Lässt man einmal beiseite, dass Jürgen Rüttgers mit seiner Forderung, die Hartz-IV-Regelung zum ALG I zugunsten seiner Empfänger zu ändern, natürlich auch parteipolitische und vor allem langfristig wahltaktische Ziele verfolgt, dann bleibt dennoch, dass die Umsetzung seines Vorstoßes für die Betroffenen ein Segen wäre. Sie, die jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und damit – wie bei fast jeder Versicherung – natürlich einen Anspruch auf Leistungen erworben haben, fallen bei Verlust des Arbeitsplatzes derzeit schon nach einem Jahr in die Sozialhilfe, wenn sie keine neue Arbeit finden. Das verteidigt kaum einer als gerecht; Argumente für diesen sozialen Kahlschlag werden zumeist mit Geldmangel begründet. Und daher wächst sogar in der Union die Zahl derer, die daran etwas ändern wollen, wobei die Ministerpräsidenten jener Bundesländer, denen demnächst Wahlen ins Haus stehen, an der Spitze marschieren.
Eines der finanziell begründeten Argumente gegen eine längere Zahlung von Arbeitslosengeld I besagt, dadurch würden junge Familien benachteiligt; es ist beinahe klassisch für das Herangehen der Regierung, bei Sozialmaßnahmen immer zuerst ans Kürzen zu denken statt ans Aufstocken. Denn eine Benachteiligung entsteht nur, wenn das, was den Älteren draufgelegt, bei den Jüngeren weggenommen wird. Erhielten letztere weiter das Gleiche, könnte ihnen der Zuschlag für die Älteren egal sein und das Gegeneinander-Ausspielen von Arbeitslosen, das SPD-Generalsekretär Heil befürchtet, träte gar nicht ein. Es ist also nicht Rüttgers‘ Vorschlag an sich, sondern die Art und Weise, wie ihn der sogenannte Arbeitsminister Müntefering interpretiert, was die Arbeitlosen gegeneinander aufbringen könnte.
Münteferings und Heils Sorge ist allerdings begründet, denn sie sehen im Vorstoß des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten die Gefahr, dass ihnen auf sozialem Gebiet plötzlich die Union den Rang ablaufen könnte. Heil geißelt ihn als »parteitaktisches Spielchen«, womit er Recht haben mag, aber die Betroffenen werden gegen solche Spielchen nichts haben, wenn sie ihnen denn weiterhelfen. Weil auch Heil das ahnt, setzt er noch eins drauf und bezeichnet ein solches Vorgehen als »fehlgeleitet und charakterlos«. Er meint natürlich Rüttgers, aber treffender kann ein heutiger SPD-Generalsekretär die Politik, die seine einst als soziales Gewissen angetretene Partei jetzt betreibt, kaum beschreiben.