Obama – mühsamer Sieg, glanzlose Perspektive

(pri) Irgendwie erinnerte die hiesige Medienberichterstattung der letzten Tagen an den Kampagnenjournalismus der DDR, zum Beispiel vor 42 Jahren, zum 100. Geburtstag Wladimir Iljitsch Lenins, der damals von fast jeder Zeitungsseite blickte und auch im noch jungen Fernsehen schon omnipräsent war. Diesmal gebührte keinem Toten solche Zuwendung, sondern dem quicklebendigen Barack Obama, aber ansonsten erreichten die ausufernden Betrachtungen von Weg, Wort und Werk des bisherigen und nun auch künftigen US-amerikanischen Präsidenten durchaus Leninsches Maß. Und obwohl spätestens seit dem Wirbelsturm Sandy ziemlich klar, war, dass es Obama dank der Vorteile seines Amtsbonus in der Krise wieder schaffen würde, hielt man die Spannung mittels nicht näher definierter Umfragen, die angeblich ein Kopf-an-Kopf-Rennen signalisierten, hoch. Tatsächlich jedoch verbuchte der Präsident fast 100 Wahlmänner mehr als sein Rivale Romney; ob er auch die Mehrheit der Wähler in absoluten Zahlen hinter sich hat, weiß man freilich noch nicht. Dafür ist das amerikanische Wahlsystem zu undurchschaubar.

 

Darüber jedoch war in den hiesigen Medien mit ihrem USA-Wahl-Hype kaum etwas zu vernehmen. Doch die US-Wahl ist nicht direkt, nicht transparent und mitunter auch nicht gerecht. Die Entscheidung über den Präsidenten treffen Wahlmänner, die gestern von den US-Amerikanern bestimmt wurden. Diese wiederum können nicht frei entscheiden, sondern sind an das Mehrheitsvotum ihres Bundesstaates gebunden. Nur weil man auf dieser Basis berechnen kann, wie viele Wahlmänner auf einen der beiden Kandidaten verpflichtet sind, wissen wir bereits heute, wer Präsident werden bzw. bleiben wird. Niemand jedoch kann bis zur Stunde sagen, wie viele Bürger tatsächlich für den einen oder anderen gestimmt haben. Vor zwölf Jahren, als George W. Bush das erste Mal Präsident wurde, hatte er eine halbe Million Stimmen weniger als der Demokrat Al Gore, und das möglicherweise zu Unrecht. Nur gerichtlich wurde am Ende entschieden, dass Bush ins Weiße Haus einzieht.

 

Erst unlängst monierten OSZE-Wahlbeobachter die »exzessive Rolle«, die Geld bei der Parlamentswahl in der Ukraine spielte. Man darf gespannt sein, ob sie solche Kritik hinsichtlich des OSZE-Mitgliedes USA, in denen zig Millionen von beiden Kandidaten ausgegeben werden, in der Regel ohne jede Kontrolle der Spender und ihres Umfelds, wiederholen. Nur am Rande beklagen sich einige der wenigen Wahlbeobachter in den USA über die gravierenden Einschränkungen ihrer Arbeit. Man stelle sich das Geheul vor, einer der politischen Gegner der USA, etwa Russland, die Ukraine oder Weißrussland, warteten mit solch einem Wahlsystem auf, unterhielten ein solch umfangreiches und intransparentes Spendenwesen und legten internationalen Wahlbeobachtern derartige Steine in den Weg.

 

