unnormal. Deshalb wohl hielt die schwedische Justiz zunächst wenig von Ermittlungen, dann aber wurden sie ihr plötzlich so wichtig, dass sie Assange international zur Fahndung ausschrieb, »in Gesellschaft von russischen Gangstern und mexikanischen Drogenbossen«, wie eine Zeitung schrieb. Nur aus eigenem Antrieb?

Assange stellte sich den britischen Behörden und sitzt dort seither in Hausarrest. Das war aber nur der Auftakt, denn der Hauptschlag sollte sich gegen die Organisation selbst richten. Die ersten Maßnahmen kamen panikartig, erinnerten an die Methoden totalitärer Regimes in vergleichbaren Situationen und lösten dadurch in der Öffentlichkeit eher Solidarität als die erhoffte Abscheu aus. Es war jene Lage eingetreten, aus der nur noch die Zersetzung von Wikileaks selbst helfen konnte. Und tatsächlich kamen aus der bis dahin total intransparenten Internetplattform schon bald erste Nachrichten über interne Auseinandersetzungen. In ihrem Mittelpunkt stand Daniel Domscheit-Berg, Assanges Repräsentant in Deutschland. Mit dem unbewiesenen Vorwurf, Assange könne die Sicherheit der Informationen nicht gewährleisten, kopierte er wichtige Dateien und trennte sich mit anderen unter Mitnahme dieser Informationen sowie der Software, über die Informanten, die so genannten Whistleblower, Daten an Wikileaks übermitteln konnten, von der Organisation und ging seither seine eigenen Wege.

Das war allein schon ein schwerer Schlag gegen Wikileaks, ob nun dabei jemand im Hintergrund die Fäden zog oder nicht. Doch er lähmte die Arbeit der Plattform nicht. Denn Assange hielt sich strikt daran, die Botschaftsdepeschen nur nach sachkundiger Begutachtung durch seriöse Journalisten freizugeben. Dazu hatte er Kooperationsverträge mit solchen Redaktionen wie der »New York Times«, dem britischen »Guardian« und dem »Spiegel« abgeschlossen und sich damit auch für die amerikanischen Geheimdienste ziemlich unangreifbar gemacht, denn gegen diese Zeitungen konnten sie nur schwer direkt vorgehen. Es galt also, diese Kooperation zu zerstören, was bei der »New York Times« und dem »Spiegel« ziemlich geräuschlos gelang. Denn sie schienen bald das Interesse an dem Material zu verlieren, aus welchen Gründen auch immer.

Übrig blieb der »Guardian«, das von den Dreien am weitesten links stehende Presseorgan. Einer seiner Reporter, David Leigh, zeigte besonderes Interessen an den Botschaftsdepeschen. Im Juli 2010 drang er in stundenlangen Debatten darauf, dass Assange ihm das Passwort nennt, unter dem die US-Botschaftsdepeschen im Netz abgelegt sind. Assange lässt sich schließlich überreden. Dennoch gelingt es Leigh zunächst nicht, die Datei zu öffnen. Noch in der Nacht fährt er erneut zu Assange, der ihm weiterhilft. Leigh schilderte das ausführlich in einem Buch; vor allem aber nannte er dort das komplette Passwort, angeblich weil er glaubte, es habe sich um einen temporären, also nur zeitlich begrenzt gültigen Code gehandelt – für einen investigativ arbeitenden Journalisten eine erstaunlich naive Erklärung.

Dennoch wurden die Botschaftsdepeschen vorerst nicht publik, weil ihr Vorhandensein nicht allgemein bekannt war und man deshalb nicht gezielt danach suchte. Geheimdienste unterschiedlicher Couleur dürften jedoch schon damals auf den Vorgang aufmerksam geworden sein und sich Zugang zu dem Material verschafft haben. Offensichtlich jedoch gab es auch ein Interesse, die Informationen, über deren angeblich brisanten Inhalt zwar viel spekuliert wird, aber tatsächlich so gut wie nicht bekannt geworden ist, in die breite Öffentlichkeit zu bringen – um damit möglicherweise die Unzuverlässigkeit von Wikileaks zu belegen. Genau diesen Vorwurf erhob denn auch Daniel Domscheit-Berg, nicht ohne zuvor das seine getan zu haben, um mögliche Interessenten auf die Spur der Datei mit den Botschaftsdepeschen zu führen. Pikant ist dabei, dass Daniel Domscheit-Berg inzwischen offensichtlich direkt mit Geheimdiensten in Kontakt steht. Assange hatte ihm dies seit längerem vorgeworfen, und Domscheit-Berg hatte es stets bestritten. Jüngst jedoch sah man ihn bei einem gemeinsamen Auftritt mit August Hanning, bis 2005 Chef der Bundesnachrichtendienstes und danach Staatssekretär im Innenministerium.