Die Überhöhung der amerikanischen Wahlen und ihres Siegers Obama setzt sich fort in einer neuen euphorischen Gläubigkeit nach dem Wahlgang. Man glaubt im deutschen Qualitätsjournalismus ziemlich unisono seinem Versprechen, das Beste käme noch. Das setzte voraus, unter Obama habe es schon Gutes gegeben, was die meisten Amerikaner kaum unterschreiben dürften, auch viele jener nicht, die Obama wieder wählten – einfach, weil ihnen die Alternative Romney noch übler vorkam. Aber Obama ist es weder gelungen, die von Bush ruinierte Wirtschaft zu sanieren noch dessen in der Außenpolitik zerschlagenes Porzellan wegzuräumen, allenfalls etwas zu kitten. Auch die Gesundheitsreform war am Ende nur noch ein Schatten ihrer selbst. Diese Misserfolge werden auch kaum geleugnet, aber oft mit dem Widerstand der Republikaner entschuldigt. Tatsächlich jedoch folgen Obama wie Romney, die US-Demokraten wie Republikaner der gleichen Philosophie des Kapitalismus, der die Unternehmer, die Wirtschaft, die Reichen als seine Triebkräfte betrachtet, denen alle zu dienen haben – einschließlich der Ärmsten der Armen, von denen nach jahrzehntelanger entsprechender Beeinflussung nicht wenige das ebenfalls glauben und ihre missliche Lage nicht auf die unsozialen Verhältnisse, sondern auf eigenes Versagen zurückführen.

 

Aus diesem Zirkel kann und will Obama nicht ausbrechen. Er ist und bleibt ein Mann des Systems; lediglich ein wenig mehr Realismus als andere zeichnet ihn aus. Und das hat vermutlich auch seine Wiederwahl begünstigt. Aber große Erwartungen richten sich auf ihn in den USA kaum noch, und auch die Welt sollte nüchtern auf seine Funktion als Präsident der westlichen Supermacht sehen, ihn objektiv beurteilen und nicht nach dem eigenen ideologischen Glaubensbekenntnis. Für seine Landsleute wäre es vielleicht schon viel, wenn er Lenin nacheiferte, der einst die Sowjetmacht mit Elektrifizierung verbinden wollte, um den Kommunismus zu schaffen. Wie die Folgen des Wirbelsturms zeigten, wäre auch in den USA des 21. Jahrhunderts eine moderne Elektrifizierung vonnöten, aber es steht zu befürchten, dass die dort herrschende Finanzmacht nicht einmal das zulässt, schmälert es durch ihre Profite – und so etwas ist für einen kapitalgläubigen Amerikaner allemal Kommunismus.

2 Replies to “Obama – mühsamer Sieg, glanzlose Perspektive”

  1. Wer diesen Hype eben nicht 24 Stunden über sich ergehen lassen wollte, dem erging es dieser Tage wie zur Karnevalszeit: Man sucht verzweifelt nach pappnasenfreien Zonen, um sich schließlich bajazzomäßig zu verkrümeln. Nein, dieser vorauseilende Gehorsam war peinlich, aber nicht neu und schon gar nicht uneigennützig. Vielmehr vermute ich hinter diesem Gedöns, dass man uns an diese Art von Wahlkampf gewöhnen will.
    Yes, wir kenns! Wie der Sachse so sagt.
    P. S. Der Vergleich mit Lenin und der damals komplett fehlenden Elektrifizierung und den Folgen der heutigen Sturmschäden an der Ostküste Amerikas ist zwar der Brüller. Hoffe aber, dass das der Stadt, die sich arm aber sexy fühlt, nicht passiert.
    LvM

  2. Systemjournalismus beinhaltet immer Kampagnenjournalismus, in jeder Gesellschaftsordnung. Warum soll Deutschland da anders sein? Peinlich ist nur diese „Vergötzung“ der USA. In der DDR wurde das mit der Sowjetunion zelebriert. Der alte Deutschenhasser Churchill soll einmal gesagt haben: „Die Deutschen hat man entweder an der Kehle oder zu Füßen!“ Als Ostbewohner von „Großwestdeutschland“ amüsiere ich mich immer wieder über die Konformität medialer US-Berichterstattung. Dieser demütig-bewundernd-bittende Ton: „Lieber Großer Bruder, laß uns nicht mit dem Rest der Welt allein!“ Der Deutsche von heute sieht das zunehmend distanzierter und beginnt sich zum Schrecken der „Atlantiker“ zu emanzipieren. Die systemische „Frankfurter Rundschau“ mußte bereits die bittere Erfahrung machen, nicht mehr gelesen zu werden.

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