In der Sache der US-Botschaftsdepeschen gab Domscheit-Berg jedenfalls, als sein Streit mit Assnage eskalierte, kaum verhüllt Hinweise auf Fundort und Passwort. Er nutzte dazu die – ebenfalls linke – Wochenzeitung »Freitag«, die er sich als Partner für sein Konkurrenzunternehmen Openleaks auserkoren hatte, ohne ihr bisher auch nur eine Information zukommen zu lassen. Jetzt jedoch steckte er dem »Freitag« die Geschichte von den US-Botschaftsdepeschen samt jener mit dem Codewort, das der »Guardian« in Erfahrung gebracht hatte und ließ durchblicken, wie man im Netz beides zusammenführen könne.

Assange erfuhr von der geplanten Veröffentlichung und intervenierte bei »Freitag«-Herausgeber Jakob Augstein, der abwiegelte und auf eine Veröffentlichung nur verzichten wollte, wenn Assange selbst sich in seinem Blatt dazu äußere, was dieser ablehnte; für ihn steht der »Freitag« im Lager seines Gegners Domscheit-Berg. Die drohende Veröffentlichung vor Augen, informierte Assange die US-Regierung über die bevorstehende freie Verfügbarkeit der bisher von Wikileaks unter – allerdings sehr losem – Verschluss gehaltenen Daten. Und nach der Veröffentlichung im »Freitag« stellte Wikileaks vergangene Woche selbst den gesamten Datensatz mit 251 287 Botschaftsberichten ins Netz. Assange wollte wohl nicht, dass »sein« Material durch andere verbreitet wird. Zu retten war ohnehin nichts mehr.

Für all jene, die den freien Fluss von Informationen nur dann gutheißen, wenn er ihnen nützt und anderen schadet, ansonsten aber mit einem strenge Kontrollregime die eigenen Daten schützen wollen, war dies der Auftakt zu einer geradezu chorischen Kampagne gegen Wikileaks. All diese Bedenkenträger von Rechts bis Links bedienten sich dazu der Argumente der US-Administration, die das Bekanntwerden der Informationen als Auftakt zu einem Blutbad skandalisiert. Zwar gibt es dafür keinerlei Beleg, obwohl die einschlägigen Dienste schon seit Monaten Zugriff auf das Material haben, aber sie alle beten die Horrorszenarien des State Department, des einzigen Geschädigten der Wikileaks-Aktion nach. Einige sehen sogar die Whistleblower gefährdet, weil deren Klarnamen bekannt würden – so als überreichte man die Daten in einem Briefumschlag, auf dem der Absender steht. Sie aber sind allemal professionell genug, die eigene Identität zu verbergen; nicht ohne Grund stießen die riesigen US-Geheimdienste auf einen der Wikileaks-Informanten trotz intensivster Suche erst dann, als er selbst prahlerisch darüber berichtete.

Was die in den Botschaftsdepeschen genannten Namen von Informanten angeht, handelt es sich dabei in ihrer Mehrzahl um Zuträger der US-Geheimdienste, die in ihren diplomatischen Vertretungen so genannte legale Residenturren unterhaltten, also Strukturen, die der heimlichen Ausforschung des Gastlandes dienen. Es sind inoffizielle Mitarbeiter dieser Geheimdienste, IM, die anderswo nicht gründlich genug enttarnt werden können, für den eigenen Gebrauch aber beinahe zu Helden stilisiert werden. Zu ihnen gehören eifrige Plauderer wie ein früherer Büroleiter Guido Westerwelles, der die US-Botschaft brühwarm über die Verhandlungen zur Bildung der schwarz-gelben Koalition ins Bilde setzte, aber auch jene libyschen Geheimagenten, die westliche Dienste wie die CIA oder den britischen MI6 über einheimische Oppositionelle informierten und dafür Amtshilfe in ihrem Kampf gegen eben diese Opposition erhielten.

Für Wikileaks ist die geschilderte Entwicklung ohne Zweifel ein Desaster, mit dem allerdings zu rechen war. Er die einzig verbliebene Supermacht derart herausfordert, musste mit einer entsprechenden Antwort rechnen, auf die die Organisation in keiner Weise vorbereitet war. Sie konnte vorerst nur den Kürzeren ziehen, doch ein Ende der Idee von der Transparenz von Informationen, die von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung sind, bedeutet dies keineswegs. Sie ist in der Welt und wird – ungeachtet der Hoffnungen im politischen Establishment – nicht mehr totzukriegen sein. Denn gewiss finden sich immer neue Whistleblower – vielleicht demnächst auch zur Aufklärung der Vorgänge um die Organisation der Zersetzung von Wikileaks.